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Deutsche Godmother of Punk „Ich provoziere nicht“: Nina Hagen wird 70

Die Sängerin und Schauspielerin Nina Hagen wurde schon in der DDR berühmt. Und dann legte sie in Westdeutschland richtig los.

Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa 11.03.2025, 06:30
Nina Hagen wird am 11. März 70 Jahre alt. (Archivbild)
Nina Hagen wird am 11. März 70 Jahre alt. (Archivbild) Gerald Matzka/dpa-Zentralbild/ZB

Berlin - Die bunten Schleifen im Haar, die riesigen Augen, der grell geschminkte Mund: Nina Hagen liebt ihre Masken. Wer sich dahinter verbirgt, ist auch im 70. Jahr dieser streitlustigen Punkrockerin, dieser bibeltreuen Weltverbesserin nicht immer leicht zu fassen. Für Interviews hatte sie vor ihrem heutigen Geburtstag keine Zeit. Ihren 70. feiere sie im Studio, vertieft in die Arbeit an einem neuen Album, wie sie ausrichten ließ. Sie schicke liebe Grüße.

Nina Hagen, das ist eine deutsch-deutsche Biografie und eine jahrzehntelange Geschichte von sprudelnden Ideen und origineller Musik, von Abstürzen und Höhenflügen. Ihr DDR-Hit „Du hast den Farbfilm vergessen“ machte sie im Osten bekannt und schaffte es 2021 beim Großen Zapfenstreich zum Abschied von Kanzlerin Angela Merkel sogar auf die politische Bühne. Im Westen erinnern sich Millionen Boomer an ihr „Ich glotz' TV“ Ende der 1970er Jahre - für ihren damaligen Manager Jim Rakete bis heute revolutionär: „Das war wie Frischluft.“

„Ich schreie Sie so lange an, wie ich will“

Und dann sind da die frühen Fernsehaufreger - Nina Hagens Orgasmustipps für Frauen auf der Talkshow-Couch eines österreichischen Senders oder der Eklat in einer TV-Runde mit Merkel, damals Frauenministerin, über Drogenpolitik. „Ich schreie Sie so lange an, wie ich will“, brüllte die damals sehr blonde Sängerin 1992 in die Kameras. Dann stürmte sie aus dem Studio. Eine „Naturgewalt“ nannte ihr Kollege Udo Lindenberg die Sängerin einmal.

„Ich glaube, dass sie sich nichts sagen lässt, überhaupt nichts“, sagte ihre Tochter, die Schauspielerin Cosma Shiva Hagen, in einem Dokumentarfilm über ihre Mutter. Nina Hagen selbst fand an all dem wohl nichts Besonderes. „Ich provoziere überhaupt nicht, provozieren tun die Faschisten“, raunzte sie einem Fernsehteam einmal am Rande eines Konzerts ins Mikrofon. 

Halbe Tage, endlose Abende

Nina Hagen kam am 11. März 1955 in Ostberlin als Tochter der Schauspielerin Eva-Maria Hagen zur Welt. In der Theatergarderobe ihrer Mutter habe sie vor sich hin gesungen und ihre Opernstimme entdeckt, erzählte sie später - eine gewaltige Stimme über mehrere Oktaven, die ihr Markenzeichen blieb. 

Sie sei als Kind immer nur „die Tochter von“ gewesen, sagte sie einmal. „Das war furchtbar.“ Verlassenheit habe sie gespürt, berichtete sie in einem Porträt von Bibel TV. Das sei kein Versagen ihrer Mutter gewesen. „Es war einfach ein Stückchen DDR-Denke, dass man Kinder halbe Tage und endlose Abende lang alleine ließ.“

Ihre sehr bekannte Mutter war in der DDR mit dem kritischen Liedermacher Wolf Biermann zusammen - ihr Ziehvater. Nina machte eine professionelle Gesangsausbildung, durfte aber aus politischen Gründen nicht an die staatliche Schauspielschule. Als Biermann 1976 von der DDR ausgebürgert wurde, folgten ihm Eva-Maria Hagen und ihre Tochter in den Westen. 

„Sie hat eine Tür aufgestoßen“

Der Durchbruch dort kam dann mit der Debütplatte „Nina Hagen Band“. In der Zeit war Jim Rakete ihr Manager. Der bekannte Fotograf wollte nach eigenen Worten Ende der 1970er Jahre in Westberlin eine große Agentur gründen. Doch erstmal stellte er für Nina Hagen eine Band zusammen und fand einen Produzenten. Er ließ sich begeistern von ihrem eigentümlichen Wortwitz, ihrem Deutschpunk in Zeiten von Schlager und Disco. „Ich habe die beste Zeit erwischt mit ihr, das war wunderbar“, erzählt Rakete am Telefon. „Sie hat eine Tür aufgestoßen, durch die viele gekommen sind.“

Nina habe im positiven Sinne Chaos gestiftet, so Rakete. Als sie bei einem Konzert Konfetti werfen wollte, wurden die Papierschnipsel kurz vorher in der Garderobe mit einem Locher aus der „Bild“-Zeitung gestanzt. Auf der Bühne griff die Sängerin in ihre Jackentasche und wirbelte das Papier durch die Luft - aber es flog nicht. „Scheiß "Bild"-Zeitung“, motzte sie. 

„Eine solide Verkrachung“

„Das war noch der lustige Teil“, sagt Rakete. „Später hat sie dann aus Lust und Laune Gigs geschmissen, das wurde lebensgefährlich für alle Beteiligten.“ Mit der Band zerstritt sie sich schnell, auch mit Rakete. „Wir waren in einer sehr soliden Verkrachung“, sagt der ehemalige Manager.

Es fanden sich neue Kollegen und Konstellationen - in Amsterdam, Rio, Los Angeles. Und Nina Hagen lieferte immer neue Versionen ihres sprudelnden Talents. Punk oder Reggae, Brecht oder Oper, esoterische Klänge oder akustische Gitarre. Sie wurde dann doch noch Schauspielerin und Synchronstimme, unter anderem in einer neuen Produktion der „Biene Maja“. Bei aller schrillen Unberechenbarkeit blieb sie sich auf ihre Weise als disziplinierte und professionelle Künstlerin treu.

„Das Evangelium predigen“

Später blickte Nina Hagen zurück auf Drogenexzesse und Ufo-Sichtungen, chaotische Beziehungen und Erweckungserlebnisse. 2009 ließ sie sich taufen. „Meine Mission ist, das Evangelium zu predigen“, sagte sie bei Bibel TV. „Ich wünsche mir, dass der Weltfrieden ausbricht.“ Über die Jahre engagierte sie sich für soziale Zwecke, gegen Tierversuche oder für ein Hospiz in Köln. Inzwischen ist die Punkerin Oma, ihr 1990 geborener Sohn Otis wurde 2022 Vater. 

Zu ihren grellen Masken sagte Nina Hagen einmal, wenn man Musik und Klamauk mache, werde man oft angefeindet, als Mensch, als ob man wirklich 24 Stunden am Tag „so drüber“ wäre. „Ich ging mit dem Berühmtseinfaktor halt so um, dass ich froh war, dass es Make-up gibt und froh war, dass wir das machen dürfen, dass wir uns eine Maske machen können“, sagte sie. „Weil, man wird in dieser Welt so in Besitz genommen.“