Heimatgeschichte Serie: Zerbster Straßen im Wandel der Zeit - Die Breite Straße von der Geschäftsmeile bis zur Bundesstraße
Die Geschichte der Straßen sind auch die Geschichten ihrer Bewohner, der ansässigen Firmen und Geschäfte. Deswegen sprechen manche auch von ihrem „Kiez“. Einige dieser Geschichten von Zerbster Straßen wollen wir Ihnen in den kommenden Wochen erzählen.
Zerbst - Von Helmut Hehne und Thomas Kirchner
Eine der ältesten Zerbster Verkehrswege in West–Ost-Richtung ist die Breite Straße. Viele Jahrhunderte war sie eine Handels- und Heeresstraße. Und das ist sie bis heute. Täglich zieht eine Karawane von Fahrzeugen mitten durch die Innenstadt. Die kleinteilige Bebauung von einst gibt es nicht mehr. Heute prägen Wohnblöcke aus DDR-Zeiten die Breite Straße, einige aber bereits mit neuem Antlitz.
Eine erste Erwähnung stammt als „lata platea“, aus dem Lateinischen „Breite Straße“, aus dem Jahre 1324 – also ein Straßenname, der immerhin fast 700 Jahre alt ist. Warum wir in Zerbst zwei Breite Straßen haben, die „Breite“ und die „Breite Straße“, wird wohl unergründlich bleiben. Auf alle Fälle, so wird vermutet, wird sich die Bürgerschaft in Anlehnung an Magdeburgs „Breitem Weg“ eben eine Breite Straße geleistet haben.
Beginn der Blütezeit
Bei der früheren Wasserversorgung der Innenstadt spielte diese Straße eine besondere Rolle. Die Zerbster verlegten eine sogenannte „Röhr Wasserleitung“ vom springigen Gelände am Feuerberg bis zur Kreuzung Markt und Alte Brücke. Hier stand ein Sandsteinbrunnen, aus dem alle Bürger Wasser schöpfen konnten. Das war besonders wichtig, da zu den Markttagen auch Tiere versorgt werden mussten. Von hier aus wurden die hölzernen Wasserrohre weiter bis zum Toskanischen Brunnen auf dem Markt verlegt.
Die Quelle am Feuerberg hatte die Höhe von 64 Metern und eine geschätzte Wasserhöhe von vier Metern, sodass das Trinkwasser zum Markt fließen konnte. Die Leistungsfähigkeit der Quelle ließ aber bald nach. War vielleicht der Bau des Flutgrabens in unmittelbarer Nähe an dem mangelndem Wasserfluss schuld? Der Brunnen wurde schließlich 1868 durch ein Langholzpferdegespann umgerissen und aus war es mit dem „Röhr Wasser“. Nach einigen Jahren wurde ein Wasserwerk errichtet.
1896 erwarb die landwirtschaftliche Schule das Haus Nummer 12. Hier wurden dann bis ins 20. Jahrhundert Facharbeiter ausgebildet. Gleich nebenan befand sich der Zerbster Gasthof „Zum Goldenen Anker“. Er wurde bereits 1720 erstmalig genannt. Die Wirtschaft hatte den größten Saal in Zerbst mit dem interessanten Namen „Odeon Saal“.
Handwerksbetriebe, Geschäfte und Wirtschaften säumten die Breite Straße
Ein Ereignis im Jahr 1848 hätte wohl in der heutigen Zeit für reichlich Schlagzeilen gesorgt. In der Breiten Straße Nummer 21 machten Teilnehmer der Revolution als wütende Volksmenge ihrem Unmut gegenüber den Regierenden der Stadt Luft. Sie zerschlugen Tür und Tor und plünderten das Eigentum des damaligen Zerbster Bürgermeister Sintenis. Das Haus war schon 1874 unter dem Namen „Gasthof zum Erbprinzen“ bekannt geworden.
Bis zur Zerstörung 1945 war die Breite Straße, wie viele Straßen in Zerbst, von vielen Händlern und Gewerbeunternehmen gesäumt. Am Beginn das Juweliergeschäft, auch nach 1945 von Handwerker Partheil genutzt, folgend das Klempnergewerk von Schütze und weiter der Messerschmied Hinze. Ein Stellmachermeister und die Gaststätte mit „Mutter Rätsel“ dürfen natürlich nicht vergessen werden.
Unmittelbar am Breitestraßentor gehörten die Anwesen in Richtung Am Plan ebenfalls zur Breiten Straße, unter anderem die Gastwirtschaft „Zur guten Quelle“. Insgesamt hatten sich im Laufe der Jahre elf Gastwirtschaften in der Breiten Straße angesiedelt.
Tod und Zerstörung
Dann kam der 16. April 1945 und auch die Breite Straße versank wie fast die gesamte Innenstadt in Schutt und Asche. Das alte Zerbst hörte auf zu existieren. Auch die ehemaligen fünf Tonnengewölbekeller des Gasthofes „Zum Erbprinzen“ hielten dem Angriff nicht Stand. Hier hatten um die 160 Personen Schutz gesucht. Das Gebäude erhielt zwei Volltreffer durch Sprengbomben. Drei Kellerräume stürzten ein. Dabei fanden 60 bis 80 verwundete deutsche Soldaten, ein Arzt und weibliches Pflegepersonal den Tod. Bei der Beräumung der Trümmerstätte wurden noch 39 Tote geborgen und durch die Stadt Zerbst auf dem Heidetorfriedhof bestattet.
Das gleiche erschütternde Schicksal erlitten 119 Menschen in den Kellern der seit 1844 in der Breiten Straße ansässigen Brauerei Lorenz Pfannenberg. Unter den Opfern waren auch 24 Gefangene der Roten Armee. Sie waren gerade in Marsch auf der Straße und suchten Schutz in den Kellerräumen. Für beide Unglückshäuser hat der Zerbster Heimatverein Gedenktafeln angebracht.
Nach dem Krieg wurde der sozialistische Wohnungsbau vorangetrieben und die Straße grundhaft ausgebaut. Sie ist heute eine der verkehrsreichsten Straßen in der Innenstadt. An die traurigen Ereignisse in der Breiten Straße erinnert heute nichts mehr.
Teil 1 der Serie finden Sie hier...
Fortsetzung folgt...
Teil 3 der Straßen-Serie erscheint am 2. Juni und führt in die Breite Straße in Zerbst.