Premiere von "Iphigenie auf Tauris" bannte das Publikum mit großem Schauspiel und effektvoller Musik Wenig Kulisse - starke Wirkung
So spannend kann alter Stoff sein. Wenn man ihn nur richtig umsetzt. Am Freitagabend feierte Goethes "Iphigenie auf Tauris" unter der Regie von Alexander Netschajew Premiere im Kleinen Haus. Die Inszenierung punktet mit überzeugenden Schauspielern, gelungener Dramaturgie und faszinierender Musik.
Stendal l Göttergeschlechter, Königsgeschlechter... die griechische Mythologie ist sehr kompliziert. Nicht immer weiß der Mensch der Neuzeit, wer mit wem verwandt, verschwägert oder verfeindet ist. Goethe lässt seine dramatischen Personen zwar die Vorgeschichte erzählen, aber da muss man als Zuschauer schon sehr aufpassen, um nichts zu verpassen. Grundsätzlich empfiehlt sich bei derlei Theaterstücken vorab ein Blick in den Schauspielführer. Sind die kompliziert anmutenden Götter- und Schicksalsverwirrungen wieder in Erinnerung gebracht, kann man sich entspannt zurücklehnen und das Dargebotene genießen.
Auch an dieser Stelle kann die zum Verständnis wichtige Vorgeschichte gar nicht und der Inhalt des Stücks nur sehr kurz und unvollständig angerissen werden: Iphigenie dient auf Tauris als Priesterin im Dianen-Tempel. König Thoas hält um ihre Hand an, sie lehnt eine Heirat ab. Ihr Bruder und dessen Freund kommen nach Tauris, werden gefangen genommen und sollen im Tempel geopfert werden. Iphigenie will mit ihnen fliehen, möchte aber Thoas, den sie wie einen Vater verehrt, nicht hintergehen. Sie weiß: "Die Lüge, sie befreiet nicht."
Bei Goethes Bearbeitung des altgriechischen Stoffs entscheidet sie sich am Ende für Offenheit und Ehrlichkeit und beendet damit den Fluch, den die Götter auf ihr Familiengeschlecht gelegt haben. Das vernunft- und herzensgesteuerte Gute siegt über das Böse. Iphigenie wird damit zum Ideal des Humanismus.
90 Minuten dauert die Stendaler Aufführung im Kleinen Haus des Theaters der Altmark. Die Schauspieler sind immer auf der Bühne. Wenn sie keinen Einsatz haben, sitzen sie am Rand.
Eine Kulisse im klassischen Sinn ist nicht vorhanden. Es gibt lediglich eine Schräge auf der Bühne und einen Steg, der durch den Zuschauerraum zur Bühne führt. Die Kostüme sind schlicht und einfach, schwarz für die einen, weiß für die anderen. Ausstatter Mark Späth und Regisseur Alexander Netschajew haben dafür gesorgt, dass nicht viel ablenkt vom gesprochenen Wort. Und von der Kunst der Agierenden.
Schulz zieht als Iphigenie alle Register: Sie ist mutig, verletzlich, klug
Es ist großes Schauspiel, was hier auf kleiner Bühne gezeigt wird. Als Erstes muss Volker Wackermann genannt werden. Sein Thoas hinterlässt einen tiefen Eindruck. Wackermann beherrscht die Bühne mit grandioser Stimmmodulation, Mimik und Körperhaltung.
Michaela Maxi Schulz zieht als Iphigenie alle Register: Sie scheint mutig, verletzlich, stark, einfühlsam und klug. Iphigenies innerer Konflikt steht greifbar im Raum. Auch Schulz also sehr präsent und überzeugend.
Michael Putschli verleiht seinem königlichen Berater Arkas viel wohlartikulierte Intensität und macht die Rolle damit größer, als sie angelegt ist.
Michael Magel ist ein eher komisch-verzweifelter als, wie sonst üblich, listig-geschickter Pylades - eine Rolle auf die Magel sich trefflich versteht, und in der er dem Publikum sichtlich gefiel. Andreas Müller ist Orest. Zunächst muss er den Halbwahnsinnigen (weil von den Furien Gejagten) geben, dann den Geheilten, der wieder Mut fassen kann. Leider setzt Müller ein wenig zu sehr auf laute Stimme, im Ausdruck bleibt er insgesamt ein wenig blass neben den anderen.
Musikalische Zwischenstücke tun weite Räume auf
Intendant Alexander Netschajew hat seine Inszenierung mit einem Musikwerk aus der Feder Arvo Pärts, eines zeitgenössischen estnischen Komponisten, verwoben. Die Zuschauer hören Pärts meditativ anmutendes "Fratres" stückchenweise, jeweils nach wichtigen Handlungsstellen, während die Schauspieler die Spannung durch Blickkontakt und Körperhaltung halten. Allein das ist übrigens schon eine beachtliche Leistung. Und Jakob Brenner am Klavier und Katharina Pschorr an der Violine sind wunderbar.
Diese Mischung von Musik und Schauspiel (Letzteres beinah in Reinform) ist äußerst gelungen. Während das Gesagte nachklingt, tun sich für die Zuschauer in den musikalischen Zwischenstücken weite Räume auf, in denen eigene Gedanken freien Lauf haben.
Nächste Vorstellungen: Freitag, 21. Februar, 19.30 Uhr, Montag, 24. Februar, und Dienstag, 25. Februar, jeweils 10 Uhr