Anlässlich des Totensonntags: Spaziergang über den Schierker Bergfriedhof Verstorbene hinterlassen Spuren in der Geschichte einer Gemeinde
Anlässlich des Totensonntags hat die Harzer Volksstimme Ortschronistin Ingrid Hintze bei einem Spaziergang über den Schierker Friedhof begleitet. Eine Reise in die Geschichte des Brockenorts mit Anekdoten über die bekannten und weniger bekannten Dorfbewohner.
Schierke l Wenn die Sonne durch die Wolken bricht, wenn Licht auf die alten Kreuze und die mächtigen Findlinge fällt, dann sieht der Schierker Friedhof idyllisch aus. Ingrid Hintze schlendert über die Anlage. Sie genießt die Ruhe, lässt ihren Blick über das hügelige Gelände schweifen. "Bis vor ein paar Jahren war hier alles verwildert, überall Brennnesseln", sagt die Rentnerin, die ehrenamtlich als Ortschronistin und Gästeführerin arbeitet. Seit die Wernigeröder Stadtverwaltung für den Friedhof zuständig sei, habe sich dieser zu einer hübschen Parkanlage gemausert.
1865 wurde der Friedhof angelegt - gegenüber der neuen Kirche. 1895 wurde er erweitert. Ein Jahr später konnte schließlich die kleine Leichenhalle eingeweiht werden. Ingrid Hintze geht oft an diesem Ort spazieren. "Hier finde ich Besinnung, kann meinen Gedanken nachhängen." Und nicht nur das. Sie interessiere sich auch für die Geschichten der Menschen, die hier begraben liegen. "Sie haben schließlich früher einmal in Schierke gelebt, haben Spuren hinterlassen, die es wert sind, nicht in Vergessenheit zu geraten." Deshalb führt die 73-Jährige Touristen gern über den kleinen Bergfriedhof, erzählt ihnen von Pfarrer Ritscher, von den Meines, den Wedels, den Hantelmanns.
Ingrid Hintze bleibt vor einem Grab stehen. "Kennen Sie August Künne?", fragt sie. An den Mann, der einst als "Philosoph von Schierke" bekannt war, erinnert sich heute kaum jemand. Nach dem ersten Weltkrieg habe Künne den Schierker SPD-Ortsverein gegründet, 1932 sei er im Alter von 75 Jahren verstorben. Ingrid Hintze weiß noch eine andere Anekdote zu berichten. "Er kannte viele bedeutende Persönlichkeiten, darunter Albert Einstein, der öfter mal in Schierke weilte." Künne habe einmal neben dem berühmten Physiker auf einer Bank gesessen, die beiden hätten sich angeregt unterhalten. Sogar ein Buch habe Einstein für Künne signiert. "Die Relativitätstheorie."
Ingrid Hintze geht weiter, deutet auf ein großes braunes Kreuz und schüttelt mit dem Kopf. "Eine schlimme Geschichte war das." Die Namen von fünf jungen Frauen sind auf dem Kreuz verewigt. "Die Mädchen sind in der Nacht zum 5.Januar 1943 im Hotel ¿Fürstenhöhe\' verbrannt, das während des Krieges als Lazarett genutzt wurde." Das Gebäude sei an vier Ecken angezündet worden. "Die Mädchen schliefen zu dem Zeitpunkt im Turmzimmer. Sie hatten keine Chance." Eine der junge Frauen sei mit einem Soldaten verlobt gewesen, war gerade dabei, ihr Hochzeitskleid zu nähen. "Der arme Mann hat sie nach der Brandnacht überall gesucht, hat verzweifelt an alle Türen geklopft, in der Hoffnung seine Braut zu finden."
Etwas abseits befindet sich die Ruhestätte von Willy Drube. Viele Touristen würden gezielt nach diesem Grab suchen. Schließlich sei der Apotheker als Erfinder des Kräuterlikörs "Schierker Feuerstein" in die Geschichte eingegangen. 1910 übernahm Drube die Apotheke im Dorf und verlieh ihr den Namen "Zum Roten Fingerhut". Sein berühmtes Rezept meldete er 1924 zum Patent an. Der Likör sollte Kurgäste in Schierke von Magenbeschwerden befreien. Drube benannte ihn nach den in der Nähe gelegenen Feuersteinklippen. Während für ihn Alkohol bei der Arbeit tabu war, ging es bei den Festen der Familie umso fröhlicher zu.
Zur Hochzeit seiner Tochter soll Drube sogar einen Brunnen aufgestellt haben, aus dem "Schierker Feuerstein" floss. Die Älteren im Dorf erinnern sich noch gern an den Papagei in Drubes Büro, der immer rief: "Schierke ist schön, Schierke ist schön." In den 1930er Jahren schrieb er einen Wettbewerb für seinen eigenen Grabspruch aus. Seine Wahl fiel auf "In dieser Erdengrube ruht Apotheker Drube. Oh\' Wanderer eile fort von hier, sonst kommt er raus und trinkt mit dir." Noch immer ist der Spruch auf Drubes Grab zu lesen.
"Das war schon einer, der alte Willy", sagt Ingrid Hintze. Sie lächelt. Auch Drube habe seine Spuren in der Geschichte des Ortes hinterlassen. Erinnerungen, die wie alle anderen von den Schierkern bewahrt werden.