Harz Bis auf das i-Tüpfelchen
Jeder Wanderer kennt die handbeschrifteten Hinweisschilder im Wernigeröder Wald. Einige von ihnen müssen nun vom Harzklub erneuert werden.
Wernigerode l Ob vom Kalten Tal zum Försterplatz, durchs Mühlental zum Westerntor oder durch den Wald zum Bahnhof Drei Annen Hohne: Die Schilder des Wernigeröder Harzklubs weisen Wanderern zuverlässig den Weg, führen sie an interessanten Aussichtspunkten vorbei und über reizvolle Strecken rund um Wernigerode. In der Summe sind es über 800 Hinweistafeln. Was sie besonders und einzigartig macht – sie sind weder bedruckt, noch beklebt, sondern fast alle von Hand beschriftet.
Verschlissene oder beschädigte Schilder landen in der Regel auf dem Küchentisch von Nicole Friedrich. Sie ist die Ehefrau von Wernigerodes Harzklub-Chef Volker Friedrich und seit einigen Jahren für die Beschriftung der Tafeln zuständig.
In diesen Tagen allerdings hat die 44-jährige Harzklublerin deutlich mehr zu tun als für gewöhnlich. Ende 2020 hatten Unbekannte etliche Hinweistafeln im Wald demoliert, andere fehlten gänzlich.
Ein Schlag ins Gesicht für die rührigen Harzklub-Mitglieder, die sich ehrenamtlich um über 100 Wanderwege mit insgesamt mehr als 200 Kilometern Länge kümmern. Und dazu gehören eben auch die Erneuerung und Reparatur der Hinweistafeln. Verständlich, dass beim Harzklub die Empörung über diesen „irrsinnigen Vandalismus“, wie Volker Friedrich sagte, riesig war.
Einen Teil der beschädigten Schilder habe Wegewart Helmut Pook mit dem Gummihammer ausgebeult und wieder an Ort und Stelle angeschraubt, so der Harzklub-Chef. Was nicht mehr zu retten war oder als Diebesgut der Randalierer verschollen ist, muss nun ersetzt werden.
Und das ist sehr aufwendig, wie Nicole Friedrich im Volksstimme-Gespräch berichtet. Die Rohlinge für die Wanderschilder müssen beim Harzklub-Hauptverein geordert werden. Die etwa 1,5 Millimeter starken Zinkbleche sind dann bereits weiß beschichtet und an den Kanten gefalzt. „Wir behandeln die Schilder mit Spiritus, um die Oberfläche zu mattieren“, sagt Nicole Friedrich. „Sonst hält die Farbe nicht.“ Die feuerrote Lackierung der Kanten übernimmt Volker Friedrich höchstpersönlich.
Erst danach kommt seine Frau ins Spiel. „Als erstes markiere ich die Bohrungen, dann schaue ich, wie viele Zeilen ich brauche und zeichne mir Hilfslinien vor“, beschreibt sie die nun anfallenden Arbeitsschritte. Maximal fünf Zeilen pro Schild seien möglich. Ist der Text länger, kommt er auf eine zweite Tafel. Auch der Standard-Aufkleber des Harzklubs – die grüne Tanne - muss seinen Platz finden. Danach wird geschrieben.
Und zwar mit Pinsel, schwarzer Farbe und mit dem für den Wernigeröder Harzklub typischen Schriftbild. Ein Schriftbild, das von Kuno Böttcher geprägt wurde. Das langjährige Harzklub-Mitglied hat in der Vergangenheit die meisten der 800 Schilder beschriftet und im Laufe der Zeit immer wieder ausgebessert. Nach fast 20 Jahren zog er sich aus Altersgründen zurück.
Ein Nachfolger musste her und fand sich mit Nicole Friedrich. „Jeden einzelnen Buchstaben hat er mir vorgeschrieben.“ Vom A bis zum Z und bis zum i-Tüpfelchen. „Er hat mir Kopien und Ausdrucke mitgegeben“, erinnert sich Nicole Friedrich. Zuerst habe sie sich an den Vorlagen orientiert. „Aber jetzt brauche ich sie nicht mehr.“
Und dabei ist nicht jeder Buchstaben gleich einfach. „B und R liegen mir nicht. Die kriege ich heute noch nicht hin.“ Anders als das S. „Das ging früher gar nicht. Heute ist es mein Lieblingsbuchstabe.“ Und was ist, wenn sie sich verschreibt? „Ich wische es ganz schnell weg“, sagt Nicole Friedrich. „Wenn ich zu lange warte, geht die Farbe nicht mehr ab. Dann kann ich das Schild wegschmeißen.“
Inzwischen hat sie sich so in die besondere Schrift eingefuchst, dass sie die Unterschiede zwischen ihren Schildern und denen von Kuno Böttcher gar nicht mehr erkennt. „Wenn ich im Wald eine Tafel sehe, muss ich immer überlegen: Ist sie nun von Kuno oder mir?“
Mit der Beschriftung sind die Hinweistafeln aber noch lange nicht fertig. „Dann kommen die Pfeile und Piktogramme – beispielsweise für Wegemarkierungen oder für Gasthaus, Aussichtspunkt oder Bushaltestelle. „Ich schneide sie aus Folie und klebe sie auf.“ Und wenn noch Platz auf dem Schild ist, sind „einige Faxen erlaubt“, sagt Nicole Friedrich. „Bäume, Gebäude, Tieren oder Pflanzen – damit es nicht so kahl aussieht.“
Gut zwei Stunden braucht Nicole Friedrich für ein Schild. „Vier Schilder sind fertig, drei habe ich noch vor mir.“ Wohlgemerkt in ihrer Freizeit und nach ihrer Arbeit als Außendienstlerin im Wernigeröder Ordnungsamt. Ein Aufwand, der eigentlich nicht hätte nötig sein müssen, wären die Randalierer nicht gewesen. „Man fragt sich, was in diesen Leute vorgeht“, sagt die 44-Jährige kopfschüttelnd. „Das sind richtige Idioten.“