Elbe-Flut bahnt sich Weg weiter Richtung Nord-Ost / Menschen kämpfen um ihre Dörfer Versenkte Schiffe sollen Deichlücke schließen
Stendal l In Fischbeck (Landkreis Stendal) wird heute ab 5.30 Uhr eine dramatische Aktion durchgeführt. Zwei große Schiffe mit einer Gesamtlänge von 100 Metern sollen versenkt werden, um eine Lücke im gebrochenen Deich zu schließen. Pioniertaucher loteten gestern Abend die Tiefe des Wassers aus.
Der Krisenstab teilte gestern Abend mit, dass die Deichlücke zunächst mit Panzersperren gefüllt wird. Danach werden die sogenannten Schaluppen an den gebrochenen Deich gebracht. Der Kapitän der Schiffe soll aus der Luft gerettet werden. Danach wird der Boden der Schiffe herausgesprengt. Hubschrauber werfen dann 1000 Big Bags auf die gesunkenen Schiffe.
Panzersperren und versenkte Schiffe
Stendals Landrat Carsten Wulfänger (CDU) sagte am Abend: "Ich halte jeden Versuch für richtig und wichtig, der uns die Chance eröffnet, den Deich zu verschließen. Dieses Vorhaben ist sehr anspruchsvoll und nicht ohne Risiko. Aber jeder Kubikmeter Wasser, der nicht in das Elbe-Havel-Land fließt, ist es das wert."
Der Deich war am Montag kurz nach Mitternacht gebrochen - trotz massiver Rettungsversuche von mehren hundert Einsatzkräften und dem Einsatz von rund 1000 Big Bags über den ganzen Sonntag hinweg. Die Lücke im Deich dehnte sich schnell auf 50 Meter, später auf 100 Meter aus, konnte am Dienstag aber bei 60 Metern Länge stabilisiert werden. Zunächst flossen eine Million Liter Elbewasser pro Sekunde ins Elbe-Havel-Gebiet, gestern waren es immer noch 500 000 Liter in der Sekunde.
Fischbeck ist zu 80 Prozent geflutet, teilweise bis zu 2,50 Meter hoch. Die Wassermassen sind inzwischen bis zu 30 Kilometer in den Norden vor Havelberg vorgedrungen. Auf einer Fläche von 20 000 Hektar - das entspricht rund 28000 Fußballfeldern - hat sich das Wasser inzwischen in dieser Region des Landkreises Stendal ausgebreitet. Die Nerven der Bewohner liegen blank, nachdem gestern bei Tageslicht sichtbar wurde, dass sich das Wasser eine andere Bahn gesucht hat und die Flut weitere Dörfer bedroht.
Noch in der Nacht wurden Kamern und Neukamern evakuiert, nachdem ein wenige Stunden zuvor errichteter Behelfswall von Wassermassen überspült worden war. In den Orten Kuhlhausen, Garz und Warnau errichteten daher die Einwohner mit zahlreicher Unterstützung von Bundeswehr, Technischem Hilfswerk und weiteren Freiwilligen am Freitag Deichanlagen, um ihre Dörfer zu retten, da die Elbeflut nunmehr weiter nordöstlich vordringt.
Für 22 Dörfer im Elbe-Havel-Gebiet ist die Evakuierung angeordnet worden. Allerdings bleiben etliche Einwohner in den Orten, um ihre Heimat zu verteidigen.
Besonders dramatisch ist die Situation in Scharlibbe: Rund 8000 Schweine der örtlichen Agrargenossenschaft sind hier vom Wasser eingeschlossen. Ein Abtransport der Tiere ist nicht möglich. Heute wird eine Hochleistungspumpe eingeflogen, die dafür sorgen soll, dass die Anlage vom Wasser fern gehalten wird.
Heute um 9 Uhr wird Deich gesprengt
Der Krisenstab hatte darauf gesetzt, dass sich das Flutwasser das Flussbett des Trübengrabens sucht, um weiter nach Norden vorzudringen. Da sich die Fluten verstärkt weiter östlich bewegen, haben Einsatzkräfte der Bundeswehr gestern den Durchbruch in der Landesstraße zwischen Kuhlhausen und Jederitz auf 100 Meter verdoppelt. Seit gestern Abend wird ein weiterer Schlitz westlich von Jederitz vorbereitet.
Heute morgen soll das Elbewasser diese Linie erreicht haben. Im Stendaler Landratsamt hofft man, dass es dann über die dahinter liegenden Havelpolder in die Havel fließt und von dort in die Elbe geleitet werden kann. Kommt das Wasser in der Havel an, ist Flussbereichsleiter Reinhard Kürschner optimistisch: "Der Fluss schafft das locker, das Wasser muss nur erst einmal dorthin gelangen."
Heute um 9 Uhr wollen Sprengexperten des THW im Elbe-Saale-Winkel die Bruchstelle am Saaledeich zwischen Rosenburg und Breitenhagen durch eine Sprengung erweitern. Die nach Angaben des Landesbetriebes für Hochwasserschutz 140 Meter breite Bruchstelle soll um 60 Meter verbreitert werden, hieß es zunächst.
Gestern wurden 50 Bohrlöcher im Deich mit Sprengstoff und Sand gefüllt. Durch das vergrößerte Loch im Deich soll das Wasser aus den Überflutungsgebieten schneller in die Saale zurückfließen. Der Fluss hat inzwischen einen niedrigeren Pegelstand als das etwa 85 Quadratkilometer große Überflutungsgebiet.