Säure-Havarie Ganze Forellen-Generation in Wernigerode tot
Das Holtemme-Ökosystem in Wernigerode wird Jahre brauchen, um sich zu erholen. Bei einer Havarie war Schwefelsäure in den Fluss gelaufen.
Wernigerode l Eintagsfliegen, Krebse, Wasserasseln, Molche und die Harzer Bachforelle: Das Leben all dieser Tiere ist für mindestens ein Jahr ausgelöscht. Davon geht Tommy Löwenberg aus. Der Vorsitzende des Wernigeröder Angelvereins hat wenig Hoffnung, dass auch nur ein kleiner Teil des Laichs im Bereich des Betriebsgeländes des Batteriewerks an der Steinernen Renne bis zum Zulauf des Braunen Wassers überlebt hat. Die Folgen der Havarie für das sensible Ökosystem, bei der vor zwei Wochen hochkonzentrierte Schwefelsäure in die Holtemme gelangt war, seien noch nicht absehbar.
Nachdem am 13. November säurehaltige Abwässer aus dem Betrieb in die Holtemme gelangt waren, sammelten die Mitglieder des Angelvereins sowie des Wildfisch- und Gewässerschutzvereins zwischen 1000 und 1500 verendete Fische ein. Das hat Folgen für die nächste Generation der Harzer Bachforelle, die das Wernigeröder Wappentier ist. „Jungfische aus diesem Sommer, aber auch große, laichfähige Forellen und mit ihnen Hundertausende Fischeier in den Kiesbetten sind getötet worden“, so Löwenberg. Es werde also mindestens drei Jahre dauern, bis sich der Bestand erholt habe, so der Angelvereinsvorsitzende. Einen neuen Fischbesatz hält der Wernigeröder hingegen für ausgeschlossen. In der Holtemme leben ausschließlich Wildfische.
Bisher sei die Vorstellung des Hobbyanglers, die Fische 2020 mit Hilfe des Menschen zu vermehren. Dazu wird der Laich der trächtigen Weibchen abgestreift. Der Rogen der weiblichen Fische wird mit der Milch der männlichen Fische besamt. „Milch und Rogen werden dann vorsichtig mit einer Feder vermischt“, so Löwenberg. Dann werde es ein weiteres Jahr dauern, bis die jungen Forellen ausgesetzt werden.
Die Ermittlungen nach der Havarie im Batteriewerk von Eternity Technologies Manufacturing (E.T.M-Batteriewerk/ehemals Werbat GmBH) an der Steinernen Renne dauern unterdessen an. „Es wird gerade an einem Gutachten gearbeitet, welches die Ursache klären soll“, teilt Franziska Banse mit. Dafür arbeiten das Umweltamt des Landkreises, Mitarbeiter des betroffenen Batterietriebs sowie ein externes Planungsbüro eng zusammen, so die Sprecherin der Harzer Kreisverwaltung weiter.
Nach derzeitigen Erkenntnissen seien in einer Anlage der Firma etwa vier Kubikmeter hochkonzentrierte Schwefelsäure ausgetreten. Nach Angaben der Behörde konnte der Großteil der ausgetretenen Schwefelsäure in einem speziell für Havarieunfälle vorgesehenen Auffangkanal zurückgehalten werden. Andernfalls wäre weit mehr passiert. Welche Menge der ätzenden Flüssigkeit über den Regenwasserkanal tatsächlich in den Fluss gelangte, sei bisher noch unklar. Die Staatsanwaltschaft sei in die Ermittlungen einbezogen worden, heißt es aus der Kreisverwaltung.
Laut E.T.M.- Geschäftsführer Uwe Saar plant die Batteriefabrik demnächst in neue, moderne und noch sicherere Anlagen zu investieren. Auch er sei an einer gründlichen und lückenlosen Aufklärung der Vorfälle interessiert, so der Geschäftsführer von Eternity Technologies Manufacturing.
Eine Gefahr bestehe aktuell nicht mehr, so Banse. Die Schwefelsäure in der Holtemme habe sich durch den Zufluss weiterer Gewässer weiter verdünnt und damit neutralisiert.
Derweil fragen sich viele Wernigeröder, wieso ein Betrieb, der mit Gefahrstoffen umgeht, an solch einer sensiblen Stelle im Landschaftsschutzgebiet überhaupt tätig sein darf. Die Frage von Jürgen Feustel, ob man den Betrieb in ein Gewerbegebiet umsiedeln könnte, kann die Kreisverwaltung nicht beantworten. Dazu werde man die abschließenden Untersuchungen aus dem Gutachten abwarten. „Gesetzlich ist es erlaubt, dass eine Firma dort ihren Standort hat“, so die Kreissprecherin.
Der Wernigeröder Betrieb blickt auf 70-Jährige Tradition an diesem Standort zurück. Immer vorausgesetzt, die Sicherheitsbestimmungen werden eingehalten. Das sei bei dem Unternehmen an der Steinernen Renne der Fall. Der Betrieb werde regelmäßig von Mitarbeitern des Umweltamtes, diversen Wartungsunternehmen sowie dem Landesbetrieb für Hochwasserschutz- und Wasserwirtschaft (LHW) kontrolliert.