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  7. Wahl „Magdeburger des Jahres“ 2022: der Verein Platz*machen

Wahl „Magdeburger des Jahres“ Eine warme Küche und Platz für alle am „Hassel“ in Magdeburg

Kyra Sukop und Ethan Smith vom Verein „platz*machen“ sind Kandidaten für den Titel "Magdeburger des Jahres" 2022. Mit vielen Helfern im Ehrenamt sorgen sie für Begegnung und menschliche Wärme in der Magdeburger Innenstadt.

Von Katja Tessnow 26.11.2022, 00:30
Kyra und Ethan im "Tacheles", dem gemütlichen Kiezladen des Vereins "platz*machen" am Magdeburger Hasselbachplatz.
Kyra und Ethan im "Tacheles", dem gemütlichen Kiezladen des Vereins "platz*machen" am Magdeburger Hasselbachplatz. Foto: Viktoria Kühne

Magdeburg - Jeden Sonnabend von 16 bis 18.30 Uhr öffnet die Küfa im Kiezladen „Tacheles“ in der Magdeburger Sternstraße 30, die Küche für alle. Ehrenamtlich Hilfsbereite – überwiegend Studenten – kochen kostenlos warme Mahlzeiten für jeden und jede mit leerem Magen oder auch nur Hunger auf Kontakte. Immer donnerstags gibt’s „Platz und Kuchen“ am selben Ort und gegen Spenden – jeder gibt, was er will und kann und ist eingeladen zur Begegnung überm Kuchenteller.

In der Fahrradwerkstatt „PaRADies“ kann jeder selber reparieren lernen, unter fachkundiger Anleitung. Wer Ärger hat – welchen auch immer und mit wem – kann dienstags zur Mediationssprechstunde ins „Tacheles“ kommen, eine Schlichtungsstelle.

Kältebus und offene Räume im Magdeburger Stadtzentrum

Hinaus in die Stadtteile geht ein Kältebus auf Tour, der Obdachlosen, aber auch anderen Bedürftigen Hilfe, Kleidung, Nahrungsmittel und Beratung anbietet. Konzerte und Lesungen, Gesprächskreise, Sprachkurse und Nachhilfe, Barbetrieb und Bibliothek – das alles hat der Verein platz*machen in seinem Laden am Hasselbachplatz sonst noch im Angebot, vor allem aber täglich kostenlos offene Räume für jeden, der den offenen und vorurteilsfreien Austausch sucht, sich einbringen oder selbst ein Projekt auf den Weg bringen möchte.

„Für dich, für uns, für alle“ heißt das Credo des Vereins, der sich 2020 in studentischer Initiative gründete und 2021 dem „Central“ in seine Räume in der Sternstraße folgte – eine geordnete und geplante Übernahme. Das im Kneipenkollektiv geführt „Central“, 15 Jahre lang Gastgeber und Vermittler am Hasselbachplatz – kontra Negativimage und die von Polizeistatistiken ungedeckten Ängste vor einem Kriminalitätsschwerpunkt – hatte würdige Nachfolger gesucht und mit den Platzmachern gefunden.

Magdeburger des Jahres 2022: Kyra Sukop und Ethan Smith vom Verein Platz*machen im Interview. Video: Katja Tessnow/Samantha Günther

Die Studentin Kyra Sukop ist Vorsitzende und der angehende Englischlehrer Ethan Smith ihr Vize im Verein, wenngleich sich beide keinesfalls als Anführer verstehen. Der Verein ist frei von Hierarchien. Entschieden wird im Kollektiv. Kyra und Ethan stehen stellvertretend für etwa 40 Vereinsmitglieder und noch einmal so viele Unterstützer und Helfer – sämtlich im Ehrenamt – zur Wahl für den Titel „Magdeburger des Jahres 2022“. Im Volksstimme-Gespräch erzählen sie über ihre Motivation zum Mitmachen beim Platzmachen für alle.

Junger US-Amerikaner findet beim Helfen neue Freunde in Magdeburg

„Ich seit 2020 dabei“, sagt Ethan. Der heute 28-Jährige kam vor vier Jahren aus Kalifornien zum Studium nach Magdeburg. „Ich wollte immer ins Ausland gehen, mindestens zum Studieren. Die politische Lage in meiner Heimat hat mich noch stärker dazu bewogen“, erzählt der junge US-Amerikaner, alles andere als ein Fan von Ex-Präsident Trump.

Auf Magdeburg fiel seine Wahl aus zwei Gründen: Der Studiengang Friedens- und Konfliktforschung wird an der hiesigen Universität auf Englisch angeboten. „Ich konnte schon ein bisschen Deutsch, aber für ein Studium hätte es noch nicht gereicht“, erzählt Ethan, zwischenzeitlich in fließendem Deutsch. Außerdem sei Magdeburg eine für Studenten bezahlbare Stadt.

In Magdeburg neue Heimat gefunden

„Am Anfang habe ich mich ein bisschen alleine gefühlt, aber jetzt will ich bleiben.“ Den Master in der Tasche wird der junge Amerikaner demnächst an einer Magdeburger Schule Englisch unterrichten, als Seiteneinsteiger. Dass Ethan sich heute an der Elbe zu Hause fühlt, hat viel mit den Freundschaften zu tun, die er unter Gleichgesinnten schloss, die sich in der Stadt sozial einbringen wollen - als Helfer für jene, die scheinbar keinen richtigen Platz haben mitten in der Gesellschaft.

Hier geht es direkt zur Abstimmung.

Die Küche für alle, in der auch seine Freundin kocht, ist Ethans Hauptprojekt im Verein. „Es macht Spaß zu helfen.“ Auch der Kältebus finde – wenn man so will leider – immer mehr Zuspruch. „In Neustadt kommen auch viele Kinder“, erzählt Ethan. Kinder auf der Suche nach Wärme und Geborgenheit.

Psychologiestudentin hält wenig von Verboten

Auch Kyra, geboren und aufgewachsen in Bremen, kam des Studiums wegen nach Magdeburg – Psychologie ist ihr Fach. Die 23-Jährige wohnt am Hasselbachplatz und sagt lachend: „Ich bin hier einfach so rausgefallen.“

Dass manche Magdeburger sich nicht mehr an den Platz trauten, weil sie Konflikte und Kriminalität fürchten, kann die junge Frau nicht ganz nachvollziehen. „Ich weiß, dass es hier wohl einmal mehr Gaststätten gab und auch von Eskalationen im Einzelfall habe ich gehört.“ Trotzdem gefalle ihr das bunte Leben am Ort. Sie wünscht sich mehr davon. „Ich glaube, es braucht viel mehr Angebote hier, nicht nur in Kneipen und in der Nacht. Es wäre schön, wenn es auch etwas für Senioren gebe und natürlich viel mehr Freiraum zur Begegnung für alle.“ Verschärfte Restriktionen – etwa ein Alkoholverbot im öffentlichen Raum – lösen aus Sicht von Kyra keine Probleme, sondern verdrängen sie höchstens.

Magdeburger des Jahres 2022: Fürsprecher Tom Buchholz über Kyra Sukop und Ethan Smith vom Verein Platz*machen. Video: Katja Tessnow/Samantha Günther

Das „Tacheles“ in der Sternstraße – sozusagen ein zeitgemäßes Vereinsheim – ist ausdrücklich offen für alle Generationen, Hautfarben, Orientierungen, abgesehen von solchen, die andere ausgrenzen und von politischen Parteien. Politisches hat auch einen Platz am Ort – zum Beispiel die Ortsgruppe von Fridays for Future mit ihrer Klimapolitik –, aber nur außerparlamentarische und überparteiliche. Das regelt die Vereinssatzung.

Erfahren Sie hier mehr zur Wahl "Magdeburger des Jahres" 22 und zu allen Kandidaten.

Kyra, Ethan und ihre Mitstreiter freuen sich über neue Gäste und Mitstreiter und laden herzlich – wohl auch eine Spur idealistisch – dazu ein, die Stadt zu einem Platz für alle zu machen.

Kurzporträt

Alter/Familienstand/Kinder: Kyra Sukop, 23, ledig, keine Kinder / Ethan Smith, 28, ledig, keine Kinder

Beruf/Tätigkeit: Kyra studiert in Magdeburg Psychologie; Ethan hat gerade an der Otto-von-Guericke-Universität den Master in Friedens- und Konfliktforschung abgelegt und ist angehender Englischlehrer als Seiteneinsteiger

Das mag ich an Magdeburg: „Die vielen guten Menschen, die ich hier kennenlernen durfte“, sagt Ethan.

Hier kann Magdeburg noch besser werden: „Ich wünsche mir mehr kulturelle Freiräume vor allem für die Jugend“, sagt Kyra.

Magdeburg ist in zehn Jahren „freundlicher, offener und internationaler“, hofft Ethan.

Das sagt Tom Bruchholz, Geschäftsführer des Landesjugendwerkes der AWO, über Kyra, Ethan und den Verein platz*machen: „Das ist ein hochengagiertes, junges Team, das versucht, nichtkommerzielle Freiräume zu schaffen für Menschen mit eigenen Ideen. Für ihr Obdachlosenhilfe-Projekt Kältebus haben sie uns nach Hilfe gefragt. Wir haben gerne unseren Bus ausgeliehen und die Tankrechnungen übernommen.“