Wernigerode Probleme mit der Statik: Sämtliche Großveranstaltungen im Rathaus verboten
Über 500 Jahre hat Wernigerodes Rathaus auf dem Buckel. Einige Bausünden aus der Vergangenheit rächen sich nun. Diese und weitere Mängel müssen beseitigt werden.
Wernigerode - Die Nachricht muss erstmal sacken. Nur noch 80 Personen auf einmal dürfen sich im großen Saal im Wernigeröder Rathaus aufhalten. Aus statischen Gründen. Soll heißen, es geht dabei um die Standsicherheit des Saals und des ganzen Gebäudes.
Die neue Obergrenze hat Folgen: Sie bedeutet das Aus für etliche Veranstaltungen. Bis zu 400 Personen waren zum Beispiel beim Neujahrsempfang keine Seltenheit. Aber auch das Kindertheater zu Weihnachten, der Neujahrsempfang der Stadt sowie sämtliche Festveranstaltungen, Vorträge und Ehrungen in großem Rahmen fallen weg.
Keine Gefahr im Verzug
Das ist wirklich ein Ding – aber nur halb so dramatisch, wie es sich im ersten Moment anhört, versichert Baudezernent Immo Kramer. „Es ist keine Gefahr im Verzug. Niemand muss sich Sorgen machen.“ Es sei so, dass auf der linken Seite des Saals weniger Holzbalken in den Boden eingebaut sind – und das wahrscheinlich schon seit Jahrhunderten. „Der Saal schwingt drüben mehr, das haben wir beobachtet“, so Kramer. „Es heißt aber nicht, dass etwas kaputt ist, wenn ein Holzboden schwingt.“
Dennoch würden die Statiker den Zustand bemängeln. Nach aktuellen EU-Vorschriften dürften aus Gründen der Haftung eben nicht mehr als 80 Personen rein. „Wir müssen da natürlich ran, wollen unserer Pflicht nachkommen und zur alten Volllast zurückkehren. Aber nicht vor Mitte 2022.“ Bis dahin sei der Saal für kleinere Veranstaltungen nutzbar. „Da haben wir Planungssicherheit.“ Wie lange der Saal und möglicherweise auch das Standesamt darunter danach gesperrt werden müssen, kann Kramer noch nicht abschätzen. „Das wäre zum jetzigen Zeitpunkt unseriös“, so der Dezernent. „Wir müssen uns erst ein Bild von der Lage verschaffen. Und dafür müssen wir den Boden öffnen.“
Schäden an der Wetterseite
Momentan stehen aber erst einmal andere Bauarbeiten im und am Rathaus an. 1993 sei die Fassade des altehrwürdigen Gebäudes zuletzt komplett saniert worden. „28 Jahre – das sind eine lange Zeit“, schätzt der zuständige Bauamtsmitarbeiter Ingo Wolf ein.
„Normalerweise ist ein neuer Anstrich nach etwa zehn Jahren fällig. Dafür hat unsere Fassade sehr lange gehalten.“
Mit dem neuen Anstrich ist es diesmal nicht getan. „Wir haben in den vergangenen Monaten eine Art Bestandsaufnahme gemacht“, informiert Wolf. So sei an vier ausgewählten Stellen die Substanz erkundet, Farbe, Putzsystem, Fachwerk und Holz untersucht worden. „Wir haben dort aufgemacht, wo wir am ehesten Schaden vermutet haben.“ So vor allem an der Westseite des Gebäudes, die als Wetterseite besonders anfällig für Schäden ist. Und die Bauleute wurden dort tatsächlich fündig. So sei unter anderem das Farbsystem „nicht mehr zeitgemäß“. Dabei geht es nicht etwa um den orangefarbenen Farbton, sondern um die Dicke der Schicht. „Das Holz kann darunter schlechter atmen“, erläutert Ingo Wolf.
Nassfäule und Pilze haben sich breit gemacht
Das ist längst nicht alles, was bei der Untersuchung entdeckt wurde. Unter anderem seien einige der Balkenköpfe gebrochen. „Man kann den Riss richtig sehen“, sagt Wolf. Zudem haben sich an der äußeren Schwelle Nassfäule und Pilze breit gemacht. „Dadurch ist die Tragfähigkeit gestört. Wir müssen sie austauschen.“
Die Wand und der Fußboden in dem Bereich sind komplett weggestemmt und das Holz freigelegt worden, um die Schäden zu begutachten. Dabei sind auch alte Sanierungssünden ins Auge gefallen. So sei zuletzt beispielsweise Fichte als Leimholz genutzt worden. „Das wäre heute nicht mehr zulässig in bewitterten Bereichen“, sagt Wolf. „Da würde man jetzt Eiche verwenden.“
Ziel sei es nun, die Schäden zu beseitigen, das äußere Fachwerk komplett neu zu installieren und gleichzeitig den Sanierungsstand von vor 1936 wieder herzustellen. Damals habe es große Umbauten am Rathaus gegeben, das statistische System sei verändert worden. „Wir sanieren sozusagen die Sanierung“, bringt es Baudezernent Kramer auf den Punkt. Die Arbeiten und auch die damit verbundenen Ausgaben kämen ungeplant. „Aber wir sind froh, dass wir den Schaden jetzt entdeckt haben und handeln können, bevor etwas Schlimmeres entsteht.“
Die Ausschreibungen für die Arbeiten werden derzeit vorbereitet. „Wir wollen bis Ende des Jahres durch sein“, sagt Kramer. „Das ist sportlich. Den Anstrich werden wir sicherlich nicht schaffen.“ Die Bauzeit sei abhängig von den Kapazitäten der Firmen und von der Lieferung der Baumaterialien. „So einen Holzbalken kriegt man schließlich nicht im Baumarkt.“ Wie teuer die Arbeiten am Ende sind, stehe noch nicht fest, so Kramer. Nur so viel: „Wir müssen mit 300.000 Euro auskommen. Und das werden wir auch.“