Himmel ist zu hell zum Sternegucken / Lösung liegt in intelligenter Beleuchtung mit LEDs Heller Wahnsinn: Straßenlampen rauben Astronomen in Wernigerode die Sicht
Hobby-Astronomen erblicken in Wernigerode nur die Hälfte der Sterne am Nachthimmel. Schuld ist die Straßenbeleuchtung - die an manchen Orten effizienter gelöst werden könnte, wie der Informatiker Christian Reinboth erklärt.
Wernigerode l Bei Tag bewundern hunderte Touristen das Wernigeröder Schloss. Auch nachts ist das Denkmal ein Hingucker. Angestrahlt thront es im orangegelben Licht über der Stadt. Doch die Scheinwerfer strahlen auch in den Himmel - und erschweren Hobby-Astronomen in Wernigerode die Sicht. "Mit unseren Schülern und Besuchern des Harzplanetariums sprechen Hans Hempel und ich über die ¿verloren gegangenen Sterne\'", sagt Umweltpreisträger Dirk Kelch, Leiter des Harzplanetariums in Wernigerode. "Die Beleuchtung der Stadt überstrahlt von den etwa 3000Sternen, die man in einer mondlosen Nacht mit bloßem Auge sehen würde, bestimmt die Hälfte."
Nicht nur die Schloss-Strahler erhellen das Firmament über Wernigerode. Auch im neuen Industriegebiet "am smatvelde" brennen zahlreiche Straßenlaternen, seit Kurzem allerdings nur noch bis zu den Wohnhäusern, wie Katja Bröker von den Stadtwerken mitteilt. "Die Stadtverwaltung muss auch bei Nacht die Verkehrssicherheit auf sämtlichen öffentlichen Verkehrsflächen gewährleisten", so die Pressesprecherin. Beispielsweise wird deshalb der Katzenteich-Parkplatz in Wernigerode nachts erhellt. Aber sind wirklich so viele Laternen notwendig?
Christian Reinboth aus Wernigerode beschäftigt sich seit2007 mit dem Phänomen der Lichtverschmutzung. "Sie tritt dann auf, wenn unintelligent beleuchtet wird", erklärt der Informatiker, der bei Harz Optics, einem An-Institut der Hochschule Harz, moderne LED-Lampen entwickelt, die Licht effizient verbreiten. Im "smatvelde" brennen bereits die weiß-leuchtenden LEDs, die die Hälfte an Energie gegenüber älteren Natrium- und Quecksilberdampflampen verbrauchen.
Bodenleuchten am Nicolaiplatz strahlen ineffizient nach oben
Bei einem nächtlichen Spaziergang machte Christian Reinboth mehrere Orte in Wernigerode ausfindig, die unintelligent beleuchtet sind, darunter der Platz zwischen Busches Eiscafé und Raabe-Schule. "Dort ragen Straßenlaternen im Sommer ins Blattwerk der Bäume", so Reinboth. Laubbäume, die angestrahlt werden, tendieren dazu, ihre Blätter später zu verlieren. "Dadurch werden sie anfälliger für Frostschäden", weiß er.
Auch die Bodenleuchten am Nicolaiplatz seien ineffizient. "Sie strahlen nur nach oben. Einen echten Beleuchtungszweck erfüllen sie nicht", erklärt er. Denn neben jeder Bodenleuchte ist eine zusätzliche Laterne angebracht - ohne diese wäre der Platz stockfinster. Am Nachthimmel sollen sogenannte Skybeamer für Veranstaltungen werben. "Sie sind ein rotes Tuch für Astronomen", sagt Hobby-Sternegucker Reinboth.
Er verlange keineswegs, dass die Stadtverwaltung sofort auf moderne LEDs umrüstet. "Das wäre zu teuer", sagt er. Eine Möglichkeit wäre aber, die Lichter nachts einfach auszuknipsen. "Für Goslar - von der Einwohnerzahl durchaus vergleichbar mit Wernigerode - wurde errechnet, dass man durch Nachtabschaltungen und -senkungen bis zu 90000Euro pro Jahr einsparen könnte", sagt Reinboth.
Vorreiter im Harz: Goslarer verzichten auf Nachtlichter
Der Goslarer Stadtrat beschloss laut Pressesprecher Christian Burgart im Februar, die Laternen von 0bis 5Uhr bis auf wenige Ausnahmen wie Fußgängerüberwege und Altstadt abzuschalten. Dass die Straßen dunkel bleiben, sei zwar "von den Bürgern nicht begrüßt" worden - jedoch seien "bisher keine nachweisbaren Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit" festgestellt worden.
"Für Energiespar-Hinweise sind wir jederzeit dankbar", betont Wernigerodes Pressesprecher Andreas Meling. So sei für den Katzenteich-Parkplatz eine Überprüfung veranlasst worden. "Dort werden die Leuchten in der Nacht leistungsreduziert gesteuert, was mit dem normalen Auge aber nicht festzustellen ist", so Meling. In Teilen von Nöschenrode, Hasserode und der Burgbreite wird laut Katja Bröker nur jede zweite oder dritte Lampe in einer festgelegten Zeit angeschaltet.
Überflüssige Straßenlampen sind nicht nur für Astronomen und das Stadtsäckel ein Problem. "Sie stellen auch eine Gefahr für die Tierwelt dar", so Reinboth. Helle Lampen ziehen Insektenschwärme an, die an den Leuchtkörpern verglühen. Fledermäuse verirren sich, weil sie ihrer Nahrung, den Fliegen und Mücken, nachfliegen.
Der Mensch kann ebenso leiden. Reinboth: "Licht blockiert die Produktion des Schlafhormons Melatonin, das kann zu Übergewicht führen und das Krebsrisiko erhöhen." Nicht zuletzt weist er darauf hin, dass Generationen von Kindern ohne einen echten Nachthimmel aufwachsen: "Der Mensch hat in seiner Geschichte immer den Himmel beobachtet."
Die unendliche Weite des Weltalls können Sternegucker übrigens auf einem Parkplatz bei Elend genießen. "Und wer nicht so weit fahren möchte, dem empfehle ich die Ecke nördlich von Berßel", sagt Dirk Kelch.