Die Zwergkämpfer im Griff Der sechsjährige Tyr aus Güterglück züchtet Hühner aus Leidenschaft und hat große Ziele für die Zukunft
Sechsjähriger Tyr kümmert sich täglich um seine Hühner / Rassegeflügelzucht ist Familienhobby
Güterglück
Seit gestern ist die Stallpflicht für Geflügel im Landkreis Anhalt-Bitterfeld aufgehoben. Seit dem 19. Dezember des vergangenen Jahres waren die Tiere eingesperrt. Die haben darunter gelitten und mit ihnen die Halter und Züchter. Die Tiere wurden nervöser, die Kämme blasser, die Vitalität ließ nach, wie auch die Legeleistung, beschreiben Hubert Scheuer, der Vorsitzende des Rassegeflügelzuchtvereins Zerbst und Umgebung 1881, und Zuchtwart Philipp Zeidl einige Auswirkungen. Lange mussten die Züchter ausharren. Zweifel bestanden an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Doch nun darf das Geflügel wieder nach draußen.
Das freut auch den sechsjährigen Tyr Zeidl. Er ist das jüngste Mitglied im Rassegeflügelzuchtverein Zerbst und Umgebung 1881, und er hat große Pläne mit seinen Tieren. Der Junge möchte an vergangenes Jahr anknüpfen, als er bei der ersten und einzigen Ausstellung im Oktober Jugendkreismeister von Anhalt-Bitterfeld geworden ist. Sein mit „v97" bewerteter Zuchthahn Gerd hat in diesem Jahr Nachwuchs bekommen.
Mehr als 200 Küken tummeln sich
Um den gefiederten Nachwuchs kümmert sich Tyr täglich. Mehr als 200 Küken wuseln in den Behausungen herum. Der erste Schwung schlüpfte Ende März, der zwei Mitte April. Tyr hat seinem Vater geholfen, die Unterbringung für die Küken zu bauen. Auf zwei Etagen tummeln sich die kleinen Flauschbälle. Die Anlage sollte noch aufgestockt werden im Falle, dass die Stallpflicht noch verlängert wird. Doch nun dürfen die Küken in Kürze auf die Wiese.
Moderne Englische Zwergkämpfer – 600 Gramm beträgt das Ausstellungsgewicht – züchtet die ganze Familie Zeidl. Aber auch ein paar Exemplare der großen Version – Moderne Englische Kämpfer mit 1800 Gramm Ausstellungsgewicht – werden auf dem Hof gehalten. Er habe die Geflügelzucht als Kind von seinem Vater vermittelt bekommen, erzählt Philipp Zeidl. In seiner Jugendzeit ließ das Interesse dann nach. Nachdem er 2013 nach Güterglück zurückgekehrt war, legte er sich wieder Hühner zu. Verschiedene Rassen waren es anfangs, bis er durch Zufall auf die Modernen Englischen Zwergkämpfer stieß und er einen guten Stamm bekam.
Ein muskulöser Körper, straffes Federkleid – „Es gibt nichts Schöneres, als so ein Tier durch das Gras stolzieren zu sehen“, sagt Philipp Zeidl. Das ist Entspannung pur. Für die Rasse war sogar seine Frau Viktoria zu begeistern. „Die sind reinlich, sauber und riechen auch nicht so“, sagt die aus Dessau Stammende, die als Stadtkind früher nie etwas mit Hühnern am Hut hatte. Sie hat sich inzwischen auf die Zucht des blau-birkenfarbigen Farbschlages der Zwergkämpfer spezialisiert und findet auch, dass die Beschäftigung mit den Tieren gut ist, um vom Alltag abzuschalten.
Hohe Ansprüche bei Zuchtzielen
Die silberhalsigen, birkenfarbigen und gold-weizenfarbigen Küken tummeln sich derweil alle durcheinander hinter den Glasscheiben. Welches Küken wohin gehört, darüber geben die unterschiedlich farbigen Ringe Aufschluss. Jeder Stamm hat eine eigene Ringfarbe. Akribisch wird bei Zeidl’s Protokoll geführt. So sind die letzten vier Generationen nachvollziehbar. Zuchtziele werden gesteckt. Und die sind hoch. Die Rassemerkmale sind vorgegeben, jedes Körperteil soll dem Standard entsprechen. Man ist nie zu 100 Prozent zufrieden, sagen die ehrgeizigen Züchter.
Während der zehnjährige Finley nicht ganz so mit Leib und Seele bei der Geflügelzucht ist, hat es Tyr voll erwischt. Er verbringt viel Zeit bei den Küken. Schon im Kinderwagen saß das Federvieh bei dem Jungen, erinnern sich die Eltern. Seit Tyr laufen kann, trägt er Hühner herum. Da ist die Rasse der Modernen Englischen Zwergkämpfer optimal, da die Tiere so neugierig und zutraulich sind und alles geduldig mit sich machen lassen. Sitzt Tyr inmitten der munteren Schar, klettern die Küken schon bald auf seinen Beinen herum und fressen ihm die Körner aus der Hand. Sie folgen dem Jungen, wenn er sie lockt, lassen sich in die Hand nehmen. Furchtlosigkeit zeichnet diese Rasse aus.
„Sie sehen schmuck aus, und ich kann sie zähmen“, sagt der Sechsjährige. Als er zum Fasching in der Kita einmal als Pirat ging, hatte er einen Hahn auf der Schulter dabei. Füttern und Ausmisten gehören zum Hobby. Auch einiges Wissen über seine Zwergkämpfer kann der Junge, der im Sommer in die Schule kommt, schon aufweisen. Bereits als Fünfjähriger hat er seine Rasse bei einer Vereins-versammlung vor allen vorgestellt. Bei Zusammenkünften der Züchter sitzt er mit den „Alten“ am Tisch und diskutiert fleißig mit.
Schautiere erfahren besonderes Training
Die Familie Zeidl setzt darauf, dass in diesem Jahr wieder Ausstellungen stattfinden können. Die Großschauen Leipzig und Hannover sind in Planung – „darauf arbeiten wir hin“. Es geht um den Vergleich mit anderen, wo man steht. Kann man sich unter 36.000 Tieren behaupten? Auf Ausstellungen sind die Familienmitglieder Konkurrenten. Von den 200 Küken werden es am Ende etwa 50 Tiere sein, die ausgestellt werden. Bei der Auswahl sind ein geschultes Auge und Zuchterfahrung gefragt.
Die potenziellen Schautiere erfahren dann ein besonderes Training in Güterglück. Dazu gehört, dass das Radio im Stall täglich läuft, um sie an Geräusche zu gewöhnen. Spot an, heißt es im Schaukäfig, wo sie animiert werden, sich zu recken und erhobenen Hauptes zu präsentieren. Ein anspruchsvolles Hobby, dem sich die Familie verschrieben hat. Zum Glück können die Züchter dieser Freizeitbeschäftigung auch während Corona nachgehen.
Mehr züchterischen Nachwuchs wie Tyr wünscht man sich im Rassegeflügelzuchtverein Zerbst und Umgebung. Eine Kinder- und Jugendgruppe soll gebildet werden, gibt es Vorstellungen in der Vereinsführung. An Schulen gehen, Schaubrüten anbieten und interessierte Jugendliche einladen, sind Möglichkeiten. Patenschaften mit Züchtern kann sich Hubert Scheuer vorstellen. Auch Jugendliche ohne eigene Tiere könnten einbezogen werden. Geflügelzucht als Alternative zum Computerspielen, weg vom Handy. „Die Rassegeflügelzüchter werden immer älter und es gibt so viele Arten, die es zu erhalten gilt“, sagt Philipp Zeidl.