Ohre Die Ohre in Wolmirstedt: Lebensraum oder Patient?
Der Zustand der Ohre gerät immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik. Erst kürzlich forderte eine Bürgerinitiative auf: Rettet die Ohre. Dabei geht es um das Teilstück im Stadtgebiet. Doch genügt es, den Fluss nur in diesem Teil zu sehen?
Wolmirstedt - Die Ohrepromenade im Bereich des Fischerufers und des Jungfernstiegs gehört zu den Lieblingsspazierwegen der Wolmirstedter. Bänke laden zum Verweilen ein, tragen Namen, wie „Ruhepause“ oder „Ohreblick“. Letzterer ist in den Sommermonaten jedoch eher leeres Versprechen als Programm. Eine hochgewachsene Brennnesselwand versperrt den Blick zum Fluss. Das ärgert Bürger, sie möchten ihre Ohre sehen. Doch die Frage, ob die Brennnesseln gemäht werden oder nicht, ist vor allem ein Kompetenzstreit zwischen Nabu, Stadt und Landesbetrieb für Hochwasserschutz (LHW).
Die Stadt ist nicht zuständig, mäht lediglich einen Meter neben dem Weg. Der Nabu ist ebenfalls nicht zuständig, hat aber in vergangenen Jahren manchmal Geld für die Mahd aufgetrieben und den Blick zur Ohre ab und an freigehalten. Zuständig ist der Landesbetrieb für Hochwasserschutz, allerdings nicht für die Optik, sondern - grob gesagt - für die Funktion des Flusses. Da stören Brennnesseln nicht, sie werden bei Hochwasser einfach überspült.
Hinter den Brennnesseln ist die Ohre Biotop
Der Blick hinter die Brennnesseln zeigt, im und am Fluss geht es recht lebendig zu. Wer sich auf eine Kanutour von Elbeu bis Loitsche begibt, erlebt die Ohre als Biotop. Üppiger Bewuchs bietet Libellen mit tiefblauen Flügeln eine Heimat, sie tummeln sich auf Seerosen oder im Schilf. Über die gesamte Tour hinweg flattern Heerscharen dieser eleganten, schillernden Flugkünstler links und rechts Spalier.
Auch Vogelfreunde kommen auf ihre Kosten. Reiher schwingen sich aus dem Schilf empor, schrilles Fiepen aus dem Ufergrün verrät, Vogeleltern ziehen ihre Jungen groß. Wer ganz großes Glück hat, kann sogar Eisvögel entdecken. Jenseits der Stadt wagen sich Biber aus dem Bau. Am Ufer blöken Schafe, muhen Kühe.
Wurzelhöhlen bieten Fischen Laichplätze
Zurzeit führt der Fluss ausreichend Wasser, das Boot schabt lediglich im Bereich der Elbeuer Brücke sanft auf Grund. Ungehindert lässt sich die Ohre trotzdem nicht passieren, an vielen Stellen liegen Bäume quer im Wasser. Weiden vor allem, aber auch Eichen. Sie wurden von Menschenhand gestutzt, Boote lassen sich geschickt daran vorbeisteuern. Andere Baumriesen krallen sich mit letzter Kraft im Erdreich fest, ein Teil der Wurzeln ist längst unterspült.
Die Wurzelhöhlen bieten Fischen Laichplätze und anderem Getier Unterschlupf. Gestürzte Bäume werden der Natur überlassen, Waldreben umranken Totholz, aus Sandbänken empor wachsen neue Bäume.
Solche Hindernisse werden von Flussexperten nicht unbedingt verteufelt. Sie engen den Fluss ein, sodass er schneller fließt. Auch deshalb sind die Anlandungen, die sich im Stadtbereich der Ohre gebildet haben, durchaus erwünscht. Der Gewässerökologe Professor Volker Lüderitz warnt, solche Anlandungen zu entfernen.
Brennnesseln sollen Sichtfenster bekommen
Den Brennnesselwuchs zu unterdrücken, erfordere nach Ansicht des Experten andere Maßnahmen. Sie zeigen, dass viel Stickstoff im Wasser ist. Die Nährstoffe gelangen durch die Landwirtschaft im oberen Flusslauf in die Ohre. Lüderitz empfiehlt, Pflanzen zu setzen, die beschatten und die Brennnesseln verdrängen.
Das wünscht sich nun auch die Bürgerinitiative „Rettet die Ohre“. Mitglied Jürgen Bednorz erklärte im Bauausschuss, vor allem der Unterhaltungsrahmenplan der Ohre solle umgesetzt, außerdem der Uferbereich entwickelt werden. Doch das ist ein Dilemma. Der Unterhaltungsrahmenplan sieht zwar unter anderem vor, dass Anlandungen entfernt werden, aber nur, wenn es notwendig ist. Die Notwendigkeit im Sinne des Flusslaufs ist nicht dieselbe Notwendigkeit, die sich Spaziergänger oder Ohreanlieger wünschen.
Dennoch hat es kürzlich ein Gespräch gegeben. Vertreter des LHW, der Stadt, des Landkreises und des Nabu haben sich verständigt, den Blick auf die Ohre ein Stück weit freizugeben. Nabu-Chef Jörg Brämer kann sich vorstellen, die Brennnesseln dort zu beseitigen, wo der Blick auf die alte Elbe fällt oder im Bereich der Sitzbänke eine Art Sichtfenster zu schaffen. „Wir möchten auch die Infotafeln wieder aufstellen.“ Die gab es schon einmal am Ohreufer, sie wurden jedoch beschmiert. Nun sind sie wieder hergerichtet und könnten bald von Flora und Faune des Flusses erzählen. Bis es den Brennnesseln an den Kragen geht und die Tafeln stehen, sind jedoch noch Abstimmungen nötig.