Überraschungsfund in St. Johannis Zwei Schatz-Schatullen voller Wernigeröder Geschichte (n)
Wernigerodes Kirche St. Johannis ist seit Mitte Mai wieder Baustelle. Im August soll der zweite Abschnitt abgeschlossen sein. Bei den Arbeiten wurden überraschend zwei Schatullen entdeckt. Deren Öffnung förderte historische Dokumente und Münzen zutage.
Wernigerode. Nein, damit habe er nie und nimmer gerechnet, sagt Hans-J ürgen Kant. Er dachte, die Turmkugel auf dem Dachreiter sei leer. Ist sie aber nicht. Zwei Schatullen aus Metall sind in ihr verborgen. Kurz vor Himmelfahrt wurden sie bei den Bauarbeiten entdeckt.
Der Pfarrer hat zur Öffnung die Mitglieder des Gemeindekirchenrates eingeladen. Es ist Donnerstag, 17 Uhr. Der Sturm zerrt an den Baugerüsten draußen vor dem Ostteil der Johanniskirche.
In deren Innerem herrscht andächtige Stille. Walter Meyer setzt vorsichtig den Schneidbrenner an die erste der beiden Schatullen. Millimeterweise lüftet der Dachdeckermeister das Geheimnis der bleiernen Kiste. Den Rest erledigt er mit einer Eisensäge.
Bereits nach wenigen Minuten kann Lutz Walter zur Tat schreiten. Der Wernigeröder Papierrestaurator greift weiß behandschuht zur Pinzette. Behutsam zieht er den Inhalt aus der Hülse. Eine kleine Schachtel und Papierfetzen fördert der Experte ans Licht. Ein Raunen geht durch die Runde.
1953 war letztmals an dem historischen Gebäudeteil gewerkelt worden, berichtet Hans-J ürgen Kant. Unter Pfarrer Konrad Schnabel, der zwischen 1932 und 1958 Oberhaupt von St. Johannis war. Kant : " Ich bin gespannt, was die Gemeinde zu DDR-Zeiten bewegt hat. " Und : " Da fällt mir sofort der 17. Juni ein. "
Die Neugier des Theologen bleibt allerdings zunächst ungestillt. Stattdessen hält Lutz Walter eine Medaille der Mainarmee von 1866 in der Hand. Eine zweite stammt von 1871. Dann folgen Münzen. 10 und 50 Pfennig, eine Mark. Alle von 1874 mit der Prägung Deutsches Reich. Auch außer Kurs gesetzte Geldstücke wie 4 und 5 Pfennig und ein sogenanntes 2-Johannisstück aus dem Jahre 1874 überdauerten die Zeit. Der Restaurator schaut prüfend durch die Lupe auf weitere Schätze. Walter : " Diese zwei Münzen hier sind die ältesten Stücke. Sie stammen aus dem 18. Jahrhundert. "
Dann das Papier. Gut, dass Anna Nickstadt ( 88 ) und Hildegard Bührig ( 80 ) trotz des schlechten Wetters den Weg in ihre Kirche nicht gescheut haben. Die beiden Frauen entziffern beinahe mühelos die altdeutsche Schrift. Und deshalb erfahren die Umstehenden, dass da auch eine Liste der Schulversäumnisse von 1877 in der Hülse ruhte. Unterzeichnet mit Markert, Hauptlehrer der Mädchenvolksschule.
Bei dem zweiten " Schatzkästchen " aus Kupfer hat Walter Meyer weit weniger Mühe. Sie ist vollgestopft mit Papier. Lutz Walter entrollt ein Intelligenzblatt, erschienen am Mittwoch, 8. November 1876. Auf Seite 1 steht ein großer Artikel zur Einführung der neuen Kreisordnung.
Auch ein handgeschriebener Brief steckt in der Schatulle. Er stammt von 1877. Ein damaliger Kirchenältester schildert die Entwicklung der bunten Stadt am Harz. In allen Branchen gehe es aufwärts seit dem Bahnbau 1872, konstatiert der Schreiber. Er listet die Zahl der Mühlen und Brennereien auf, vermerkt Getreide- und Fleischpreise. Über Gebäude wie Gräflicher Marstall, Rathaus und das neue, seit 20 Jahren im Bau befndliche Schloss steht darin zu lesen. Und so hofft der Verfasser : " ... dass unser schönes Wernigerode sich auch in der Zukunft in guter Verfassung bef nden möge ".
Doch das Beste hat sich der Fachmann bis ganz zuletzt aufgehoben. Lutz Walter glättet ein Adressbüchlein für die bunte Stadt am Harz, Nöschenrode und Hasserode. Obgleich 1877 erschienen, mutet es an wie beinahe neu. Ebenfalls sehr gut erhalten ist ein loses Blatt. Ein Dachdeckermeister Glaucke hatte darauf in Reimen seine Rede zur Krönung des östlichen Dachreiters festgehalten.
Nach gut einer Stunde sind alle Zeugnisse der Vergangenheit gründlich betrachtet worden. Das vermoderte Papier aus der Bleihülse will der Restaurator wieder zusammensetzen.
Ob die Originalstücke beim Abschluss der jetzigen Sanierung wieder in der Turmkugel ihren Platz fnden, muss die Johannisgemeinde entscheiden. Deren Pfarrer wirkt trotz allem leicht enttäuscht. Zum Volksaufstand am 17. Juni 1953 in Wernigerode hat er nämlich in keiner der beiden Schatullen auch nur die winzigste Spur entdecken können. Übrigens