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Urteil in Zerbst Pöbler: "Dafür hängt ihr, ihr Strolche!"

Seit mehr als 40 Jahren ist Michael Gerd R. ohne Führerschein unterwegs. Selbst zum Termin im Amtsgericht Zerbst fuhr er vor.

Von Bernd Kaufholz 17.06.2016, 05:00

Zerbst l Ein Jahr und sieben Monate Haft lautete das Urteil, das Strafrichter Thomas Krille gegen einen 64-Jährigen verhängte. Außerdem wird das Fahrzeug des Berliners eingezogen, und er darf innerhalb der nächsten zwei Jahre keinen Führerschein ausgehändigt bekommen. Der Mann, der seit mehr als 40 Jahren ohne gültige Fahrerlaubnis unterwegs ist, war zwischen dem 11. März 2015 und dem 12. Januar 2016 in Zerbst und Dessau-Roßlau erneut neunmal am Lenkrad seines Gelände-Mercedes erwischt worden.

„Dafür hängt ihr in den nächsten Wochen, ihr Strolche! Die AfD bescheißt ihr nicht! Mit Handschellen werdet ihr hier rausgeholt! Ihr seid sowas von reif! Ich habe jetzt in Berlin eine Detektei beauftragt – alles alte Stasi-Leute – und dann gute Nacht, Freunde! An den Pfeifenkopp in der Magdeburger Staatskanzlei habe ich auch schon geschrieben.“ Das ist nur kleine Auswahl der Pöbeleien, die Michael Gerd R. dem Richter und der Staatsanwältin in seinem Schlusswort anbot. Doch für solcherart Entgleisungen war der Angeklagte hinlänglich bekannt. Richter Krille nahm’s mit Gelassenheit, Strafverteidiger Detlev Müllerhoff mit Fremdschämen.

Schon der Prozessauftakt hatte dem unvoreingenommenen Beobachter gezeigt, wes Geistes Kind der „EU-Rentner“ ist. Sein Pflichtverteidiger hatte eine Stunde im Stau gestanden. Die dadurch entstandene Wartezeit hatte der Angeklagte nicht abwarten wollen: „Ich gehe jetzt. Ich muss hier nicht warten.“ Der Richter ruhig: „Wenn sie gehen, nehme ich sie in Haft.“ Angeklagter: „Bis sie mich haben, bin ich längst in Berlin. Da habe ich sehr gute Anwälte.“

Doch letztlich hatte es sich der Mann mit dem schütteren Haar, dessen Vorstrafenregister seit 1967 44 (!) Einträge (unter anderem Diebstahl, Körperverletzung, Urkundenfälschung, Schusswaffenbesitz, Amtsanmaßung und immer wieder Fahren ohne Fahrerlaubnis) aufweist, doch noch überlegt und er kam in den Gerichtssaal 2 zurück. Um den als renitent und unberechenbar geltenden Angeklagten im Zaum zu halten, hatte das Gericht eigens einen Justizbeamten in Griffweite des Wirrkopfes platziert. Doch bis auf einmal, als R. per Diktiergerät heimlich die Anklage von Staatsanwältin Julia Legner mitschnitt, musste er nicht eingreifen.

Aktueller Streitpunkt war eine tschechische Fahrerlaubnis Klasse B, ausgestellt am 20. August 1996, von deren Gültigkeit der Angeklagte felsenfest überzeugt ist, nicht jedoch Staatsanwaltschaft und Gericht. R., der sich lautstark zu Wort meldete, ständig auf Berlin verwies („Das ist die Hauptstadt. Haben sie das vergessen. Die sagen euch wie es zu laufen hat“) verstieg sich immer wieder zu Pöbeleien: „Alles Lüge, alles Lüge. Ich bin im Recht zu fahren, und ich fahre weiter.“

Dieselbe Uneinsichtigkeit legte er beim zweiten Tatvorwurf an den Tag. Er hatte sich in Berlin drei Verkehrsschilder (10 km/h und verkehrsberuhigter Bereich) besorgt und 2012 unerlaubt im Wohngebiet eines Zerbster Ortsteils aufgestellt. Seine Begründung: „Die Hunde rasen da so schnell und überfahren Katzen, bald vielleicht auch Kinder. Dann ist es zu spät.“ Amtsanmaßung heißt das Delikt. Die Schilder wurden eingezogen.

Doch zurück zum Fahren ohne Fahrerlaubnis. Der Angeklagte, der immer wieder mit Blättern seiner umfangreichen Aktensammlung herumfuchtelte, bezog sich darauf, dass ihm das Landgericht Dessau-Roßlau das Fahren mit den ausländischen Papieren genehmigt hatte. Das Oberlandesgericht Naumburg hatte das Urteil allerdings gekippt und an das Landgericht zurückverwiesen. Dort findet der Prozess nun am 20. Juni statt. Einiges deutet darauf hin, dass sich die zuständige Kammer nun der Meinung des OLG anschließt. Trotz dieser ausstehenden Entscheidung hätte R. nicht fahren sollen, begründete der Zerbster Strafrichter sein Urteil. „Ich gehe davon aus, dass sie Rechtsmittel einlegen. Dann kann das Landgericht mein Urteil überprüfen.“

Bei der Urteilsverkündung hatte R. bereits wutschäumend den Saal verlassen („Ich kriege gleich einen Schlaganfall“). Zu hören, dass ihm Gutachter im Zuge eines anderen Verfahrens verminderte Schuld- und eingeschränkte Steuerungsfähig (§ 21 Strafgesetzbuch) attestiert hatten, wollte er nicht hören. So vernahm er auch nicht, wie ihn der Strafrichter charakterisierte: „Er lebt in einer rechtlich eigenen Welt. Er würde selbst ein Urteil des Bundesgerichtshofs nicht akzeptieren. Ihn interessiert nur seine eigene Meinung. Er hat kein Unrechtsbewusstsein. Er lebt in einer Parallelgesellschaft.“

Da war der Verurteilte (nicht rechtskräftig) bereits auf dem Weg zurück nach Berlin – mit seinem schwarzen Mercedes-Stadtgeländewagen.