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Niedersachsen Fünf Jahre Corona: Was lief gut, was nicht?

Zwischen Aufarbeitung und Gedenken: Im Februar 2020 kam das Coronavirus nach Niedersachsen. Wie blicken Politiker und Experten heute auf die Pandemie zurück?

Von Christopher Weckwerth, dpa 26.02.2025, 04:30
Ministerpräsident Weil hält das Vorgehen in der Corona-Krise für „insgesamt gut gelungen“ - auch wenn er rückblickend manches anders machen würde. (Archivbild)
Ministerpräsident Weil hält das Vorgehen in der Corona-Krise für „insgesamt gut gelungen“ - auch wenn er rückblickend manches anders machen würde. (Archivbild) Julian Stratenschulte/dpa

Hannover - Die Corona-Zeit war eine Zäsur: Die Einschnitte in das alltägliche Leben waren tief, die Sorge vor Ansteckungen greifbar. Schulen und Kitas und Büros wurden geschlossen, Unternehmen gerieten in existenzielle Nöte, soziale Kontakte blieben oft auf der Strecke.

Vielen Menschen scheint diese Zeit mittlerweile weit entfernt, andere kämpfen bis heute mit den Folgen und Begleiterscheinungen. Fünf Jahre ist der Ausbruch der Pandemie nun her: Am 29. Februar 2020 wurde auch in Niedersachsen die erste Infektion bestätigt.

Die Deutsche Presse-Agentur hat anlässlich des Jahrestags Politikern, Wissenschaftlern und weiteren Akteuren die vier gleichen Fragen gestellt.

Was lief gut in der Pandemie?

  • Richtige Prioritäten: „Die Priorität war, Menschenleben zu schützen. Das war richtig und ist auch gelungen“, sagt der evangelische Landesbischof von Hannover, Ralf Meister - auch wenn es Maßnahmen gegeben habe, die nach heutigem Kenntnisstand überzogen waren. „Was verantwortliches Handeln bedeutet, musste schnell und an vielen Stellen schmerzhaft ausgehandelt werden.“
  • Leben gerettet: Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) resümiert, insbesondere zu Beginn sei es „insgesamt gut gelungen“, mit wissenschaftlich begründeten Schutzmaßnahmen auf das Virus zu reagieren. Weitere Infektionen zu vermeiden, sei zwingend notwendig gewesen. „Dadurch sind sehr viele Menschenleben gerettet worden.“
  • Frühe Impfungen: Der größte Erfolg sei es gewesen, dass schnell ein Impfstoff entwickelt und eingesetzt wurde, sagt der Präsident des Landesgesundheitsamtes, Fabian Feil. Der CDU-Landtagsabgeordnete Eike Holsten spricht mit Blick auf die Impfstoffe von einem Meilenstein und sagt: „Die Pandemie hat die Leistungsfähigkeit und Innovationskraft der Wissenschaft eindrucksvoll unter Beweis gestellt.“
  • Frühe Tests: Die Epidemiologin Berit Lange vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung betont die Bedeutung früher Teststrategien. Diese waren ihr zufolge in Verbindung mit Quarantäne und Isolation „hoch relevant und wären das auch in zukünftigen Pandemien, um systemrelevante Bereiche wie Schulen möglichst nicht schließen zu müssen“.
  • Veränderte Arbeitswelt: „Bewährt haben sich vor allem die Regelungen zu Kurzarbeit und zum mobilen Arbeiten“, sagt der Bezirksvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Mehrdad Payandeh. Das Kurzarbeitergeld habe für viele Beschäftigte eine bitter nötige Brücke dargestellt, die zudem sichergestellt habe, dass Unternehmen nach der Krise mit voller Stärke zurückkehren konnten.
  • Digitale Schule: „Durch die Pandemie haben die Schulen in den letzten Jahren einen deutlichen Schub im Bereich der Digitalisierung gemacht, auch der Umgang mit digitalen Lernmöglichkeiten wurde entwickelt“, sagt Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne), nachdem die Pandemie lange zum digitalen Distanzunterricht geführt hatte.

Was muss in einer nächsten Pandemie anders laufen?

  • Weniger Einsamkeit: Regierungschef Weil räumt ein, dass rückblickend betrachtet „einzelne Maßnahmen, wie etwa Schulschließungen, zu lange aufrechterhalten worden“ seien. Unter den Kontaktbeschränkungen hätten gerade auch alte und kranke Menschen besonders gelitten. „Besuchsverbote in Alten- und Pflegeheimen und Krankenhäusern haben wahrscheinlich Infektionen verhindert, gleichzeitig aber vielerorts zu großer Einsamkeit und Verlassenheitsgefühlen geführt“, sagt der SPD-Politiker. „Auf Basis dieser Erfahrungen würde in einer vergleichbaren Situation manche Abwägung wohl anders ausfallen.“
  • Rücksicht auf Jugendliche: Mit Schulschließungen und Distanzunterricht hat die Pandemie laut Kultusministerin Hamburg Kindern und Jugendlichen besonders stark zugesetzt. Dennoch habe es zu Anfang der Pandemie mit dem damaligen Wissensstand und noch ohne Impfstoff keine Alternativen zu den Schließungen gegeben. CDU-Politiker Holsten sieht das kritischer. Er sagt: „Wir brauchen eine bessere Balance zwischen Gesundheitsschutz und gesellschaftlicher Verantwortung. Das bedeutet: keine pauschalen Lockdowns mehr für Schulen und Kitas.“
  • Ethik und Moral: Landesbischof Meister sagt, er würde sich künftig für bessere Kontaktmöglichkeiten für Familie und Seelsorge einsetzen: „Rechtliche Vorgaben brauchen im Blick auf die Würde des Einzelnen eine Ergänzung durch ethisch-moralische Kriterien.“
  • Geld für Gesundheit: „Das Ziel, einen starken öffentlichen Gesundheitsdienst zu haben, scheint aktuell in Vergessenheit zu geraten“, warnt das Landesgesundheitsamt. Im nächsten Jahr laufe eine Förderung des Bundes für mehr Personal im Gesundheitsdienst aus. Diese ist laut Präsident Feil aber „absolut notwendig“, damit die Ämter in Krisenfällen flexibel und schnell handeln können. Der DGB bedauert, dass die Beschäftigten in der Pflege und im Gesundheitssektor nicht nachhaltig gewürdigt worden seien. „Applaus allein reicht nicht aus“, sagt Bezirkschef Payandeh. Er fordert sowohl höhere Löhne als auch bessere Arbeitszeiten.
  • Forschung: Auch bei neuen Strukturen zur Forschung zu Infektionen sei unklar, ob sie weitergeführt werden, kritisiert die Epidemiologin Lange. „Aktuell lässt sich bereits ein Zurückgehen beobachten, was diese Mechanismen angeht, was uns in der nächsten Pandemie stark schaden wird“, sagt die Expertin.

Wie sollte die Aufarbeitung jetzt gestaltet werden?

„Unsere Gesellschaft hat ihren Heilungsprozess noch nicht bewältigt“, sagt Landesbischof Meister. Er unterstützt Forderungen nach einer ergebnisoffenen und transparenten Aufarbeitung ohne Schuldzuweisung und sagt: „Die Pandemie hat uns gelehrt, dass wir als Gesellschaft beständig am Gemeinsinn arbeiten müssen, um künftigen Krisen besser zu begegnen.“ 

In der Politik dringt insbesondere die AfD auf eine Aufarbeitung. „Aus wissenschaftlichen, medizinischen und ethischen Gründen ist eine Aufarbeitung der Corona-Pandemiezeit unerlässlich“, sagt die Landtagsabgeordnete Delia Klages. Bisher werde das ihrer Ansicht nach in Deutschland nicht ernsthaft betrieben.

Auch der CDU-Politiker Holsten sagt, viele Menschen warteten noch auf Antworten. Er fordert eine bessere Versorgung für Long-Covid-Patienten, eine ernsthafte Unterstützung für Menschen mit Impfnebenwirkungen sowie deutlich mehr psychotherapeutische Angebote vor allem für Kinder und Jugendliche.

Regierungschef Weil erinnert daran, dass ein Corona-Sonderausschuss des Landtags bereits Anfang 2022 einen Bericht mit Empfehlungen vorgelegt hat. Dazu zähle, dass man „neue, kreative Formen der Pflege und der Ermöglichung von sozialer Teilhabe“ erarbeiten müsse. In dem Papier steht jedoch auch, ein schneller gesellschaftlicher Lockdown sei bei dynamischem Infektionsgeschehen mit hoher Gefährdungsintensität und hohen Fallzahlen bis zur Entwicklung alternativer Präventionsstrategien „unabwendbar“.

Der Präsident des Landesgesundheitsamts Feil weist darauf hin, dass man bei allen Planungen flexibel bleiben müsse, da eine neue Pandemie auch andere Bevölkerungsgruppen betreffen könnte als Corona.

Sollte das Land ein Gedenken für die Corona-Opfer organisieren?

Ministerpräsident Weil verweist darauf, dass an vielen Orten bereits dezentral an die Corona-Opfer erinnert werde. So wurde auf einem Friedhof in Hameln ein Denkmal für die Verstorbenen errichtet, und in Wildeshausen wurden Bäume gepflanzt. „Auch der jetzige fünfte Jahrestag des Beginns der Pandemie ist nach meinem Eindruck ein Anlass, sich zu erinnern und an die zu denken, die ihre Corona-Infektion nicht überlebt haben oder die nach wie vor ganz erheblich unter den Langzeitfolgen leiden“, sagte Weil.

Der CDU-Abgeordnete Holsten sagt: „Gedenken ist wichtig, aber es darf nicht zum politischen Symbolakt verkommen.“ Solange Menschen noch auf Unterstützung warteten und es immer noch Erkrankungen gebe, müsse der Fokus auf Hilfe und Aufarbeitung liegen.

Die AfD-Politikerin Klages sagt, vor einem Gedenken gelte es zu klären, wer denn zu den Opfern zähle: „Sicherlich sind es die Menschen, die an der Infektion starben. Aber was ist mit den Menschen, denen eine falsche Therapie das Leben gekostet hat? Oder jenen, die sich aus Angst vor einer Infektion das Leben genommen haben?“ Darüber hinaus gebe es noch die Geimpften, die Opfer von Nebenwirkungen geworden seien.

Landesbischof Meister formuliert einen Appell: „Gottesdienste, Gedenktage und Orte müssen eine Mahnung sein, dass wir etwas lernen aus den Erlebnissen in der Pandemie. Dass wir sicherstellen, dass niemand allein bleibt.“