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Integration Syrer finden zweite Heimat

Die Familie Al Rabbaa lebt seit einem Jahr in Wernigerode. Die fünf Syrer sind gut integriert und sogar schon zu Laubenpiepern geworden.

Von Julia Bruns 30.06.2017, 01:01

Wernigerode l Der 30. Juni 2016 ist ein Tag, an den sich Familie Al Rabbaa noch lange erinnern wird: Ein tränenreiches Wiedersehen, das das Ende der Flucht der beiden Söhne aus Syrien markiert. Vater Feras, Mutter Shirin und die kleine Schwester Jessica schließen am Flughafen Berlin-Schönefeld die beiden Söhne Hazem und Salem nach einem Jahr in die Arme.

Mittlerweile lebt die syrische Familie seit einem Jahr in Wernigerode. „Es ist das Paradies“, sagt Feras Al Rabbaa im Gespräch mit der Volksstimme. „Ich habe nicht einmal ein böses Wort, eine böse Geste erlebt.“ Die Stadt erinnere ihn an seine eigene Heimat, das mittelgroße Städtchen Djeret Artouz, 15 Kilometer von Damaskus entfernt. „Wir haben unser Land geliebt. Syrien ist ein wunderschönes Land, und wir sind nur hier, weil der Krieg uns vertrieben hat.“ Unweit seiner Stadt gab es bereits Gefechte.

Viel habe er vor der Familienzusammenführung am 30. Juni 2016 über die Deutschen gehört – Gutes wie Schlechtes. „Wir sind nach Deutschland gekommen, um hier in Frieden leben zu können. Doch was wir gefunden haben, ist viel mehr: Freunde und Familie, Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft.“ Nach einem Jahr in Wernigerode ist die Familie angekommen.

Vor einer Woche haben er und Ehefrau Shirin den Integrationskurs mit einer Prüfung abgeschlossen. Seit November hatten sie die Schulbank in der Akademie Überlingen gedrückt. In Syrien arbeitete Feras Al Rabbaa in einem der größten Hotels des Landes, dem Fünf-Sterne-Haus „Le Meredien“ in Damaskus. „Ich möchte eigenes Geld verdienen“, sagt er entschlossen. Seine Frau Shirin will ebenso gerne einen Job finden.

Die zehnjährige Jessica, die die Stadtfeld-Grundschule besucht, spricht schon recht gut deutsch. Ebenso die beiden Söhne: Hazem ist im Zimmerservice des HKK-Hotels beschäftigt, und Salem arbeitet als Damenfriseur. Beide spielen in ihrer Freizeit typisch syrischen Musik auf orientalische Instrumenten.

Bei einem ihrer ersten Konzerte in der Remise des Kunst- und Kulturvereins war Werner Kropf vom Wernigeröder Interkulturellen Netzwerk (WIN) auf die syrischen Musiker aufmerksam geworden. Ein Glücksfall für die Familie. Damals lebten Salem und Hazem mit weiteren Musikern vorübergehend in einer Wohnung des Kunst- und Kulturvereins. „Wir haben uns dann um eine feste Wohnung bemüht, diese im Angerhof gefunden“, sagt Werner Kropf, der fließend Arabisch spricht. Er unterstützt die Syrer bis heute bei Behördengängen. Dafür ist ihm Feras Al Rabbaa dankbar.

Was ihm an der Stadt am besten gefalle? „Unsere Wohnung“, sagt er, ohne lange zu überlegen. Die Familie lebt in einer Fünf-Raum-Wohnung im Stadtfeld. In der Wohnung hängt ein Wandteppich aus der Heimat, er zeigt eine Straßenszene aus Damaskus.

Bei der Suche nach einer geeigneten Bleibe wurde die Familie von den Mitarbeitern der Wernigeröder Gebäude- und Wohnungsbaugesellschaft unterstützt. Eine grüne Oase haben sie wenige Meter weiter in der Kleingartensparte gefunden, denn Familie Al Rabbaa ist nun unter die Laubenpieper gegangen. „Ich fand es so gut, dass unsere Nachbarin vor Kurzem bei uns vorbeikam, um mit uns Tee zu trinken“, sagt Feras Al Rabbaa. Und so fühlen sich mittlerweile in Wernigerode alle Mitglieder der Familie wohl und zu Hause in der Stadt.

Vergessen sind die bangen Monate, als die Fünf getrennt waren. Der 16-jährige Hazem und der 18 Jahre alte Salem waren im Juli 2015 über die Balkanroute aus ihrer Heimatstadt Djeret Artouz geflohen, da ihnen der Einzug ins Militär drohte. Sie erfuhren auf ihrer Flucht viel Schlimmes, wurden wie viele andere in Ungarn geschlagen.

„Am 17. Juli sind sie in Halberstadt in der zentralen Anlaufstelle angekommen“, sagt Werner Kropf. Dreimal pro Woche half der Wernigeröder damals in der zentralen Anlaufstelle für Asylsuchende in Halberstadt ehrenamtlich aus. Im März begannen die Brüder ihren Integrationskurs. „Da Hazem noch minderjährig war, konnten wir eine Familienzusammenführung beantragen“, sagt Werner Kropf. Bis zum letzten Tag sei nicht klar gewesen, ob der Familie in Syrien die Papiere bis zum geplanten Abflug am 29. Juni von Damaskus nach Beirut ausgehändigt würden.

Am 30. Juni ging der Flieger von Beirut nach Berlin. „Da Salem und Hazem ihre Lieben persönlich am Flughafen empfangen wollten, fuhren wir mit einem VW-Bus nach Berlin“, berichtet Werner Kropf. Weil Shirin, Feras und Jessica ihr Gepäck als allerletzte Passagiere in Berlin entgegennehmen konnten, verging mehr als eine Stunde nach der Landung. „Hazem und Salem hatten schon fast die Hoffnung aufgegeben, als die drei Ankömmlinge dann endlich erschienen.“ Viele Tränen seien geflossen, die Freude sei riesengroß gewesen.

Ein Jahr ist seitdem vergangen. Für Vater Feras Al Rabbaa Grund genug, sich bei den Menschen zu bedanken, die seiner Familie in Wernigerode unterstützt haben. Seine Liste ist lang: Lothar Andert, Martina Tschäpe und Werner Kropf vom Wernigeröder Interkulturellen Netzwerk (WIN), Anke Oberth und Amel Kühne von der Akademie Überlingen, Pfarrer Stefan Hansch von der Mariengemeinde, Pfarrerin Heide Liebold von der Johannisgemeinde, Siegfried Bräunling von der Kleingartensparte, Hausärztin Elisabeth Flägel, Gebäude- und Wohnungsbaugesellschaft Wernigerode, Harzsparkasse, Einwohnermeldeamt, Kommunale Beschäftigungsagentur, Leiter Wolfgang Berge und Lehrerin Anne Matthes von der Stadtfeld-Grundschule sowie die Friseure Marita Ahrend, Andrea Lietke und Henrik Wagner.