Freiheit in Europa und in der DDR: Zeitzeugen berichten von Stasiverfolgung und Stasiknast "Die Spitzel trugen die längsten Haare"
Im Kurfürst-Joachim-Friedrich-Gymnasium läuft ein internationales Projekt. Neun Jugendliche werden in einen Austausch mit Bulgarien und Lettland treten. Das Thema ist die Freiheit in der Europäischen Union.
Wolmirstedt l Neun Mädchen und Jungen des Wolmirstedter Gymnasiums werden im März nach Bulgarien reisen. Dort kommen sie mit jeweils zehn Jugendlichen aus Bulgarien und Lettland zusammen. Alle 29 Jugendlichen werden sich mit den Menschenrechten und der Freiheit in der Europäischen Union beschäftigen.
Um den Begriff Freiheit einordnen zu können, wird die Freiheit in der Europäischen Union an der Freiheit in der DDR gemessen. Zwei Zeitzeugen haben sich auf den Weg ins Gymnasium gemacht und berichteten von ihren Erfahrungen mit der Staatssicherheit und aus der Zeit der Haft im Stasi-Gefängnis.
"Dieses Projekt ist eine tolle Möglichkeit, mit Zeitzeugen ins Gespräch zu kommen und die Geschichte nicht immer nur aus Büchern zu lernen", sagte Rebecca Lange aus der elften Klasse. Was Rebecca und die anderen acht Mädchen und Jungen von den Zeitzeugen anschließend hörten, ließ ihnen dann aber doch die Haare zu Berge stehen. Ralph-Peter Klingenberg und Escamillo Grünheid haben im Stasi-Knast am Magdeburger Moritzplatz eingesessen, der inzwischen eine Gedenkstätte ist.
Klingenberg und Grünheid arbeiten im Zeitzeugenprogramm dieser Gedenkstätte. Ihre Aufgabe und Mission ist es "aus dem traurigsten Kapitel ihres Lebens", so Grünheid, zu berichten. Dabei werden sie von Mitarbeitern der Gedenkstätte begleitet. Leiter Daniel Bohse, Mitarbeiter Frank Stucke und Praktikantin Judith John greifen immer dann ein, wenn die Erinnerung für die Zeitzeugen ins Unerträgliche steigt. "Wir wollen niemanden an die Öffentlichkeit zerren", sagt Frank Stucke, "jeder Zeitzeuge erzählt nur so viel, wie er aushält."
Die Gespräche mit den Gymnasiasten verliefen ruhig. "Ich konnte bis 2008 überhaupt nicht darüber sprechen", sagte Escamillo Grünheid. Erst, als er ein Interview gegeben hatte, habe sich etwas in ihm gelöst. "Inzwischen halte ich es für sehr wichtig, den nachfolgenden Generationen dieses Unrechssystem nahe zu bringen."
Grünheid war im Gefängnis dazu erpresst worden, andere Insassen zu bespitzeln. Er tat es, weil seine Familie sonst nicht mehr sicher gewesen wäre. "Wir konnten zunächst gar nicht glauben, was damals für Zustände geherrscht haben", sagt Gymnasiastin Jolina Welzel, "wir haben zwar im Geschichtsbuch davon gelesen, aber es war etwas Besonderes, Opfer und Täter in einer Person zu erleben. Wir waren von den Geschichten der beiden Zeitzeugen geschockt."
Ralph-Peter Klingenberg erzählte ebenfalls aus seiner Haftzeit und wie es dazu gekommen war. "Ich war gar nicht gegen den Sozialismus gewesen", sagt er, "im Gegenteil, ich gehörte zu einer Gruppe junger Leute, die ihn verbessern wollten. Mit 17 Jahren steckt man eben voller Idealismus." Aus diesem Idealismus heraus habe die Gruppe damals ein Flugblatt entwickelt, auf dem Reise- und Pressefreiheit gefordert wurde. "Wir haben dieses Flugblatt in einer Gaststätte geschrieben", erzählt er, "später habe ich erfahren, die Bedienung bestand aus Stasipersonal." Und nicht nur das. "Auch innerhalb unserer Gruppe gab es Spitzel. Sie trugen die längsten Haare und die grünsten Parka."
Klingenberg saß nach der Haftzeit am Moritzplatz im Zuchthaus in Cottbus. "Ich fühlte mich dort wie in dem Film Nackt unter Wölfen", sagt er, "den Glauben an den Sozialismus hatte ich völlig verloren." Klingenburg wurde von der BRD freigekauft.
Die Gymnasiasten haben sich auf diese Interviews vorbereitet. Dabei wurden sie von Ines Neumann und Romy Myslitska von "Go Europe" unterstützt. "Go Europe" ist eine Aktion des Landeskinder- und Jugendrings Sachsen-Anhalt und hat sich zur Aufgabe gemacht, Jugendlichen die EU nahezubringen, den Worten Menschenrecht und Freiheit einen Inhalt zu geben.
Die Zeitzeugengespräche wurden aufgezeichnet. Daraus entsteht ein kurzer Film und dieser Film geht mit auf die Reise nach Bulgarien. Als Grundlage für Gespräche.