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Das Geschehen im April 1945 in Mitteldeutschland Neues Buch über die Rettung von Halle wirft Blick auf falsche Legenden und echte Helden

Über das Kriegsende in Halle (Saale) wurde schon viel publiziert. Jetzt ist ein Buch erschienen, das auf bislang unbeachteten Quellen und Privatarchiven beruhend völlig neue Erkenntnisse zu Tage fördert.

Von Daniela Apel Aktualisiert: 11.04.2025, 12:24
Amerikanische Soldaten laufen am 19. April 1945 durch den Süden von Halle (Saale). Die Kämpfe waren beendet.
Amerikanische Soldaten laufen am 19. April 1945 durch den Süden von Halle (Saale). Die Kämpfe waren beendet. Foto: Nationalarchiv Washington D.C. (USA)

Zerbst/Halle - Die Ereignisse im Frühjahr 1945 haben Herbert Witte in ihren Bann gezogen. Als „Sog“ beschreibt er lächelnd das Eintauchen in jene so schicksalhafte Zeit kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Unzählige Dokumente hat er zusammengetragen und bislang nicht verwendetes Archivmaterial ausgewertet, ist in persönliche Aufzeichnungen eingetaucht und hat Zeitzeugen gesprochen.

Die umfangreichen Recherchen mündeten bereits in zwei Büchern. In „Die Operation ,Toast’“ widmet sich Herbert Witte dem damaligen Geschehen in der Region Anhalt-Zerbst, als sich die Wehrmacht vergeblich ein letztes Mal aufbäumte, während US-Truppen versuchten, mit der Sowjetarmee Kontakt aufzunehmen. Unterdessen geht es in „Helle Funken in dunkler Nacht“ um Menschen, die in unmittelbarer Nähe der Front völlig selbstlos Verwundeten und Kranken halfen. Eine besondere Bedeutung kam Lindau zu, das sich in eine Lazarettstadt verwandelte.

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Sein drittes Buch dreht sich jetzt um „Die Rettung von Halle (Saale) im April 1945“, und damit um ein Thema, das „eher weiter weg ist“, wie Herbert Witte gesteht. Doch es gibt Verbindungen. Zum einen in der Person von Generalleutnant Anton Rathke. Der Kampfkommandant von Halle befehligte später Einheiten im Südfläming, die zur 12. Armee gehörten, der sogenannten „Armee Wenck“ und damit zu Hitlers letzter Hoffnung in einem längst verlorenen Krieg.

Von der Armee Wenck bis zu Felix Graf von Luckner

Der Operationsraum der Armee Wenck ist zugleich das Gebiet, das Herbert Witte betrachtet. Ihre Soldaten kämpften am Brückenkopf Barby, und sie waren es, die Beelitz-Heilstätten nach der Einnahme durch die Rote Armee zurückeroberten, so dass die Evakuierung des zu einem Lazarett umfunktionierten Klinikkomplexes erfolgen konnte – das Ziel war Lindau.

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Wie seine vorherigen Bücher ist auch das Werk über die kampflose Einnahme von Halle ein Resultat vielschichtiger Nachforschungen. „Fünf Jahre hat es mich begleitet“, sagt Herbert Witte mit Blick auf die am Ende 641 Seiten umfassende Publikation. Und einmal mehr stehen nicht die Ereignisse im Vordergrund, sondern die Menschen, die mit ihrem Verhalten das Geschehen beeinflussten.

Herbert Witte blättert in einem Ausdruck seiner neuen Publikation „Die Rettung von Halle (Saale) im April 1945“. Das Buch ist nur online erschienen.
Herbert Witte blättert in einem Ausdruck seiner neuen Publikation „Die Rettung von Halle (Saale) im April 1945“. Das Buch ist nur online erschienen.
Foto: Daniela Apel

Es sind die Biografien der verschiedenen Charaktere die Herbert Witte faszinieren und die die Geschichte lebendig und Entscheidungen nachvollziehbar machen. So porträtiert er den Befreier General Terry de la Mesa Allen und seinen Widersacher Generalleutnant Anton Rathke genauso wie die Retter von Halle, zu denen Felix Graf von Luckner zählt.

Bei der Beschreibung seines Lebensweges fokussiert sich Herbert Witte auf bisher nicht analysierte Aspekte seiner Karriere. Auf Grundlage bisher nicht beziehungsweise kaum beachteter Dokumente legt er dar, dass Luckners angebliche „humane Kriegsführung“ im Ersten Weltkrieg und sein legendärer Ruf als „Selfmademan“ Legenden sind.

Von Sophie Scholl und ihrem Verlobten Fritz Hartnagel 

General Allen hingegen konnte es mit seinem Gewissen und seinem Glauben nicht vereinbaren, kurz vor Kriegsende einen Kampf zu führen, der unnötige Zerstörungen und unsinnige Opfer an Menschenleben mit sich bringen musste. Er habe alles getan, um eine Kapitulation der Stadt zu erreichen, schreibt Witte und auch: „Im Gegensatz zu bisherigen Annahmen gab es keinen Befehl zur Bombardierung.“ Eine bisher völlig unterschätzte Rolle habe außerdem der Kreis der Lazarettärzte gespielt, so Witte.

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Eine weitere der „interessanten Persönlichkeiten“, denen er sich widmet, ist Fritz Hartnagel, der Verlobte von Sophie Scholl, die gemeinsam mit ihrem Bruder von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde. Die Geschwister waren Mitglied der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. Sophies politische Einstellung beeinflusste den Berufssoldat.

Ein Foto des Marktplatzes von Halle (Saale) mit dem Händel-Denkmal vom 17. April 1945, bei dem im Hintergrund das zerstörte Rathaus zu sehen ist.
Ein Foto des Marktplatzes von Halle (Saale) mit dem Händel-Denkmal vom 17. April 1945, bei dem im Hintergrund das zerstörte Rathaus zu sehen ist.
Fotos: Nationalarchiv Washington D.C. (USA)

Hauptmann Hartnagel verweigerte am 14. April 1945 den Befehl des Kampfkommandanten von Halle und ergab sich mit einem Teil seiner Soldaten den Amerikanern. „Er setzte mit dieser mutigen Tat ein Zeichen dafür, dass die Verteidigungsbereitschaft der deutschen Soldaten und Offiziere um und in Halle im Sinken begriffen war“, schreibt Herbert Witte. Abgebildete private Aufnahmen hat er von einem der Söhne, von Jörg Hartnagel, erhalten.

Gefangenenlager in Alterngrabow ist Inhalt eines weiteres Buches

Neben den Recherchen in über 100 nationalen wie internationalen Archiven – darunter amerikanische und russische sowie viele private – sind die Kontakte zu noch lebenden Zeitzeugen beziehungsweise Angehörigen wichtige Puzzleteile für Wittes Bücher. Bislang nicht ausgewertete Dokumente, neu ans Tageslicht beförderte Quellen und andere Blickwinkel zeichnen seine Werke aus, die zudem mit bislang teils unveröffentlichten Fotos und Karten angereichert sind.

Diese ohne Qualitätsverlust abbilden zu können, ist ein Grund, weshalb sich Herbert Witte dazu entschlossen hat, all seine Bücher in der Digitalen Bibliothek Thüringen herauszubringen. Online kann jeder die Publikationen kostenlos lesen und herunterladen.

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Ein viertes Buch ist bereits in Planung. „Gefangen beim Feind“ lautet der Arbeitstitel. Im Mittelpunkt sollen die Kriegsgefangenenlager in Altengrabow und Luckenwalde stehen.

Zudem ist eine zweite Auflage von „Operation ,Toast’“ angedacht, wie Herbert Witte verrät. Dass sein Erstlingswerk als passionierter Geschichtsforscher eine solche Resonanz erfährt, damit hatte er nicht gerechnet. „Ich bin sehr zufrieden“, sagt er. Nun sollen einige Ergänzungen eingefügt werden, die sich durch seine weiteren Recherchen ergeben haben.