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Nahostkonflikt Student bestreitet antisemitisches Motiv nach Angriff

Die Stimmung an den Unis ist nach dem Terrorangriff auf Israel angespannt. Vor Gericht gesteht ein Ex-Student Gewalt gegen einen jüdischen Kommilitonen. Doch was war das Motiv?

Von dpa Aktualisiert: 08.04.2025, 17:06
Der Angeklagte steht mit seinem Rechtsanwalt Ehssan Khazaeli (l) beim Prozess wegen einer Attacke auf den jüdischen Studenten Lahav Shapira.
Der Angeklagte steht mit seinem Rechtsanwalt Ehssan Khazaeli (l) beim Prozess wegen einer Attacke auf den jüdischen Studenten Lahav Shapira. Bernd von Jutrczenka/dpa

Berlin - Der Angriff auf den jüdischen Studenten Lahav Shapira hat weit über Berlin hinaus Empörung ausgelöst - mehr als ein Jahr später begegnen sich Opfer und Täter vor Gericht wieder. Der angeklagte Ex-Kommilitone gestand die Gewalt, bat um Vergebung und bot Shapira Schmerzensgeld an. Den Vorwurf eines antisemitischen Motivs für die Tat wies der 24-Jährige jedoch zurück.

Die Anklage wirft ihm gefährliche Körperverletzung vor. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass antisemitische Motive der Grund für den Angriff auf den inzwischen 32 Jahre alten Shapira waren. Aus ihrer Sicht steht die Tat im Kontext mit der aufgeheizten Stimmung an der Freien Universität (FU) nach dem Terroranschlag der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023.

„Es tut mir sehr leid“, sagte der 24-Jährige zum Prozessauftakt vor dem Amtsgericht Tiergarten. Der Vorfall belaste ihn. „Es ging mir nicht um Politik, sondern das Miteinander unter Kommilitonen“, sagte der in Berlin geborene frühere FU-Lehramtsstudent. 

Am Boden liegendes Opfer getreten

„Er hat mich freundlich angesprochen und zugeschlagen“, schilderte Shapira vor Gericht. „Er hat Plakate angesprochen, bei denen es darum ging, Israel auszulöschen.“ Der 32-Jährige tritt in dem Verfahren als Nebenkläger auf und wurde als erster Zeuge gehört.

Angeklagter und Opfer begegneten sich am 2. Februar 2024 in einer Bar in Berlin-Mitte, wie der 24-Jährige vor Gericht angab. Als Shapira das Lokal verlassen habe, sei er ihm gefolgt. Nach Angaben des Angeklagten hielt er Shapira dessen Agieren in einer Whatsapp-Gruppe von Studierenden der FU vor und dass dieser Plakate an der FU abgerissen habe. 

Laut Anklage wurde der jüdische Student von seinem früheren Kommilitonen mit der Faust niedergeschlagen. Als er blutend am Boden lag, folgte mit voller Wucht ein Tritt ins Gesicht. Der 32-Jährige erlitt dabei eine komplexe Mittelgesichtsfraktur und eine Hirnblutung.

Es seien mehrere Operationen erforderlich gewesen, die Nase sei komplett neu gerichtet worden, er habe Metallplatten im Gesicht gehabt, schilderte Shapira. Er habe sich „mehrere Wochen zu Hause einschließen“ müssen, habe kaum essen können. Seine Mutter habe ihn gepflegt. Nach seinen Aussagen hat der 32-Jähre nach dem Angriff einen Personenschutz engagiert. Ein unbedarftes Studentenleben gebe es nicht mehr. 

Zeugin: Angeklagter war „voll aggro“

Er habe seine Kampfsporterfahrung unterschätzt, gab der Angeklagte vor Gericht an. Er habe die Fassung verloren, so der 24-Jährige, dessen Eltern aus dem Libanon stammen. „Er war voll aggro“, beschrieb eine 26-Jährige, mit der Shapira an jenem Abend unterwegs war.

Der Angeklagte hat sich inzwischen selbst exmatrikuliert an der FU, wie er sagte. Nach dem Vorfall hatte er zunächst ein Hausverbot bekommen. Zudem habe er an einem Anti-Gewalt-Training teilgenommen, um seine Gefühle besser zu steuern. 

Der 24-Jährige bot an, dem Opfer ein Schmerzensgeld von zunächst 5.500 Euro zu zahlen. Später wolle er weitere monatliche Zahlungen leisten. Sein Anwalt, Ehssan Khazaeli, wollte Shapira vor Gericht einen Umschlag mit Geld überreichen. Dies lehnte dessen Anwalt Sebastian Scharmer jedoch zunächst ab. Er machte dabei deutlich, dass es ihm zunächst darum geht, die Hintergründe für den Angriff auf seinen Mandanten aufzuklären. 

Motivation der Tat ist zentraler Punkt

Auch für das Gericht ist die Motivation für die Tat der zentrale Punkt des Verfahrens, wie Richter Sahin Sezer zu Prozessbeginn deutlich machte. Nach erster Einschätzung sei aus seiner Sicht eine Bewährungsstrafe bei einem antisemitischen Motiv auch aus „generalpräventiven Gesichtspunkten“ kaum denkbar, so der Richter. 

Staatsanwalt Tim Kaufmann ist davon überzeugt, dass der Angriff auf Shapira antisemitisch war. Dies ergebe sich aus den Ermittlungen. „Vermischt wurde einerseits die Perspektive des Nebenklägers auf den Konflikt und andererseits seine Religion - diese Gemengelage machte ihn zum Opfer einer Straftat“, sagte er am Rande des Verfahrens. 

Der Prozess wird am 17. April fortgesetzt. Unter anderem soll dann ein Polizist zu einem Video befragt werden, das auf dem Handy des 24-Jährigen sichergestellt wurde. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft belegt es das antisemitische Motiv der Tat. Auch das Urteil könnte gesprochen werden. 

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, verfolgte den Auftakt des Prozesses vor dem Schöffengericht, der unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen erfolgt. „Dieses Verfahren zeigt eines ganz deutlich: nämlich, wie gefährlich Antisemitismus ist und wie wichtig seine konsequente Verfolgung und Ahndung durch die Justiz sind“, erklärte Klein im Vorfeld. 

Klage gegen Universität

Shapira klagt unterdessen vor dem Berliner Verwaltungsgericht gegen die FU und will die Hochschule in Verantwortung nehmen. Der Student wirft ihr vor, sie habe gegen antisemitische Diskriminierung nicht genug unternommen. Nach Angaben einer Gerichtssprecherin soll der Fall am 15. Juli verhandelt werden.

Für den Berliner Senat war der Fall Anlass, das Hochschulgesetz zu verschärfen. Bei gewissen Ordnungsverstößen ist nun wieder eine Exmatrikulation möglich. Die Hürden dafür sind aber hoch, so ist sie nur im Fall einer rechtskräftigen Verurteilung vorgesehen. Die Möglichkeit einer Exmatrikulation war 2021 von Rot-Grün-Rot abgeschafft worden.