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Katholische Kirche Der erste Internet-Heilige: Carlo Acutis

Der italienische Teenager starb 2006 an Krebs. Heute stellt ihn die Kirche als großes Vorbild heraus. Der Papst spricht den „Influencer Gottes“ jetzt sogar heilig. Und andere machen gute Geschäfte.

Von Christoph Sator, dpa 20.04.2025, 08:00
2020 wurde Carlo Acutis bereits seliggesprochen. (Foto: Archiv)
2020 wurde Carlo Acutis bereits seliggesprochen. (Foto: Archiv) Gregorio Borgia/AP/dpa

Assisi - Auf dem Corso Giuseppe Mazzini, im Zentrum von Assisi, sind sie schon so weit: In den Souvenirgeschäften des Touristenorts werden bereits die ersten Figuren von Carlo Acutis mit Heiligenschein verkauft. Der italienische Teenager starb 2006 an Leukämie. Ein gewöhnlicher Junge in Jeans, Sneakers und rotem Polohemd - aber jetzt eben mit goldenem Ring über dem Kopf. Der Preis: 45 Euro pro Exemplar.

Damit sind die Händler in der Heimatstadt des heiligen Franz von Assisi der römisch-katholischen Kirche ein wenig voraus: Im Vatikan wird Carlo Acutis, der nur 15 Jahre alt wurde, erst am kommenden Sonntag heiliggesprochen. Der Sohn aus einer begüterten Familie ist dann der erste Heilige aus der Generation der Millennials – also einer derjenigen Leute, die zwischen 1980 und 1999 geboren wurden. Eigentlich wäre er jetzt gerade mal 33.

Der Vatikan misst der Aufnahme des Italieners in den Heiligenstand erhebliche Bedeutung zu. Eigentlich wollte Franziskus das persönlich übernehmen, zumal er mit seiner Namenswahl dem acht Jahrhunderte älteren Heiligen aus Assisi (seit 1228) die Ehre erwiesen hatte. Weil sich der Papst nach seiner Lungenentzündung schonen muss, geht das wahrscheinlich nicht. Doch die PR-Maschinerie der Kirche rollt auch so. Wenn das alles so stimmt, wäre Carlo Acutis das perfekte Vorbild für die heutige Jugend.

In den amtlichen Verlautbarungen liest sich alles wie gemacht, um jüngere Leute wieder an den katholischen Glauben heranzuführen: ein „kleines Computergenie“, ein „Influencer Gottes“, ein „Cyber-Apostel“, ein „Heiliger unserer Zeit“. Acutis wurde 1991 in London geboren, wo sein Vater in der Finanzwelt arbeitete, und dort auch getauft. Kurz darauf bekam der Vater einen neuen Job in Mailand. In der Nähe von Assisi, mitten in Umbrien, hat die Familie heute noch ein Ferienhaus.

Wunder-Datenbank und Rosenkranz-Programm

Vor allem über sein Kindermädchen, so die Erzählung, fand Carlo früh den Weg zum Glauben. Mit sieben empfing er die Erstkommunion. Später kam er auf eine Jesuitenschule, wo er für die Kirche Computerprogramme schrieb, Webseiten entwarf und eine Datenbank mit vermeintlichen Wundern bastelte. Auf dem Laptop installierte er ein Rosenkranz-Programm. Auch die Internetseite seiner Pfarrei betreute er. 

Der Mutter erzählte er, dass er sich mit dem Gedanken trage, Priester zu werden. Freunde ermahnte er angeblich, nicht auf Pornoseiten zu gehen. Er selbst soll behauptet haben: „Die einzige Frau in meinem Leben ist die Jungfrau Maria.“

Anfang Oktober 2016 dann die Diagnose: akute Leukämie, die ganz schlimme Art. Kurz darauf fiel er ins Koma. Am 12. Oktober war er tot. Bald danach begann auch schon der Weg zum Heiligen, gefördert von der Kirche und den Eltern. Mehrfach wurde der Leichnam umgebettet, von einem Dorffriedhof bis in die Wallfahrtskirche Santa Maria Maggiore nach Assisi. Vergangenes Jahr kamen eine Million Menschen dorthin, auch viele Schulklassen.

Der tote Junge trägt Jeans und Turnschuhe

Seine sterblichen Überreste liegen nun in einem Sarkophag mit Glasscheibe, durch die man hineinschauen kann. Der tote Junge trägt Jeans und Turnschuhe. In die Hände hat man ihm einen Rosenkranz gelegt. Das Gesicht und die Hände wurden mit Silikon nachmodelliert. Gegenüber steht eine steinerne Bank für Besucher, die länger bleiben wollen. Aber die meisten gehen doch eher schnell vorbei. Fotografieren ist verboten.

Selig- und Heiligsprechungen laufen nach einem komplizierten, mehrstufigen Verfahren ab. Dafür wird das Leben der Kandidaten genau durchleuchtet. Einst begann das frühestens 50 Jahre nach dem Tod. Heute geht es manchmal sehr schnell. In der Regel ist erforderlich, dass dem potenziellen Heiligen ein Wunder zugeschrieben werden kann. Bei Acutis wertete die zuständige Vatikan-Behörde die Heilung eines Kindes aus Brasilien und einer jungen Frau aus Costa Rica in diesem Sinne. Der Papst stimmte zu.

Die Erhebung in den Heiligenstand hat also durchaus Tradition. Aus dem Religionsunterricht hat man die heiligen Apostel (elf nur, Judas Iskariot nicht) in Erinnerung, Sankt Nikolaus, Sankt Martin, die Heilige Barbara oder Hildegard von Bingen. In jüngerer Zeit kamen Mutter Teresa oder Papst Johannes Paul II. hinzu. Inzwischen gibt es an Heiligen mehr als 10.000. Allein Franziskus zeichnet für fast 1.000 verantwortlich.

Ein Schuldfreund sät Zweifel

Manchen geht die Heiligwerdung inzwischen arg schnell. Zudem gibt es bei  Acutis Zweifel, ob er tatsächlich so fromm war. Einer seiner besten Schulfreunde, Federico Oldani, erzählte der Wochenzeitung „The Economist“, dass er mit Carlo kein einziges Mal über Jesus gesprochen habe. Auch den Satz „Die Eucharistie ist meine Autobahn in den Himmel“, der seinem toten Freund nun überall zugeschrieben wird, hörte Oldani von ihm nie.

Was nichts daran ändert, dass viele in Assisi mit dem neuen Heiligen schon gutes Geld verdienen. In den Souvenirgeschäften ist so gut wie alles im Angebot: Jutebeutel, T-Shirts, Medaillons, Anhänger, Rosenkränze, sogar Kühlschrankmagneten. Auch im Verkaufsraum der Kirche, in der Acutis nun liegt, gibt es Figuren von ihm. Der Rektor der Gemeinde, Franziskanerpater Marco Gaballo, sagt: „Die Leute wollen etwas haben, an das sie sich erinnern können. Dann ist das in Ordnung für mich.“

Mit dem ersten Heiligen des Internet-Zeitalters wird inzwischen aber auch online Geld gemacht. Auf Webseiten sind vermeintliche Reliquien im Angebot. Eine Locke, die angeblich von Acutis stammt, wurde kürzlich für 2.110 Euro verkauft. Das war der Kirche dann doch zu viel. Der Bischof von Assisi, Domenico Sorrentino, stellte Strafanzeige. Jetzt ermittelt der Staatsanwalt.