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"Weiße-Villa" betreut Jugendliche, an denen Therapeuten und Wunderheiler gescheitert sind Letzter Ausweg für Schüler, die gegen Drogen und Magersucht kämpfen

Von Julia Bruns 18.05.2013, 03:08

Die "Weiße-Villa-Harz" in Wernigerode ist eines der führenden Therapiezentren in Deutschland. Jugendlichen mit Essstörungen, Drogenproblemen oder Verhaltensstörungen wird unter der Leitung des Ehepaars Spamer der Weg in ein geregeltes Leben gewiesen.

Wernigerode l Die meisten Jugendlichen, die in das sozialtherapeutische Internat "Weiße-Villa-Harz" in Wernigerode einziehen, sind 14 oder 15 Jahre alt. Obwohl noch so jung, liegt hinter ihnen ein langer Leidensweg. Sie sind sogenannte "Internatsnomaden", wurden von Internaten und Schulen verwiesen. Durch Probleme im Elternhaus und in der Schule flüchteten sie sich in Esstörungen, Selbstverletzungen, Drogen- oder Alkoholmissbrauch. Viele wurden mehrfach in Kinder- und Jugendpsychiatrien behandelt, haben deshalb über Monate, manchmal sogar Jahre im Unterricht gefehlt.

Die Suche nach Hilfe führt verzweifelte Eltern, Jugendämter und auch die Jugendlichen selbst nach Wernigerode zu einer der führenden Jugendhilfeeinrichtungen in Deutschland: In der "Weißen-Villa" lernen sie in familienähnlichen Strukturen, ihr Leben wieder in den Griff zu kriegen, Grenzen einzuhalten und sich selbst wertzuschätzen. 40 Jugendliche werden derzeit von einem jungen Fachkräfteteam mit 50 Mitarbeitern in der "Weißen-Villa" und der "Grünen-Villa" in Wernigerode betreut. Ein weiteres Gebäude - die "Gelbe-Villa" - soll im September seine Pforten öffnen. Das Angebot ist mittlerweile seit zehn Jahren ein Erfolgsmodell.

"Unsere Bewohner stammen aus dem gesamten Bundesgebiet. Sie haben liebevolle Eltern, die beruflich stark eingebunden sind und wenig Zeit für das Familienleben haben", erklärt Gabriele Spamer. "Wenn sie zu uns kommen, haben die Eltern oft schon alles versucht, waren bei ambulanten Therapeuten, Psychologen, Psychiatern bis hin zu Wunderheilern. Es folgten stationäre Aufenthalte in Kinder- und Jugendpsychiatrien." Gabriele und Christoph Spamer haben das Netzwerk "Weiße-Villa-Harz" 2003 gegründet.

"Ich wollte etwas machen, was es in Deutschland noch nicht gibt."

Gabriele Spamer

Die Idee zur Gründung hatte Gabriele Spamer, als sie verhaltensauffällige Schüler des Landschulheims "Grovesmühle" bei Veckenstedt in wöchentlichen Therapiesitzungen behandelte. Diese Betreuung reichte allerdings nicht aus, um die Schüler dauerhaft zu stabilisieren. "Da kam ich auf die Idee, etwas zu machen, was es in Deutschland noch nicht gibt", so die Chefin der Einrichtung. 1996 wagte das Ehepaar Spamer den Schritt in die Selbstständigkeit.

"Wir sind Profis, seit mehr als 25 Jahren als Pädagogen, Supervisoren und Therapeuten tätig", so Gabriele Spamer, die einst in der Elbingeröder Suchtklinik und einer Jugendhilfeeinrichtung arbeitete. Das Engagement des Ehepaars geht so weit, dass es mit den Jugendlichen unter einem Dach lebt - als eine Art Ersatzeltern. Auch die "echten" Eltern werden eng eingebunden, nehmen an Seminaren, Schulungen, Gesprächen teil und entwickeln sich mit ihrem Kind weiter.

Die Besonderheit: Wechselten die jungen Leute zuvor von Einrichtung zu Einrichtung oder wurden gar aufgegeben, werden sie in der "Weißen-Villa" über viele Jahre im Schul- und Internatsalltag professionell und personalintensiv begleitet. In der Regel bleiben sie drei bis vier Jahre.

"Wenn sie unser Internat verlassen, haben sie meist ihren Realschulabschluss, ihr Abitur oder ihre Fachhochschulreife in der Tasche", so die therapeutische Leiterin. Sie besuchen die öffentlichen Schulen in der Region und werden zusätzlich beim Aufholen des verpassten Unterrichtsstoffes von zwei hausinternen Nachhilfelehrern unterstützt. "Wir können fast jedem helfen, unsere Erfolgsquote liegt bei 92 Prozent, was in der Jugendhilfe beachtlich ist." Zu einstigen Zöglingen, sie nennt sie "Villianer", hält Gabriele Spamer regen Kontakt. Sie studieren mittlerweile, haben ihre turbulente Vergangenheit verarbeitet und hinter sich gelassen.

"Die Jugendlichen lernen, sich selbst und andere besser zu verstehen."

Gabriele Spamer

Körper, Seele und Geist - auf diese Säulen stützt sich das Konzept. Gabriele Spamer: "Wir helfen nicht nur dabei, einen guten Abschluss zu erreichen, sondern die Jugendlichen lernen, sich selbst und andere besser zu verstehen." Auch wenn ein Swimmingpool im Garten, ein Fitnessstudio und ansprechendes Mobiliar eine angenehme Atmosphäre schaffen - der Aufenthalt in der Villa ist kein Urlaub, sondern harte Arbeit: "Die Jugendlichen haben feste Lernzeiten, regelmäßige Therapien, pädagogische Gespräche und kulturelle Stunden."

In Gruppen für Fotografie, Klettern, Fußball, Fitness und Musik können sich die Bewohner je nach Interesse beteiligen. In einer Band, die der Sozialarbeiter Christopher Bänecke betreut, entdecken sie verborgene Talente und bauen vorhandene aus. "Ein Junge ist technikbegabt, ein anderer kann super Gitarre spielen, ein Mädchen singt - so lernen sie, gemeinsam an einem Strang zu ziehen", erklärt Bänecke.

Fred Zimmermann, der Generalvertreter der Allianz mit der Allianz-Kulturstiftung, steuerte 2249 Euro für elektrische Gitarren, Boxen, ein E-Piano, Verstärker und ein Mikrofon bei. Zimmermann ist ein Unterstützer von der "ersten Stunde an", wie Gabriele Spamer betont. In seinem Versicherungsbüro haben bereits einige Bewohner der "Weißen-Villa" in der elften Klasse ein Praktikum absolviert.

"Ich bin oft verwundert, wie viel Unwissen über unser Haus herrscht."

Karin Morgenroth

"Die Kooperation hat sich aus der persönlichen Freundschaft zu den Spamers ergeben, und eine Spur Neugier war auch dabei", erinnert sich der Wernigeröder. "Außerdem bin ich gelernter Altenpfleger, kenne keine Berührungsängste. Ich helfe gerne."

Internatsleiterin Karin Morgenroth freut sich über das ehrliche Interesse an der Einrichtung. "Ich bin oft verwundert, wie viel Unwissen über unser Haus herrscht, auch unter den Lehrern in Wernigerode", sagt sie. So werde das Internat immer wieder fälschlicherweise für eine Psychiatrie gehalten. "Wir sind ein offenes Haus, bieten auch Fort- und Weiterbildungen für Lehrer und Pädagogen an, erhalten Besuch von Schulklassen an Projekttagen", lädt Karin Morgenroth ein. Demnächst ist ein Tag der offenen Tür geplant.