Seit 1992 Tradition: Austausch von Erinnerungen und abwechslungsreiches Programm "Schlesierweihnacht" zieht Besucher an
In der St. Trinitatiskirche wurde es am Donnerstag noch einmal weihnachtlich. Pfarrerin Karoline Simmering konnte rund 75 Gäste zur "SchlesierWeihnacht" begrüßen. Zeit und Raum, die Besinnlichkeit des Weihnachtsfestes mit in die letzte Dezemberwoche zu nehmen.
Zerbst l "Frieden zwischen Deutschland und Polen war lange Zeit nicht selbstverständlich", betonte Pfarrer i.R. Heinz Lischke, als er die Ansprache zur "Schlesierweihnacht" hielt. "Dafür können wir nicht dankbar genug sein." Sein Dank ging auch an die Gastgeber, die die zur Tradition gewordene Schlesierweihnacht seit 1992 ermöglichen. "In den ersten Jahren kamen wir in der Bartholomäuskirche zusammen, später fand das Ereignis immer zwischen Weihnachten und Silvester in der Trinitatiskirche statt.
Die "Schlesierweihnacht" ist mehr als ein kurzweiliger Nachmittag. Sie ist zeitgleich Gelegenheit zurückzublicken: Schlesien liegt an der Oder, grenzt an Böhmen, die Ober- und Niederlausitz, sowie an Polen.
Nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen 1939 wurden weite Teile des Gebietes an die Provinz Schlesien angeschlossen. In Auschwitz entstand das größte Vernichtungslager des NS-Regimes. Die Zäsur folgte nach dem Zweiten Weltkrieg: Alles, was östlich der Oder-Neiße-Linie lag, wurde unter polnische Verwaltung gestellt. Die Bierut-Dekrete ermöglichten die offizielle Vertreibung der deutschen Bewohner. Sie legten die Entziehung des gesamten beweglichen und unbeweglichen Eigentums von Personen deutscher Nationalität zugunsten des polnischen Staates fest. Leid und Elend kennzeichneten die Vertreibungsjahre für viele ehemalige Bewohner des Gebiets.
Die "Schlesierweihnacht" leistet einen Beitrag, diese Schicksale nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
"Gemeinsam erlebte Geschichte schweißt zusammen", sagt Lischke, und so dient die schlesische Weihnacht auch dem Austausch von Geschichten.
Da ist zum Beispiel Rosel Scheuer. Sie erzählt von ihrer Tante, die 1946 vertrieben wurde. "Meine Familie lebte da schon lange in Zerbst, mein Vati bekam hier Arbeit, darum sind wir viel früher hierher gekommen." Sie erzählt auch von etlichen Familienurlauben, die sie im schlesischen Grüssau verbrachte. "Heimat ist eben Heimat." Es sei einfach schön, sich über dieses Stück Geschichte auszutauschen oder einfach mal wieder die Lieder der Heimat zu singen, meint Rosel Scheuer und wie auf Kommando wird am Nachbartisch das schlesische Lied " Blaue Berge, grüne Täler" angestimmt.
"Ich war noch nie in Schlesien", sagt Annegret Mainzer. Aber ihre Familie kommt aus der Gegend. "Mein Vater wurde auch 1946 vertrieben, und wenn er aus dieser Zeit berichtet, ist das für mich einfach spannend." Das sei einer der Gründe, warum für sie die schlesische Weihnacht mittlerweile dazu gehört. "Und weil man hier immer etwas dazu lernt."
"Schlesien wurde erstmalig im 11. oder 12. Jahrhundert von den Deutschen besiedelt", weiß Helmut Hoffmann und hat noch viele weitere Eckdaten über die Geschichte des Gebietes parat. "Wir sind bereits 1945 geflüchtet. Der Krieg war in der Endphase und erreichte auch unser Gebiet."
Auch Amüsantes kommt zur Sprache und die Stimmung ist trotz der zum Teil sehr traurigen Geschichten gut. Abgerundet wird das Programm von Heidrun Franke, die den Gästen in Zerbster Mundart unter anderem "dit Jeheimnis von ne jut jeratenen Weihnachtsstolle" verrät.
Auch Heinz Lischke gibt einige Geschichten in echtem schlesischen Dialekt zum Besten. "Ein rundum gelungener Nachmittag", findet am Ende nicht nur Rosel Scheuer.