Soziales Lobbyarbeit für Langzeitarbeitslose
Mit einem neuen Projekt will die Diakonie in Wernigerode Menschen mit seelischen Problemen den Weg zurück in den Arbeitsmarkt ebnen.
Wernigerode l Die Wand ist das erste Projekt gewesen. Die 15 Frauen und Männer haben sie verputzt und bunt bemalt. Jetzt schweben dort Noten vor blauem und braunem Hintergrund, Menschen tanzen über einem Lautsprecher, ein gelbes U-Boot durchpflügt wie in dem berühmten Beatles-Hit die Wellen. „Die Teilnehmer hatten freie Hand, das Thema ,Musik‘ umzusetzen“, sagt Claudia John. Die Sozialpädagogin betreut zusammen mit Ergotherapeutin Rebekka Kolle und Arbeitstherapeut Bernd Holtz das Projekt „Aktive Eingliederung – Sei mit dabei!“. Damit will der Träger, die Diakonie Krankenhaus Harz GmbH Elbingerode, Menschen in eine Beschäftigung bringen, die lange nicht mehr gearbeitet haben.
Im Juni ist das Projekt in einer Halle im Kupferhammer gestartet. Zwei Jahre wird es über den Europäischen Sozialfonds gefördert. 15 Teilnehmer sind im ersten Turnus, der ein Jahr dauert, dabei. Die meisten sind seit Jahren arbeitslos, beziehen Arbeitslosengeld II und wurden von der Koba Jobcenter Harz vermittelt. „Wir arbeiten eng zusammen“, sagt Claudia John.
Was den Frauen und Männern die Jobsuche zusätzlich erschwert, ist eine seelische Beeinträchtigung, häufig auch eine Suchtgeschichte. „Es geht darum zu schauen: Was kann ich noch?“, sagt Claudia John. Sie und ihre Kollegen haben beobachtet, dass viele Betroffene in Schleifen gefangen sind, die sie von einem Ein-Euro-Job in den nächsten bringen.
Deshalb sollen die Teilnehmer in dem Jahr im Kupferhammer eine Perspektive erhalten, die darüber hinausgeht. Wie diese aussieht, hängt von jedem selbst ab. „Im Idealfall geht jeder am Ende des Jahres mit einer Beschäftigung aus dem Projekt“, so Claudia John. Ob das eine Anstellung in Vollzeit oder Teilzeit ist, ein Minijob oder eine Umschulung, das soll sich bei der aktiven Eingliederung herauskristallisieren. Bei manchen steht stattdessen die Rente an oder eine medizinische Rehabilitation. „Wir wollen, dass die Teilnehmer gut gestärkt losgehen.“
Bei vielen fängt es damit an, dass sie pünktlich um 8 Uhr morgens in der Halle am Kupferhammer erscheinen. „Einige haben zuvor den ganzen Tag auf der Couch gesessen und sich um sich selbst gedreht“, sagt Bernd Holtz. Stattdessen wird nun angepackt. Als erstes hat die Gruppe ihren Arbeitsort hergerichtet. „Als wir anfingen, war die Halle komplett blank“, so Holtz. Die Mauer neben der Einfahrt haben sie verputzt, Trockenbauwände hochgezogen, alte Tische und Stühle aufgearbeitet.
Die Teilnehmer lernen dabei nicht nur handwerkliche Fertigkeiten, sondern verlieren die Angst vor dem Selbermachen. „Das ist gut für das Selbstwertgefühl, für die Psyche“, weiß Rebekka Kolle. Die Ergotherapeutin bringt den Teilnehmern bei, wie man zum Beispiel mit Holz, Seide und Peddigrohr arbeitet. Ein Computerkabinett, das derzeit eingerichtet wird, soll der Fortbildung am Rechner dienen. Ein weiterer Punkt sind AdL – Aktivitäten des täglichen Lebens wie zum Beispiel gesundes Kochen. Hinzu kommen Besuche in Einrichtungen und Firmen, Ausflüge und Kultur, gemeinsame Geburtstagsfeiern. „Wir zeigen ihnen, dass das Leben mehr ist, als nur zu Hause zu sitzen“, sagt Bernd Holtz.
Im Projekt können die Teilnehmer herausfinden, wo ihre Interessen liegen. Tina Lelleck zum Beispiel sitzt an der Nähmaschine und lässt weißen Stoff unter der Nadel hindurchgleiten. „Ich wollte das schon immer ausprobieren“, sagt die Blankenburgerin. Auch sie hat gemalert, tapeziert und mit Holz gearbeitet. „Man wächst an den Herausforderungen“, sagt sie. Wichtig ist ihr aber vor allem, dass sie sich auf ihr Ziel vorbereiten kann – die Rückkehr in den erlenten Beruf als Verkäuferin.
Dabei helfen die Betreuer auch mit ihren Kontakten. „Unser Vorteil ist, dass wir ein großes Netzwerk haben“, betont Claudia John. Die Mitarbeiter gehen in die Betriebe, stellen dort ihre Schützlinge vor und vermitteln sie in Praktika. „Wir betreiben Lobbyarbeit“, so beschreibt es Claudia John. Die Arbeitgeber sind damit bisher zufrieden, sagt sie.
Das Konzept ist im Harzkreis bisher einmalig. „Wir sehen, dass es fruchtet und sich Erfolge einstellen“, bilanziert Claudia John. Ein junger Mann habe zum Beispiel ein klares Ziel – Fachinformatiker für Systeminformation zu werden. Nach einem mehrmonatigen Praktikum in einem Betrieb kann er Ende Januar dort seine Umschulung beginnen.
Auch andere Teilnehmer haben Pläne geschmiedet. Eine von ihnen strebt eine Umschulung zur Betreuerin an, eine junge Frau wird in einer Druckerei anfangen. Eine andere beginnt im Januar ihr Praktikum in einem Ilsenburger Friseursalon. Zwei Frauen arbeiten am Empfang der psychosozialen Beratungsstelle der Diakonie. Die Gruppendynamik reiße Unentschlossene mit, berichtet Claudia John. „Ein junger Mann, der zuvor keine Vorstellungen hatte, interessiert sich nun für eine Ausbildung zum Erzieher.“