Bundesverdienstkreuz Genugtuung für einen langen Weg
Herbert Schneevoigt hat viel für Ilsenburg getan. Nun wird er mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.
Ilsenburg l Große Ehre für einen großen Mann. Herbert Schneevoigt winkt lächelnd ab. Dann zieht er ein Schriftstück aus einem Umschlag und sagt: „Damit habe ich nie gerechnet.“
Herbert Schneevoigt wird am heutigen Mittwoch das Bundesverdienstkreuz am Bande offiziell in einem feierlichen Rahmen in der Staatskanzlei in Magdeburg überreicht. Mit der Auszeichnung würdigt der Bundespräsident Joachim Gauck den 75-Jährigen für sein herausragendes langjähriges gesellschaftliches und wirtschaftliches Engagement für die Stadt Ilsenburg. „Sie haben in der schwierigen Aufbauphase einen sehr großen Anteil an Zeit und Kraft investiert, um zum Strukturwandel und zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes Sachsen-Anhalt, insbesondere im Landkreis Harz, beizutragen“, heißt es in dem offiziellen Regierungsschreiben.
Dem Engagement von Herbert Schneevoigt ist es zu verdanken, dass sich die ThyssenKrupp AG mit der Produktionsstätte für Nockenwellen in Ilsenburg angesiedelt hat. Der Automobil-Zulieferer ist heute mit rund 900 Beschäftigten der größte Arbeitgeber in der Ilsestadt.
„In Wertschätzung Ihrer Leistungen soll mit der Auszeichnung Ihr Lebenswerk gewürdigt werden“, so der letzte Satz des Schriftstücks. Dem sonst so schlagfertigen Mann fehlen plötzlich die Worte. Nachdenklich sagt er: „Ich fühle Genugtuung für einen langen Weg.“
1960, damals 19 Jahren alt, ist Herbert Schneevoigt „rüber gemacht“, wie der in Ilsenburg Geborene sagt. Nach Schule und Lehre bei Weich und Co. war er vor seiner Flucht aus der DDR als Werkzeugmacher im Metallgusswerk in Wernigerode beschäftigt. Von Westberlin führte ihn der Weg über ein Flüchtlingslager nach Hamburg. In seine Bewerbung schrieb er hinter dem volkseigenen Betrieb in Klammern „Rautenbach“ und bekam sofort einen Job.
Von der Produktion wechselte Herbert Schneevoigt relativ schnell in den Vertrieb für Präzisionswerkzeuge und in die Selbstständigkeit. Zu seinen Kunden gehörte von Beginn an VW, zu seinen festen Terminen die jährlichen Heimattreffen ehemaliger Ilsenburger im niedersächsischen Grenzort Eckertal. „Wir hatten uns immer geschworen, wenn wir es noch erleben, dass die Grenze fällt, werden wir etwas für und in unserer Heimat tun.“
Herbert Schneevoigt hat den Mauerfall erlebt, mit 50. „Jung genug, um mein Versprechen einzuhalten.“ Andere seiner Eckertal-Freunde waren leider schon verstorben oder weit über das Rentenalter hinaus. „Ich hatte Glück“, sagt Schneevoigt und erinnert sich gern an die Euphorie-Stimmung zur Wende. Mit seiner Ehefrau Margitta war er fast jedes Wochenende in Ilsenburg, bei seiner Mutter, bei Freunden aus seiner aktiven Rennrodel- und Bobzeit.
Sein Vorsatz, „Ich will in Ilsenburg etwas bewegen“, kam 1997 so richtig in Bewegung. ThyssenKrupp, damals noch Krupp Presta und für den Handelsvertreter Schneevoigt ab 1993 der Arbeitgeber, suchte in Europa einen neuen Produktionsstandort für Nockenwellen. Eine völlig neue Technologie für die bislang im Schmiedeverfahren hergestellten Automobilteile.
Schneevoigt erhielt den Auftrag. „Liechtenstein war zu klein, irgendwo in der Nähe von VW sollte neu gebaut werden.“ Haldensleben, Salzgitter boten sich an, „dann kam mir Ilsenburg in den Kopf“.
Doch welch ein Weltkonzern baut in der Kleinstadt an der Ilse ein Werk, zumal die Bundesstraße 6 in ihrer Gänze noch gar nicht da war? Trotz dieser Bedenken reichte Schneevoigt ein Konzept für die Ansiedelung auf der grünen Wiese am Stadtrand ein. „Ich rechnete mit keiner Chance, eher mit der Wahl für Salzgitter.“ Umso mehr die Überraschung: In Ilsenburg wird gebaut.
Sympathien für den Osten in den Vorstandsetagen spielten Schneevoigts Idee in die Hand: Ein Vorsitzender war aus Gera, ein Mitglied aus Görlitz, einer war mit einer Thalenserin verheiratet, der Presta-Chef stammte aus Merseburg und ein weiterer, dessen Stimme wichtig war, kannte Ilsenburg von einem Urlaubsaufenthalt vor 50 Jahren. „Nach der Abstimmung hat man mir per Telefon kurz und knapp mitgeteilt: Sie sollen ihr Denkmal haben“, erinnert sich Schneevoigt und freut sich immer noch sichtlich über den Zuspruch.
Im Oktober 1998 wurde die Produktion im Gewerbegebiet Ellerbach gestartet, mit zwölf Mitarbeitern. „Die ersten zehn habe ich selbst eingestellt“, sagt Schneevoigt, „sie fuhren mit der Schwalbe, einem Trabi oder Wartburg vor“.
Längst hat sich das Bild des Mitarbeiterparkplatzes gewandelt. Schicke moderne Fahrzeuge stehen aneinander gereiht hinter den mittlerweile vier Produktionsstätten für Nockenwellen und Zylinderkopfmodule in Ilsenburg. Und ThyssenKrupp wächst weiter. „Bricht die Konjunktur nicht ein, werden wir zum Jahresende wohl über 1000 Beschäftigte sein“, sagt der Wegbereiter ohne zu verhehlen: „Ohne Frank Altag wäre die Erfolgs-story hoch drei nicht möglich.“
Den jetzigen Chef hat Schneevoigt einst von VW abgeworben und nach Ilsenburg geholt. Altag habe maßgeblichen Anteil, dass Ilsenburg heute das Hauptquartier der Nockenwelle weltweit ist. „Wir beliefern den gesamten VW-Konzern. Ilsenburg hat ein Werk in Denville USA, zwei Werke in China und eins in Brasilien, außerdem wird ein Werk in Mexiko gebaut.“ Ein Zweigwerk gibt es noch in Chemnitz, in Liechtenstein wird nicht mehr produziert. „Dort ist unser Entwicklungszentrum.“
Herbert Schneevoigt, der sich längst zur Ruhe hätte setzen können, hat noch einen Beratervertrag. Er mischt sich weniger in betriebsinterne Abläufe ein, „das können die Jungen viel besser“, sagt er. Vielmehr ist es eine besondere „ThyssenKrupp-Mission“, die den 75-Jährigen treibt.
Der Konzern unterstützt neben anderen Sponsoren den Rennrodelsportler Toni Eggert aus Ilsenburg, Herbert Schneevoigt zieht die Fäden im Hintergrund mit. Er weiß, wo Hilfe zu bekommen ist. Davon profitieren einige Vereine seiner Heimatstadt seit der Wende, besonders die Ilsenburger Schlittensportler.
„Vielleicht bin ich so etwas wie ein Manager für Toni und seinen Doppelsitz-Partner Sascha Benecken“, sagt der Rodel-Senior, der als 15-Jähriger mit Walter Eggert Gold auf Kreis-ebene gewann.
Die Augen leuchten, der Sportsmann Schneevoigt ist in seinem Element. Was er und Tonis Opa geschafft haben, will er nun mit dem 27-jährigen Eggert-Enkel „packen“. Herbert Schneevoigt wird konkret: „Weltmeister am 30. Januar 2016 am Königssee und Olympiasieger 2018.“ Dann zieht er den Reißverschluss seiner Trainigsjacke auf und präsentiert die Aufschrift seines T-Shirts: „We are Thyssen Krupp“.