Genickschüsse für Hitlerjungen in Treseburg bewegen auch nach 65 Jahren die Gemüter: "Es geht nicht um Rache, wir mahnen"
Der II. Weltkrieg ist seit 65 Jahren zu Ende – und schmerzt immer noch. In Treseburg wurden am 19. April 1945 neun Jugendliche per Genickschuss von US-amerikanischen Soldaten getötet. Die Kripo ermittelte wegen Mordes, erfolglos, Zeitzeugen mühen sich um Aufklärung und um ein würdiges Gedenken.
Treseburg. Das anonyme Kreuz für Kriegstote auf dem Friedhof des Bodetalortes soll durch Namen ersetzt werden. Darum bemühen sich Zeitzeugen von 1945. Am Dienstag besuchten sie Treseburg und öffneten ein Fenster weit in die Vergangenheit.
Heftige Kämpfe tobten vor gut 65 Jahren im Harz, den das Oberkommando der Wehrmacht am 8. April 1945 zur Festung erklärt hatte. Den Vormarsch der US-amerikanischen Truppen hielt das nicht auf. Am 17./18. April stießen sie im Raum Hasselfelde und Allrode vor, ein Batallion des 18. US-Infanterie-Regiments nahm Treseburg ein. Quellen besagen, dass die Amerikaner in jenen Tagen im Batallionsgefechtsstand in Treseburg von unbekannten deutschen Kämpfern beschossen wurden. Ein MG-Trupp soll sich angeschlichen haben. Auch vom Beschuss eines mit Offizieren besetzten Jeeps ist die Rede, wie Recherchen von Diplommuseologe Peter Nüchterlein aus Wernigerode ergaben.
Wieviele tote Befreier es in Treseburg gab, ist unklar. Um die 60 Amerikaner wurden kurz zuvor bei Hasselfelde als gefallen registriert. In Treseburg gab es nach dem Feuerüberfall einen Toten und etliche Verwundete, darunter den Batallionschef, so die Quellen. Als Vergeltung sollten elf Männer aus Treseburg erschossen werden, berichteten später Zeugen. Das sei gerade noch verhindert worden.
Sie wollten nach Hause und liefen in den Tod
Just zu dem Zeitpunkt näherten sich aber zehn Hitlerjungen Treseburg. Sie waren alle um die 16 Jahre jung und vom "Wehrertüchtigungslager" in Vöhl am Edersee in den Harz geschickt worden. Ob als Hitlerjungen, als "Volkssturm" oder gar als "Werwölfe", ist leider unklar, heißt es in den Akten. In Thale hatte man Willi, Georg, Valentin und ihre Kameraden angeblich kurz zuvor fortgeschickt mit Worten wie: "Was wollt ihr noch kämpfen, schert euch nach Hause!"
Nach Hause wollte der Jugendtrupp dann offenbar wirklich und kam von Thale durchs Bodetal nach Treseburg. Dort wurden sie von Amerikanern mit Warnschüssen begrüßt.
Ein Junge, Georg Brand, rannte weg und versteckte sich in einem Stollen, was ihn rettete. Die übrigen neun wurden gefangengenommen, einige sagen auch, misshandelt, dann auf einen Bergweg hinter dem heutigen Café Mendorf geführt und erschossen. "Todesursache Genickschuss", wie ein Protokoll von der Umbettung der Leichen auf Treseburgs Friedhof im Jahre 1951 belegt.
"Das war glatter Mord", sagt Alfred Hoffmann. Er hat die Toten damals liegen sehen, weil sein Vater ihn, den damals 14-Jährigen, rausgeschickt hatte, mal nachzusehen, "was die Knallerei zu bedeuten hatte". Die Toten seien unbewaffnet gewesen, hätten kurze Hosen gehabt und kindliche Gesichter. "Soweit diese noch zu erkennen waren", erinnert sich Hoffmann, der heute in Bayern lebt. Das deckt sich mit Angaben weiterer Zeitzeugen wie Walter Rosenbohm und Manfred Röhse, beide leben heute in Niedersachsen, sowie des Heimatkenners Wolfgang Zerjadtke aus Uftrungen. Und es deckt sich auch mit Ermittlungen der Polizei.
Kripo ermittelt wegen Mordes – ohne Erfolg
Denn Georg Brand, der einzige Überlebende, hatte 2005, kurz vor seinem Tod, Strafanzeige gestellt. Zu spät, sagen Experten. Wichtige Details seien nicht mehr vorhanden, Zeugen oder gar Täter kaum zu finden oder nicht bereit, über derartige Dinge zu sprechen.
Die Ermittlungen stehen zwar kurz vor dem Abschluss, wie Kriminalhauptkommissar Hans-Joachim Weddeler vom Polizeirevier Harz in Halberstadt informierte. Allerdings bleibt offen, ob es Mord war, auch wenn nach den Angaben der Zeitzeugen vieles dafür spreche. Unklar bleibt auch, wer die Erschießung befohlen und ausgeführt hat.
"Es geht uns aber sowieso nicht um Rache, wir wollen mahnen", sagt Röhse mit Zustimmung der Gruppe: "Es geht um die Wahrheit. Wir wollen zeigen, dass Krieg schmutzig ist, auf beiden Seiten, und was er selbst in so einem kleinen Ort wie Treseburg anrichtet." Nun soll erneut versucht werden, mit Vertretern der USA Kontakt aufzunehmen, um sie fair einzubeziehen, wie Röhse betont.
Denkbar ist ein Gedenkstein auf dem Treseburger Friedhof. Statt der jetzigen Inschrift "14 unbekannte deutsche Soldaten" sind dann fünf Soldaten zu nennen und die Namen der neun erschossenen Jugendlichen. Die Chancen dafür stünden gut, sagt Thomas Balcerowski, Bürgermeister von Thale, dessen Ortsteil Treseburg ist. Man müsse aber achtgeben, dass kein Anlaufpunkt für Ewiggestrige entsteht. "Dann verzichten wir eher auf einen Gedenkstein", so Röhse.
Mahnung gegen Diktatur und Krieg
Es gehe nun um den Blick nach vorn, um Mahnung gegen Diktatur und Krieg, bekräftigt Balcerowski. So ein Grauen, das mit dem Nazi-Überfall auf Polen begonnen wurde und bis zu diesen Toten in Treseburg führte, dürfe nie wieder geschehen. Darin zeigten sich alle einig, bevor sie schweigend vor dem Grabkreuz verharrten.