Explosives Gemisch aus Armut, Rassismus und Kriminalität im Grenzgebiet zu Deutschland Tschechen wegen Roma in Aufruhr
Die tschechischen Grenzregionen nahe zu Deutschland sind durch einen starken Anteil der Roma-Minderheit geprägt. Ausschreitungen gegen diese Bevölkerungsgruppe gab es immer wieder. Doch um die nordtschechische Stadt Rumburk braut sich derzeit ein besonders explosives Gemisch aus Armut, steigender Kriminalität und Rassismus zusammen. Die Regionalpolitiker fühlen sich von Prag im Stich gelassen.
Von Steffen Neumann
Die Stimmung ist aufgeheizt in Rumburk. Auf dem Luzicke-Platz mit seinen malerischen Laubengängen haben sich fast 2000 Menschen versammelt. Sie demonstrieren gegen die grassierende Kriminalität. Auf dem Podium vor der Pestsäule spricht Bürgermeister Jaroslav Sykacek. Viele glauben ihm längst nicht mehr. "Ihr denkt nur an eure Pfründe!", schreit einer. Die Leute ärgert, dass die Stadtväter nicht diejenigen beim Namen nennen, die Gullideckel klauen. Schon schreit einer: "Sprich doch einfach von Zigeunern!"
Nicht nur in Rumburk, im ganzen Schluckenauer Zipfel macht sich eine gefährliche Stimmung breit. In der Region, die weit in die sächsische Oberlausitz hineinragt, sind vor allem die "weißen" Tschechen in Aufruhr, wie die Bevölkerungsmehrheit oft genannt wird. Eine explosive Mixtur aus Armut, Kriminalität und Rassismus hat sich in der strukturschwachen Region mit fast 20 Prozent Arbeitslosigkeit zusammengebraut.
Hilfe aus der boomenden Hauptstadt Prag könnte Eva Dzumanova, die Bürgermeisterin von Sluknov, gut gebrauchen. Doch statt der Investoren kämen die falschen Leute. "Wir hatten im letzten halben Jahr einen Zuzug von 200 Menschen. Allein 100 von ihnen sind ins Neubaugebiet gezogen. Dort wohnen hauptsächlich ärmere Menschen", sagt Dzumanova. Eine solche Migration macht sich in einer Stadt mit 5700 Einwohnern bemerkbar. Außerdem sei die Kriminalität im ersten Halbjahr um fast 100 Prozent gestiegen. Mit 33 Straftaten auf 1000 Einwohner halte Sluknov einen traurigen Spitzenplatz in der Region, gleich gefolgt von Rumburk.
Viele Tschechen sehen dafür nur eine Ursache: Die angeblich stabsmäßige Umsiedlung von Roma in Randgebiete wie den Schluckenauer Zipfel. "Reiche Leute kaufen ein Haus in Prag mit sogenannter Problemklientel und erlassen denen die Mietschulden. Im Gegenzug bieten sie eine neue Wohnung in einem Plattenbau im Randgebiet an", sagt der Prager Soziologe Ivan Gabal. Sesshaft gewordene Roma würden damit gegen ihren Willen wieder zu dem fahrenden Volk, das sie einmal waren. Ihre Perspektiven in den Randgebieten sind noch düsterer.
Dieses Problem plagt auch Jaroslav Sykacek, den Bürgermeister von Rumburk. Seit Monaten fordert er von Prag, Schluss zu machen mit dem Personalabbau bei der Polizei. Sonst könne er für die Sicherheit der Bürger nicht mehr garantieren. Die Regierung hatte in den letzten anderthalb Jahren die Personaldecke der Polizei systematisch ausgedünnt, um ambitionierte Sparbemühungen umzusetzen. Auf 1000 Einwohner kommen noch vier Uniformierte.
Immer öfter kommt es zu Schlägereien mit rassistischem Hintergrund. Vor einigen Tagen schlugen in Rumburk 20 Roma-Angreifer nach einem Discobesuch sechs tschechische Jugendliche in die Flucht. "Das ist der Anfang von etwas viel Schlimmerem", prophezeit Bürgermeister Sykacek. Immerhin zeigt Prag inzwischen Härte. Premierminister Petr Necas schickte 50 Sondereinsatzkräfte in den Schluckenauer Zipfel.
Die Nachmittagssonne scheint warm über den Luzicke-Platz in Rumburk, als Josef Masin das Podium betritt. Er ist Mitglied der Gruppe "Bürgerlicher Widerstand". Seinen Auftritt hätte das Rathaus gern verhindert. Man wolle den Radikalen nicht das Feld überlassen. Masin spricht markig. "Wir lassen uns nicht zum Müllplatz der Republik machen", brüllt er über den Platz. Die Zuhörer applaudieren.
Auf einmal setzt sich eine Gruppe von Männern in Bewegung. Kahl rasiert, muskulös und tätowiert bilden sie die Spitze des Zuges. Die Menschen laufen hinterher, als ob sie darauf gewartet hätten. Die Glatzköpfe an der Spitze wissen, wohin es geht. Doch dort versperren ihnen 200 Polizisten den Weg. Sie müssen die Roma vor der Bevölkerungsmehrheit schützen. In die Rufe "Zigeuner raus!" und "Zigeuner an die Arbeit!" mischt sich das ratternde Geräusch eines Polizeihubschraubers. Ein Zaun geht zu Bruch, Steine fliegen auf ein Haus. Einer sagt: "Schade, dass das kein Molotow-Cocktail war." Nur mit Mühe verhindert die Polizei an diesem Abend Schlimmeres.
Viele haben nun Angst, wenn die Polizeiverstärkung aus Prag in ein paar Wochen wieder abzieht. Doch die könne das Problem ohnehin nicht lösen, sagt Soziologe Gabal. "Die Regierung muss der Integrationspolitik endlich wieder Priorität schenken." Er fürchte, dass dazu der Wille fehlt. "Für Prag ist das nur ein Randproblem in einer weit entfernten Region."(n-ost)