Rechtsextremismus Haftstrafen gefordert im Neukölln-Prozess
Eine Serie rechtsextremer Straftaten in Berlin-Neukölln beschäftigt seit Jahren Polizei, Justiz und Politik. Aus Sicht der Generalstaatsanwaltschaft ist klar, wer die Haupttäter sind.
Berlin - Nach einer Serie rechtsextremer Anschläge in Berlin-Neukölln hat die Generalstaatsanwaltschaft im Berufungsprozess mehrjährige Haftstrafen für die mutmaßlichen Haupttäter gefordert. Nach ihrem Willen soll der 38 Jahre alte Sebastian T. vier Jahre in Haft, der 41-jährige Tilo P. drei Jahre und sieben Monate. Bei den Strafanträgen wurden weitere Straftaten beziehungsweise eine frühere Verurteilung einbezogen. Das Gericht will sein Urteil heute gegen 17.00 Uhr sprechen.
Nach Überzeugung der Generalstaatsanwaltschaft hatte das Duo in der Nacht zum 1. Februar 2018 Brandanschläge auf die Autos von einem Buchhändler und dem Linke-Politiker Ferat Koçak verübt. Zudem hätten die Männer vor allem im Jahr 2017 Plakate und Aufkleber mit rechtsextremen Parolen geklebt, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft am 16. Prozesstag vor dem Landgericht Berlin. Mit aufgesprühten Graffitis seien Menschen bedroht worden.
Straftaten sollen Menschen einschüchtern
Die Staatsanwaltschaft forderte eine Verurteilung wegen Brandstiftung, Bedrohung sowie Sachbeschädigung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Im Fall von Sebastian T. geht es auch um Betrugsvorwürfe unter anderem wegen Corona-Hilfen. Für Tilo P. beantragte die Staatsanwaltschaft, einen Haftbefehl zu erlassen. Angesichts wechselnder Anschriften bestehe bei der erwartenden Strafhöhe Fluchtgefahr.
Die Taten dienten nach Überzeugung der Anklage der Einschüchterung von Menschen, die sich politisch gegen Rechtsextremismus engagieren. Die Angeklagten gehörten demnach der rechtsextremen Szene an. Der Jüngere war einst in der NPD, der Ältere zeitweise AfD-Mitglied.
Linke-Politiker Koçak tritt in dem Verfahren als Nebenkläger auf. Er erklärte, seit dem Brandanschlag bestimme Angst sein Leben. Das Fahrzeug brannte damals aus, die Flammen drohten auf das Haus überzugreifen, in dem er mit seinen Eltern lebt. „Ich bin ein Gefangener dieser Nacht“, erklärte er mit tränenerstickter Stimme. Er sei bis heute in therapeutischer Behandlung.
Die Verteidigung äußerte gravierende Zweifel an der Beweislage und beantragte jeweils einen Freispruch. Die Vorwürfe zur rechtsextremen Anschlagsserie beruhten auf Indizien. Beweise dafür, dass die Angeklagten die Taten begangen hätten, gebe es nicht.
In erster Instanz Freispruch vom Hauptvorwurf
In erster Instanz wurden die beiden Männer aus Mangel an Beweisen im Dezember 2022 und Februar 2023 vom zentralen Punkt der Anklage freigesprochen - obwohl auch das Amtsgericht Tiergarten an einer rechten Gesinnung der beiden keinen Zweifel hatte.
Strafen gab es dennoch: Wegen Sachbeschädigung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Kennzeichen sollte der ältere Angeklagte 4.500 Euro Geldstrafe (150 Tagessätze je 30 Euro) zahlen. Gegen den 38-Jährigen verhängte das Gericht eine Haftstrafe von eineinhalb Jahren, weil es Betrugsvorwürfe für erwiesen sah, die ebenfalls angeklagt waren.
Urteil noch am selben Tag erwartet
Gegen die Urteile hatten sowohl die Generalstaatsanwaltschaft als auch die Verteidigung Berufung eingelegt. Darum kam es erneut zum Prozess. Wie schon in erster Instanz beruhten zahlreiche Vorwürfe auf Indizien. Mehr als 50 Zeugen wurden vor Gericht gehört. Ein Urteil des Landgerichts wird noch im Tagesverlauf erwartet.
Mit den rechtsextremen Brandanschlägen, Hass-Parolen und Bedrohungen in Neukölln beschäftigt sich auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Er tagt an diesem Freitag wieder.