Geburten Fehlende Routine führt zu mehr Kaiserschnitten im Land
Die Geburt eines Kindes ist emotional und schmerzhaft. In manchen Fällen wird heute ein Kaiserschnitt durchgeführt, obwohl er medizinisch gar nicht notwendig wäre.
Wittenberg/Dessau - Frauen werden dicker, Kinder schwerer und Hebammen sowie Geburtshelfer fehlt die Routine: In Sachsen-Anhalt kommen jährlich viele Kinder per Kaiserschnitt auf die Welt. „Wir haben bei uns im Schnitt drei Geburten pro Tag. Im Jahr zählen wir zwischen 800 und 900. Der Anteil der Kaiserschnitte liegt - wie schon in den vergangenen Jahren - bei 30 bis 35 Prozent“, sagte der Chefarzt der Frauenklinik in Dessau, Hermann Voß. Während viele Kaiserschnitte aus medizinischer Sicht notwendig sind, gäbe es auch Frauen, die sich vorab bewusst dafür entscheiden: „Einige Frauen sind sehr daran interessiert, die Geburt zu planen.“
Im vergangenen Jahr kamen in Sachsen-Anhalt Schätzungen des Statistischen Landesamtes zufolge rund 14.600 Kinder zur Welt. Der erste Kaiserschnitt an einer lebenden Frau wurde bereits vor Hunderten Jahren - am 21. April 1610 - in Wittenberg dokumentiert. Seitdem ist viel passiert. Probleme wie lebensgefährliche Infektionen, starke Blutungen oder Embolien haben Medizinerinnen und Mediziner heute meist im Griff.
Während die Geburtenzahlen im ganzen Land insgesamt sinken, beobachtet der Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Paul-Gerhardt-Stift in Wittenberg, Roger Rehfeld, in den letzten Jahren einen Anstieg der Kaiserschnitte bei sich im Haus. Im Vergleich zu DDR-Zeiten fehle Hebammen und Geburtshelfern heute die nötige Routine, sagt er. „Bis zur Wende gab es im Osten ungefähr drei Mal so viele Geburten. Wenn die Zahl der Geburten unter eine am Tag rutscht, sinkt die Routine und es wird schneller ein Kaiserschnitt gemacht.“ Dieser sei im Zweifelsfall einfacher.
Auch zur rechtlichen Absicherung - beispielsweise im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau - führten Kliniken heute schneller einen Kaiserschnitt durch, so Rehfeld. „Geburtshelfer stehen da oft unter massivem Druck.“ Wie oft sich Eltern für einen Kaiserschnitt entscheiden, hänge dabei unter anderem auch vom Klientel und der jeweiligen Herkunft der Patientinnen ab.
Um besser auf die Wünsche der werdenden Mütter eingehen zu können, will das Klinikum in Dessau in Zukunft einen von Hebammen geleiteten Kreißsaal einrichten. „Als Hebamme ist es meine Aufgabe, die Frau zu motivieren und ihr klar zu machen, dass alles in absehbarer Zeit geschafft ist“, sagte die Bereichsleiterin des Mutter-Kind-Bereichs, Susanne Bantel. Bis heute sei nicht abschließend geklärt, welche Folgen ein Kaiserschnitt für ein Kind hat. „Die Mutter wird eben auch durch die Geburt geboren.“ Mit dem neuen Kreißsaal-Konzept wolle das Klinikum einen Kompromiss zwischen einer Hausgeburt und einer Geburt unter Leitung eines Arztes schaffen. Das soll Sicherheit geben und auch die Zahl der Kaiserschnitte senken, so die Hebamme.