Rechtsextremismus Debatte um Vergangenheit von Dorff
Als neuer Wernigeröder Vize-Oberbürgermeister wird Hauptamtsleiter Rüdiger Dorff gehandelt. Er war in einer rechten Organisation aktiv.
Wernigerode l Kann ein städtischer Amtsleiter, der in seiner Jugend als Bundesführer einer rechtsgerichteten Jugendorganisation aktiv war, eine Stadt als Vertreter des Oberbürgermeisters (OB) repräsentieren? Diese Frage stellt sich mit Blick auf das altersbedingte Ausscheiden von Wernigerodes Vize-OB Andreas Heinrich. Rüdiger Dorff wird als ein Kandidat für die Nachfolge gehandelt. Seine Vita ist allerdings nicht blütenweiß.
Rüdiger Dorff: 45 Jahre alt, seit 2002 Angestellter in der Stadtverwaltung Wernigerode und heute Chef im Haupt- und Rechtsamt. Sich selbst verortet der Christdemokrat im national-konservativen Spektrum der CDU, schreibt sich „wirtschaftsliberale Ansichten“ zu. Obendrein ist der Jurist in der Sankt-Christus-Kirchengemeinde Wernigerode aktiv, Mitglied der Deutschen Gildenschaft und bei Round Table, einer Männer-Gemeinschaft, die sich nach eigener Darstellung dem Dienst an der Allgemeinheit verschrieben hat. Und dann ist da noch etwas: Dorff war vor Jahren auch Mitglied des Freibundes, einer Gruppierung, die am rechten Rand agiert.
Ein Fakt, den Rüdiger Dorff heute gern aus der öffentlichen Wahrnehmung seiner Person ausblenden würde. Den er letztlich aber bestätigt: „Ja, ich war etwa von Ende der 1980er- bis Ende der 1990er-Jahre beim Freibund.“ Dazu stehe er, das liege heute aber lange zurück.
Gleichwohl finden sich Spuren von Dorffs Liaison mit jener rechtsorientierten Truppe noch heute im Internet. Und nicht nur dort. Auch beim Verein Miteinander – dem Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt – finden sich diverse Unterlagen mit Bezug auf Rüdiger Dorff.
Doch sollte das heute – knapp zwei Jahrzehnte später – überhaupt noch ein Thema sein? Nicht unbedingt, gibt David Begrich, Rechtsextremismus-Experte bei Miteinander, zu bedenken. „Wenn diesem Engagement damals keine anderen Sachen gefolgt sind, dann ist das sicherlich vorbei.“ Aber: Rüdiger Dorff war nicht irgendwer beim Freibund – er war mehrere Jahre Bundesführer, also ganz an der Spitze aktiv. Auch das bestätigt er. Und das, so Begrich, sei ein klares Indiz dafür, nicht nur zeitweiliger Mitläufer gewesen zu sein. „Dann war man schon ideologisch gefestigt.“
Doch was waren und sind Freibund, der „Bund Heimattreuer Jugend“ (BHJ), Wiking-Jugend und die „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ)? „Allesamt Gruppierungen, die mehr oder minder völkisch-national und damit rechtsgerichtet unterwegs sind oder waren“, fasst es Begrich zusammen. „Im Blick hatten oder haben sie insbesondere Kinder und Jugendliche.“
Dabei sei eine Gruppe mitunter zum Auffangbecken für eine andere geworden. Nachdem 1992 Innenminister Rudolf Seiters (CDU) die rechte Wiking-Jugend verboten hatte, habe die HDJ als Nachfolger fungiert, so Begrich. Die Konsequenz folgte 2009 mit dem vom damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) ausgesprochenen HDJ-Verbot.
Ähnlich war es beim BHJ. Der war – das räumt Dorff ein – in den 1970er-Jahren „ziemlich rechtsextrem“. Als er Ende der 1980er-Jahre dort eingestiegen sei, habe er zusammen mit anderen jene Radikalität beendet.
In der Tat kommt es Ende der 1980er-Jahre zur Zersplitterung des BHJ. Vertreter mit radikalen Ansichten wechseln, legt man einschlägige Quellen zugrunde, entweder direkt zur HDJ oder über den Umweg Wiking-Jugend, die später verboten wird, auch zur HDJ. Der damals etwa 20 Jahre alte Dorff bleibt offenbar beim gemäßigten Flügel des BHJ, der im Freibund aufgeht.
Dorff, in den 1990er-Jahren Jura-Student in Kiel, engagiert sich sowohl beim Freibund als auch beim RCDS, dem Ring Christlich-Demokratischer Studenten. Dort wird er Vize-Landeschef. In die Zeit seines damaligen Wirkens fallen auch Veranstaltungen mit rechtsorientierten Gesinnungsgenossen.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz ließ eine Anfrage der Volksstimme zu Rüdiger Dorff, BHJ und Freibund bislang unbeantwortet. Wälzt man einschlägige Unterlagen, taucht immer wieder der Name Dorff auf. Es handelt sich nach Recherchen der Volksstimme um Geschwister von Rüdiger Dorff. Der mag dazu nichts sagen.
Wie ist all dies heute – rund 20 Jahre später – einzuschätzen? Wie beurteilt Rüdiger Dorff sein damaliges Engagement aus heutiger Sicht? „Das ist mein Privatleben, das liegt weit zurück“, betont er. Die Möglichkeit, sich hier und heute klar und unmissverständlich öffentlich davon zu distanzieren, nutzt er nur teilweise.
Ja, er sei einst RCDS-Vize-Landeschef in Schleswig-Holstein gewesen. Es habe damals Auseinandersetzungen mit dem linken Spektrum gegeben. Und ja – „ich war beim BHJ/Freibund in einer Organisation mit rechtsextremer Vergangenheit“. Dorff räumt mit Blick auf diese extremistische Vergangenheit auch ein: „Das, was dort in den 1970er Jahren gewesen ist, das geht gar nicht.“
Doch was motiviert einen Jurastudenten, der für Recht und Gesetz in Deutschland stehen soll und will, sich just dort zu engagieren? Der Faktor Zufall habe eine gewisse Rolle dabei gespielt, dort reingekommen zu sein. „Und ich würde heute nicht mehr alles so machen.“ Er distanziere sich von allen rechtsextremen Anwandlungen und lehne sie ab. Der Bund (Freibund) habe ihm aber viel gegeben – unter anderem die Neugier auf fremde Kulturen. War das Engagement – rückblickend betrachtet – dennoch ein Fehler? „Ich habe dazu heute eine ambivalente Betrachtung“, so Rüdiger Dorff.
Zudem legt er darauf Wert, nie ins Visier von Polizei oder Verfassungsschutz geraten zu sein. Was der Überprüfung standhält: Nach Recherchen der Volksstimme gibt es keinen Eintrag im Führungszeugnis. Andernfalls dürfte er es auch kaum zum Chef von Haupt- und Rechtsamt der Stadtverwaltung Wernigerode geschafft haben.
Wobei die Kernfrage bleibt: Sollte Rüdiger Dorff mit dieser Vergangenheit möglicher Kandidat für den Vize-OB-Posten sein? Er selbst hält sich zurück: „Ich werfe meinen Hut nicht in den Ring, aber wenn der Stadtrat das will, bin ich bereit.“
Das bleibt abzuwarten. OB Peter Gaffert (parteilos) reagiert, angesprochen auf die grundsätzliche Personalentwicklung im Rathaus und die Personalie Dorff, einigermaßen verschnupft. Im Moment werde lediglich der Nachfolger des scheidenden Dezernenten Andreas Heinrich gesucht. Die Entscheidung soll in der Stadtratssitzung am 8. Dezember fallen.
Wem die Funktion des Vize-Oberbürgermeisters übertragen wird, werde nicht mehr in diesem Jahr entschieden. Mit Blick auf Rüdiger Dorff sagt Peter Gaffert: „Er hat in den neun Jahren, seit ich Oberbürgermeister bin, eine gute Arbeit geleistet. Und jeder hat eine zweite Chance verdient.“