Bayerischer Spielzeug-Narr näht auch in Wernigerode Augen, Arme und Köpfe an Vom Kaiserbaby bis zur Barbie: Doktor Günter Geier pflegt alle Puppen gesund
Auge kaputt, Arm rausgerissen und Kopf ab. Auf seiner Abschiedstour hat Deutschlands dienstältester Puppendoktor ein letztes Mal Spielzeugpatienten in Wernigerode geheilt. Nach 52 Dienstjahren setzt sich Günter Geier zur Ruhe.
Wernigerode l Günter Geier aus Altendorf in Bayern könnte als erfolgreichster Arzt Deutschlands bezeichnet werden. In 52 Dienstjahren gab es keinen einzigen Patienten, dem er nicht helfen konnte. Dabei sind auf dem Operationstisch des Puppen- und Teddybärendoktors in all den Jahren viele hochdramatische Fälle gelandet: abgerissene Arme, ausgehakte Beine, Patienten ganz ohne Augen und sogar ohne Kopf sind für den 72-Jährigen an der Tagesordnung.
Bei diversen Krankheitsbildern war sein Fachwissen auch in diesen Tagen wieder in Wernigerode gefragt. In einem Einkaufscenter hat er mit seiner mobilen Praxis Halt gemacht. Im Gepäck: 15000 Ersatzteile, Perücken, Anziehsachen sowie 10000 Äuglein für seine leblosen Patienten. "Ich reise auf meiner Abschiedstour noch einmal durch ganz Deutschland und auch Österreich", erzählt Günter Geier, der in seinem Heimatort eine richtige Puppenklinik betreibt. Er selbst wolle eigentlich noch gar nicht in den Ruhestand gehen. Doch Ehefrau Ute habe ihn allmählich zum Aufhören bewogen.
Als einer von Deutschlands ältesten und erfahrensten Puppendoktoren hat der Senior keine ruhige Minute. Seit Jahren reist er durch das Land und heilt Spielzeugpatienten. Seine Ehefrau ist stets dabei, strickt und häkelt Puppenkleidung. Vieles davon kann er auf einen Blick in die 1930er Jahre oder früher zurück datieren.
"Deutschland war einmal die Weltspitze in der Produktion von Puppen", erklärt er. "In den 1930er Jahren waren besonders die Thüringer herausragend. Puppen wurden in die ganze Welt exportiert. Heute sind die asiatischen Länder fast Alleinherrscher auf dem Markt."
Während Geiers ersten Berufsjahren gab es noch in jeder deutschen Stadt einen Puppendoktor - oft tauschten sie sich untereinander aus. "In großen Städten gab es mehrere Puppendoktoren und auf dem Lande reparierte meist der zuständige Friseur die Spielzeuge", weiß Geier. Nach einer Lehre zum Schneider absolvierte er mit 20 Jahren ein Praktikum bei einem Puppendoktor. Als Bruder von fünf Schwestern waren Puppen als Spielzeug für ihn normal. Während er sich damit beschäftigte, spielten die Mädchen mit seiner Modelleisenbahn.
"Puppendoktor ist ein künstlerischer Beruf", erklärt der Franke, weist aber darauf hin, dass seine Tätigkeit vor allem auch psychologisch anspruchsvoll ist."Hinter jeder Puppe steckt ein Mensch, der an ihr hängt und mit ihr aufgewachsen ist", berichtet Geier. Vorrangig seien es Erwachsene, die an ihn herantreten und ihre historischen Puppen und Teddys reparieren lassen möchten. "Natürlich heile ich auch mal eine Baby Born oder eine Barbie. Meist sind aber alte Puppen meine Patienten."
Günter Geier blickt auf viele verzwickte Fälle und auch außergewöhnliche Patienten zurück. Als Beispiel fällt ihm spontan das Kaiserbaby ein - eine Puppe, die nach dem letzten deutschen Kaiser Wilhelm II. geformt und benannt ist. Nur wenige von diesen Puppen wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts angefertigt und sind unter Sammlern äußerst begehrt. Im Internet erzielen sie derzeit Preise bis zu 18000 Euro.
Solche und andere historische Puppen hatte Geier schon mehrfach vor sich. Mancher Fall war so schwierig, dass er schon einmal drei Tage daran gesessen hat. Modellieren, Schleifen, Färben und Nähen gehören zu seinem Beruf - die alten Puppen sind oft aus Pappmacheé, Celluloid oder Porzellan.
Geier kennt sich zudem mit Marionetten aus, gibt Marionettenbaukurse und berät über Puppenpflege. Auch die "normalen" Puppen zuhause könne jeder einfach schützen: "Werden Puppen mit Vaseline eingeschmiert, blättert die Farbe nicht so schnell ab. Und wenn ein Teddy von Motten befallen ist, einfach in eine Plastiktüte einwickeln und ins Gefrierfach legen", rät der Profi.
Auch die Haare einer Puppe solle der Besitzer öfter einmal kämmen und ab und an auch mit mildem Shampoo waschen. Mütter sollten allerdings unbedingt davon Abstand nehmen, die leblosen Spielgefährten ihrer Kinder zum Reinigen in die Waschmaschine zu stecken.