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Kleinstadt Werben Das Ende einer Schule: Teuer saniert ins Aus

Kein Dorf verliert gern die Grundschule. Die Menschen in der Kleinstadt
Werben aber können es nicht fassen: Aus ihrer Sicht haben sich die
Nachbardörfer verbündet, um eine Entscheidung gegen alle Vernunft
durchzudrücken.

Von Hagen Eichler 15.04.2014, 03:23

Werben/Elbe l Diese Schule hier wird geschlossen, daran ist nicht mehr zu rütteln. Selbst die Möbel sind schon für den Abtransport vorbereitet. Ein grüner Punkt auf der Stuhllehne bedeutet: Umzug ins Nachbardorf, wo die Klasse künftig lernen soll. Ein roter Punkt heißt: Möbelstück wird dort nicht gebraucht, kann hierbleiben. Der Viertklässler Hagen Bergmann hofft, dass er den Umzug noch verhindern kann. Kurzerhand pult er einen der roten Punkte ab und klebt ihn sich auf die Stirn: "So, jetzt kann mich keiner mitnehmen!"

Kinderlogik. Die Erwachsenen im Altmarkstädtchen Werben ahnen schon, dass die hier nicht weiterhelfen wird. Andererseits: Ist nicht die Schließung dieser Grundschule auch in der Logik der Erwachsenen vollkommen unbegreiflich?

Die Grundschule Werben, aktuell 41 Schüler, ist ein dreigeschossiger Backsteinbau aus dem Jahr 1931. Bis vor kurzem haben die Handwerker darin gearbeitet. Die Fenster sind erneuert, die Wände strahlen in fröhlichen Farben, ein nagelneues Computerkabinett mit neun Plätzen steht bereit. Brandschutz, Lautsprecher für Notfall-Durchsagen in jedem Raum, eine Bibliothek - an alles ist gedacht. 800000 Euro Steuergeld hat die Sanierung gekostet. So eine Schule kann man doch nicht schließen, finden die Werbener.

"Wir bekommen keine sachliche Begründung. Weil es keine gibt."

Diana Dreifke, erst im Oktober aus dem Sauerland zugezogen, wollte die Nachricht vom bevorstehenden Ende anfangs gar nicht glauben. "Ich konnte mir nicht vorstellen, dass so viel Geld in den Sand gesetzt wird." Mittlerweile ist sie nicht mehr so sicher. Dreifkes sechsjährige Tochter Annabel sollte eigentlich im September hier eingeschult werden, genauso wie später einmal der erst drei Wochen alte Bruder Richard William.

Zwei Störche nisten auf dem Schuldach. In den Etagen darunter haben die Kinder viel Platz, die Schule liegt im Grünen und hat eine Ausstattung, von der das Nachbardorf Iden mit seinem schmucklosen Flachbau nur träumen kann. In Iden ist nicht einmal genug Platz, um alle künftigen Schüler im Hort zu betreuen. Und dennoch: Hierhin sollen die Werbener künftig fahren. So hat es die Verbandsgemeinde entschieden, der Kreistag hat es bestätigt und auch das Land. Warum?, fragen die Werbener seither. "Wir bekommen keine sachliche Begründung. Weil es keine gibt", sagt Werbens Bürgermeister Jochen Hufschmidt.

Viele Eltern zweifeln längst grundsätzlich an der Demokratie, die solche Entscheidungen zulässt. Auch der Weg dahin erscheint ihnen höchst dubios. Denn als die Verbandsgemeinde im vergangenen Jahr ihren Beschluss fasste, tat das nicht etwa der gewählte Verbandsgemeinderat. Das Gremium war zuvor vom Verwaltungsgericht aufgelöst worden, an seiner Stelle hatte das Land einen Beauftragten eingesetzt: Karlheinz Schwerin, den Bürgermeister von Eichstedt. Nicht 21 gewählte Kommunalpolitiker stimmten ab, sondern ein einziger, vom Land eingesetzter Politiker. Er entschied: Die Grundschule Werben wird geschlossen. Hat sich Schwerin mit den Werben-Gegnern verbündet, um der Stadt die Schule wegzunehmen?

Schwerin, 65 Jahre alt, braucht nicht viel Zeit, um in Fahrt zu kommen. "Ich werde da von Leuten beschimpft, die überhaupt keine Ahnung haben", wettert er, und überhaupt hätte er die Entscheidung gern abgetreten, aber er war nun einmal der offizielle Beauftragte und der Beschluss musste her.

Wer Schwerin zuhört, bekommt eine Ahnung, mit welchen Mitteln der Kampf um die Schule geführt wird. Das beginnt mit der Sanierung. Alle Bürgermeister der Verbandsgemeinde seien sich jahrelang einig gewesen: Solange nicht klar ist, welche Schule dauerhaft erhalten bleibt, sollte an den Gebäuden nur das Notwendigste getan werden. Brandschutz natürlich, das musste sein. "Aber die in Werben, die haben das Haus vom Keller bis zum Dach saniert, der Stadtrat hat rotzfrech gesagt: Wir investieren hier."

Wollte Werben mit einer teuren Sanierung Tatsachen schaffen?

Der Verdacht in den Nachbardörfern: Die Werbener wollten Tatsachen schaffen. Werbens Bürgermeister, erst seit vergangenem Herbst im Amt, weist das auch für seinen Vorgänger zurück. Immerhin stamme das Geld ja aus Fördertöpfen des Landes, sagt Hufschmidt. Wenn es in Magdeburg keinen Einwand gegen die Sanierung gab, wie hätten sich dann die Werbener der Pflicht entziehen können, ein denkmalgeschütztes Gebäude zu erhalten?

In der Landesregierung wusste die eine Hand nicht, was die andere tut. Der Bauminister gab Geld für die Sanierung einer Mini-Schule, der Kultusminister lässt Mini-Schulen schließen. Möglicherweise kann man einige Räume künftig noch für den Schulhort nutzen. Oder auch nicht - die Zukunft der Einrichtung ist noch offen.

Karlheinz Schwerin, der frühere Beauftragte, will nicht allein für die Schulschließung haftbar gemacht werden. Die Werbener Kernstadt habe einfach zu wenig Kinder, sagt Schwerin. Auch die Lage direkt an der Landesgrenze zu Brandenburg habe eine gewisse Rolle gespielt. Vor seiner Entscheidung hat er sämtliche Bürgermeister der Verbandsgemeinde um ihre Meinung gebeten. Fünf votierten gegen die Werbener Schule, zwei dafür, einer enthielt sich. Rechtlich ist das ohne Belang, doch für Schwerin ist damit klar: Ähnlich wäre das Abstimmungsergebnis auch dann ausgegangen, wenn der Verbandsgemeinderat entschieden hätte.

"Da wird gehetzt, das ist weit unter der Gürtellinie."

Wie auch immer: Das Verhältnis der Nachbarorte ist vergiftet. "Da kommen uralte Ressentiments gegen Werben hoch, die Runde der Bürgermeister ist manchmal wie ein Spießrutenlauf", klagt Werbens Bürgermeister. "Da wird gehetzt, das ist weit unter der Gürtellinie", sagt Eichstedts Bürgermeister Schwerin.

Rund um den Marktplatz von Werben flattern bunte Wimpelketten, mit denen die Anwohner ihren Protest zeigen. Bei einer ihrer Freitags-Demos hat der Verein "Werben für Kinder" prominente Unterstützung bekommen: Friedrich Schorlemmer hat ein Unterstützungsschreiben verfasst. Der Wittenberger Theologe hat hier einst die Schulbank gedrückt.

Ins zwölf Kilometer entfernte Iden wollen die Werbener ihre Kinder ganz bestimmt nicht fahren lassen. Dann schon lieber nach Seehausen. Auch wenn es dorthin noch acht Kilometer mehr sind.