Um Westfernsehen zu gucken, wurde der DDR-Bürger ganz besonders kreativ Antennen aus einer Zeit, als Fernsehuhren die Gesinnung verraten sollten
Das Foto einer Eigenbau-Fernsehantenne in der Sonnabend-Ausgabe sorgte für Reaktionen von Lesern, die auch zum Kollektiv der Selbstbastler gehörten.
Barby/Tornitz l Es war eine Antenne der Marke Eigenbau, die zum Bestand des Tornitzer Heimathofes zählt. Im Bildtext war davon die Rede, dass die "West-Sender Ochsenkopf und Brocken" ihr Programm in Richtung DDR ausstrahlten. "Ochsenkopf in Bayern ist richtig. Brocken aber nicht. Hier muss es Torfhaus heißen", machte uns Leser Alfred Fleißner (62) aufmerksam. Womit er Recht hat. Die Sendeanlagen des Torfhaus befinden sich in Sichtweite des Brockens auf der Westseite der ehemaligen Grenze. "Wenn man in Ilsenburg auf den Stumpfrücken kletterte, konnte man die Masten sehen", erinnert sich Fleißner. Wer im heutigen Sachsen-Anhalt vor 25 Jahren also ARD und ZDF guckte, bekam sein Signal aus dem Westharz. Weil der Brocken in der selben Himmelsrichtung liegt, ließ sich anhand der Antennenausrichtung nicht feststellen, ob West- oder Ostfernsehen geguckt wurde.
Was abgesehen von "staatstragenden Ausnahmen" aber kaum eine Rolle spielte. Es gab nie ein gesetzliches Verbot des Westfernsehkonsums. Seit den 1970er Jahren, begleitet von der Entspannungspolitik zwischen der Bundesrepublik und der DDR, sah die Staatsführung das Thema gelassener und nahm ihn hin. Damals sollen laut Umfragen schon 70 Prozent aller Fernsehgerätebesitzer Westfernsehen gesehen haben. [1]
Nur Angehörigen der Staatsorgane, wie NVA oder Polizei, war es bis 1990 untersagt, westliche Fernseh- und Radiosender zu empfangen. Was noch am ehesten in den Fernsehräumen der NVA-Kasernen klappte. Aber auch dort waren die Grundwehrdienstleistenden einfallsreich. "Wir haben den Konverter so manipuliert, dass wir Westen gucken konnten. Da musste aber immer jemand vor der Türe Schmiere stehen", lacht Fleißner.
Auch Klaus Ludwig aus Chemnitz - er liest die Volksstimme online - hat da so seine Erinnerungen. "Bei uns hat die FDJ Anfang der 1960er Jahre in der \'Aktion Ochsenkopf\' Antennen, die nach Westen gerichtet waren, eigenmächtig auf den Dächern abgebaut." Er selbst habe es nicht erlebt, wohl aber seine Eltern, berichtet der 59-Jährige.
"Der Staat hatte aufgegeben. Wenn man uns das Westfernsehgucken verboten hätte, wäre es zum zweiten 17. Juni gekommen."
Was sich nicht jeder Antennenbesitzer gefallen ließ. "Nur weil die jungen FDJ-Schnösel ein blaues Hemd trugen, hatten sie noch lange nicht das Recht, Privateigentum anzugreifen", zitiert Klaus Ludwig seinen Vater.
Die Kampagne war von einer großen staatlich gelenkten Presseberichterstattung und Denunziationsversuchen seitens der FDJ begleitet. Dennoch scheiterte sie schon nach wenigen Wochen, weil sich zu viele Bürger in ihren Privatwohnungen der Überwachung entziehen konnten - notfalls durch so genannte Nachtantennen, die nur zum Fernsehempfang in der Dunkelheit herausgefahren wurden. [1]
"Der Staat hatte aufgegeben. Wenn man uns das Westfernsehgucken verboten hätte, wäre es zum zweiten 17. Juni gekommen", ist sich auch Alfred Fleißner sicher.
Ab diesem Zeitpunkt wurde in Regionen mit besonders schwierigen Empfangsverhältnissen sogar die Bildung von lokalen Antennengemeinschaften geduldet. So findet man noch heute in Ostharzgemeinden, die im Tal liegen, einzelne Stahlgittermasten auf angrenzenden Bergen. Erfindergeist und Organisationstalent waren typische Eigenschaften des "gelernten DDR-Bürgers". Auf kaum einem Gebiet entfalteten sich diese Fähigkeiten so wie beim Streben nach Westfernsehen.
Wenn die eingangs beschriebene Tornitzer Antenne erst in den 80er Jahren gebastelt wurde, war ein Pionier in Sachen Fernsehkonsum der Barbyer Rundfunkmeister Erwin Gaßler. Der baute Anfang der 60er Jahre nicht nur Radios und Fernseher selbst, sondern auch die dazugehörigen Antennen. Es waren riesige 16-Element-Antennen, deren Stäbe sich verbogen, wenn allzudicke Tauben darauf rasteten.
"Ich kann mich nicht erinnern, dass mein Vater von Seiten des Staates reglementiert wurde", sagt Sohn Ralph Gaßler (58). Schließlich zählte zu Erwins Kunden auch so mancher Genosse.
"Bei aller vermeintlichen Toleranz soll aber nicht vergessen werden, wie die Kinder in der Schule ausgehorcht wurden", mahnt Klaus Ludwig. Die Lehrer sollten herausfinden, in welchen Familien Westen geguckt wurde. Ein Trick, das zu ermitteln, war die Frage nach der Fernsehuhr: "Hat sie Punkte oder Striche?" Auf dem Zifferblatt der Uhr des DDR-Fernsehens waren Punkte, auf dem der ARD Striche. Je nachdem, was das Kind antwortete, drohte der Familie Ärger oder nicht. "Es war das Erste, dass mir meine Eltern einbläuten, als ich in die Schule kam: Unsere Uhr hat Punkte", rollt der 59-Jährige mit den Augen.
[1] Quelle: Wikipedia