Kriminelle und politische Häftlinge arbeiteten gemischt / Möbelkonzern prüft Entschädigung Ikea-Sofa im DDR-Knast Waldheim fabriziert
Der Möbelkonzern Ikea hat nach Angaben einer schwedischen TV-Dokumentation jahrelang Möbel aus Zwangsarbeit auch von politischen DDR-Häftlingen im sächsischen Waldheim geliefert bekommen. In der für gestern Abend angekündigten Sendung der Reihe "Uppdrag Granskning" ("Auftrag: Nachforschung") gaben zwei frühere leitende Mitarbeiter des Möbelkombinats Dresden-Helle- rau an, dass in Waldheim ab 1975 unter anderem das Erfolgs-Sofa "Klippan" auch von Strafgefangenen gefertigt worden sei.
Eine Sprecherin der Stasi-Unterlagenbehörde sagte in Berlin, es habe eine Reihe von DDR-Firmen gegeben, die für den Westen produziert haben. Für Ikea sei auch in normalen Möbelfabriken gearbeitet worden. Wie groß der Anteil sei, der in Gefängnissen hergestellt wurde, sei aus den Unterlagen nicht ersichtlich. DDR-Strafgefangene mussten nach Angaben der Sprecherin arbeiten - egal, ob sie politische Häftlinge waren oder Kriminelle. Ikea will mit früheren politischen Gefangenen in der DDR über Entschädigungen für mögliche Zwangsarbeit sprechen.
Nach Einschätzung des Historikers Thomas Widera vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden ist die Geschichte des Arbeitsregimes in DDR-Haftanstalten noch weitgehend unerforscht. "Die Aktenlage ist hier schlechter als in anderen Bereichen", sagte er der dpa.
Ein früherer Gefängnis-Wärter aus Waldheim sagte in der TV-Dokumentation über die Arbeit in der Möbelproduktion: "Wir gingen davon aus, dass das Kriminelle waren. Sicher sind politisch motivierte Straftaten wie Repu- blikflucht und so weiter dabei gewesen. Diese Gefangenen waren dann gemischt."
Zu dem Häftlings-Einsatz sagte der frühere Kombinatschef Dietrich Meister: "In jedem Gefängnis in Deutschland, ob West oder Ost, gibt es Möglichkeiten für Strafgefangene zu arbeiten. Das ist ein Weg für sie, in die Gesellschaft zurückzukommen."
Über die erst 1989 mit dem Fall der Mauer beendeten Lieferungen an Ikea aus der DDR meinte er: "Das war eine sehr gute Zusammenarbeit. Wir hatten langwierige Verhandlungen, aber am Ende haben sie alle zu guten Ergebnissen geführt." Sein früherer Kollege Herbert Kornetsky sagte, dass Ikea mit dem Einsatz der Häftlinge "eigentlich nichts zu tun hatte".
Als direkt Betroffener berichtete der Ex-Häftling Dieter Ott, wie er 1985 nach der Verurteilung zu einem Jahr Haft wegen seiner Anläufe zur Ausreise aus der DDR als Häftling bei der Möbelproduktion eingesetzt wurde: "Ich saß an einer Stanze, und wir produzierten Möbelrollen und Möbelgriffe und auch Scharniere." Er habe damals nicht gewusst, für wen die Produktion gedacht war. "Ich glaube, (...) dass es für die Firma Ikea war", meinte Ott weiter. Über die Konsequenzen aus heutiger Sicht sagte er: "Wir bekamen sehr, sehr wenig Geld, und deshalb war es sehr profitabel für Ikea."
Ikea erklärte vor Ausstrahlung der Sendung, man verurteile die Beschäftigung von politischen Gefangenen in der Produktion "aufs Schärfste". Die Anschuldigungen nehme man "sehr ernst" und habe eigene Untersuchungen eingeleitet. Der schwedische Konzern will nach derzeitigem Kenntnisstand nichts von dem Einsatz von Häftlingen gewusst haben.
Die Thüringer Stasi-Beauftragte Hildigund Neubert hat sich unterdessen hinter die Forderung an Ikea gestellt, ehemalige politische Gefangene in der DDR für ihre Zwangsarbeit zu entschädigen. Neubert sagte dem Sender MDR Info, es gebe eine Entschädigung für politische Gefangene. Die beziehe sich aber nicht auf die Zwangsarbeit.
Auf dpa-Anfrage sagte Neubert, nach bisherigen Erkenntnissen habe in Thüringen kein politischer Häftling über einen VEB für Ikea arbeiten müssen. Ihr sei aber bekannt, dass im sachsen-anhaltischen Naumburg Scharniere und Beschläge für Möbel produziert wurden. (dpa)