Forschung Forschungsprojekt zu Langzeitfolgen von SED-Unrecht
Magdeburg/Leipzig/Jena/Rostock - Wissenschaftler wollen der fortgesetzten negativen Bewertung von Menschen nachgehen, die in der DDR etwa als Häftlinge oder Heimkinder Unrecht erfahren haben. „Wir gehen davon aus, dass diese Stigmatisierung weitergewirkt hat. Wenn jemand zum Beispiel kriminalisiert wurde oder in Haft gekommen ist, dann hängt ihm diese Haftstrafe an. Dann ist er ein Häftling oder ein ehemaliger Häftling. Das ist ein Stigma“, sagte der Leipziger Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Georg Schomerus, am Mittwoch in Magdeburg. „Die Betroffenen leiden bis heute darunter, dass sie aufgrund dieser Unrechtserfahrungen immer noch anders behandelt werden als andere Menschen.“
Betroffene würden im Rahmen der Forschungen gefragt, inwieweit sie sich ausgegrenzt fühlten. Zudem werde auf die Haltung der Behandelnden in den Hilfesystemen sowie auf Einstellungen in der Bevölkerung geschaut. Im Mittelpunkt stehe die Frage: „Was steht im Weg, damit die Leute die Hilfe bekommen, die sie brauchen“, sagte Schomerus. „Es ist wirklich Neuland. Das Konzept der Stigmatisierung liegt eigentlich auf der Hand, aber es ist noch nicht systematisch auf diese Gruppe angewandt worden.“
Die drei Leipziger Projekte gehören zu einem neuen Verbundprojekt, das die gesundheitlichen Langzeitfolgen von SED-Unrecht untersucht und so zu einer verbesserten Anerkennung und Behandlung der Betroffenen beitragen will. Experten aus Magdeburg, Jena, Leipzig und Rostock arbeiten in den kommenden drei Jahren an insgesamt zwölf Teilprojekten, sagte der Sprecher des Verbundes und Facharzt für Psychiatrie, Jörg Frommer. Erstmals werde etwa in einer Breite die Begutachtungspraxis in Entschädigungsverfahren untersucht. Es gebe extrem wenige Anerkennungen. Es gehe aber auch um Verbesserungen bei den Beratungen. DDR-Unrechtsopfer hätten häufig ein hohes Misstrauen.
„Der Ausgangspunkt ist die missliche gesundheitliche Lage der SED-Verfolgten und die fehlende öffentliche Anerkennung der erheblichen Folgeschäden von Menschenrechtsverletzungen in der DDR“, sagte Sachsen-Anhalts Aufarbeitungsbeauftragte Birgit Neumann-Becker. Es würden nur wenige Anträge auf Anerkennung von Folgeschäden gestellt, die Zahl der Bewilligungen sei minimal. „Wir hoffen sehr, dass hier Abhilfe geschaffen werden kann. Denn die Betroffenen empfinden die Ablehnungen ihrer Anträge als Infragestellung ihrer Biografie und ihres Leides“, sagte Neumann-Becker.
„Das Anliegen wird in diesen drei Jahren nicht erschöpfend behandelt sein“, sagte Frommer. Die Forschungskompetenz müsse dauerhaft in einer Institution angesiedelt sein, die sich um die gesundheitlichen Folgeschäden kümmere.