Verein Lebensspuren richtet deutschlandweites Jahrestreffen seit neun Jahren in Wernigerode aus Einstige Lebensborn-Kinder berichten von ihrem Schicksal
Wernigerode l Rund 1300 Kinder sind von 1937 bis 1945 in dem Wernigeröder "Lebensborn-Harz" geboren wurden. Seit neun Jahren treffen sich Kinder aus Lebensborn-Heimen in ganz Deutschland in Wernigerode. Unter Federführung des Vereins Lebensspuren fand am Sonnabend eine Podiumsdiskussion in der Remise statt.
"Da gibt es Hinweise auf etwas, dass etwas anders ist als bei den Nachbarskindern", sagte die Publizistin Ebba Drolshagen. Bis heute hätten die einstigen Lebensborn-Kinder mit den Auswirkungen des NS-Regimes zu kämpfen. Sie alle eint, in der Nazizeit einen Teil ihres Lebens in einem Lebensborn-Heim verbracht zu haben, dort geboren oder darüber in eine Adoptiv- oder Pflegefamilie vermittelt worden zu sein. Die Heime dienten der Geburtenpolitik der Nazis. Dort sollten besonders "arische" Kinder gezeugt werden. Das Harzer Heim, das das zweite seiner Art war, hatte fünf Standorte verteilt über die ganze Stadt.
Frauen und Mädchen, die ein Kind erwarteten, sollten mit dem Angebot der Entbindungs- und Kinderheime davon abgehalten werden, die Schwangerschaft zu unterbrechen. Der Verein Lebensspuren mit Sitz in Wernigerode hat es sich zur Aufgabe gemacht, als weltweite Interessengemeinschaft die einstigen Lebensborn-Kinder und deren Angehörige zu unterstützen und das Leben in den Heimen geschichtlich aufzuarbeiten.
"Viele von uns haben darunter gelitten, dass unsere Mütter geschwiegen haben", erklärte Lebensborn-Kind Gisela Heidenreich. Viele Fragen treiben die aus ganz Deutschland, der Schweiz und Norwegen angereisten Menschen: Warum hat die eigene Mutter sie in dem SS-Heim zurückgelassen? Musste sie so handeln - gab es tatsächlich keine andere Lösung? Wer ist der Vater? Der Historiker Dr. Georg Lilienthal sprach über eine Gedenkkultur. Aus der Arbeit von Gedenkstätten sei bekannt, dass sich auch junge Besucher mit den Opfern identifizierten. "Damit wird die Erinnerung wach gehalten", berichtete Lilienthal. In der Regel wollen Enkel wissen, wer die Opfer waren und warum darüber in der Familie geschwiegen wurde.
Jeder, der seine Geschichte der Öffentlichkeit erzähle, mache es den Nachwachsenden einfacher, riet Ebba Drolshagen. "Es ist in ganz Europa ein extremes Stigma, einen Wehrmachtsvater zu haben. Dadurch wurde vieles zusätzlich verdrängt", so Drolshagen. "So sehr wir etwas wissen wollen, so sehr fürchten wir uns auch vor der Antwort."
Drolshagen sagte, dass Vereine wie Lebensspuren die Erinnerung an vergangenes Unrecht wach halten könnten. "Wir haben alle gesehen, welche Folgen das Schweigen bringt - auch für die Gesellschaft", sagte der Wernigeröder Matthias Meißner, Beiratsmitglied im Verein Lebensspuren, zum Ende der Diskussion. Vor ihm und seinen Vereinskollegen würde noch viel Arbeit liegen, so das Fazit.