Polizeihandeln Gericht: „Schmerzgriff“ bei Klimaaktivist rechtswidrig
Die Polizei löst eine Demonstration der Gruppe Letzte Generation auf. Trotzdem weigern sich Teilnehmer, den Platz zu verlassen. Polizisten zerren einen jungen Mann weg. Er zieht deswegen vor Gericht.

Berlin - Berliner Polizisten haben bei einem Klimaaktivisten zu Unrecht den sogenannten Schmerzgriff während einer Sitzblockade angewandt. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin entschieden. In der konkreten Situation sei das Verhalten der Einsatzkräfte unverhältnismäßig gewesen, begründete der Vorsitzende Richter Wilfried Peters die Entscheidung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. (Az. VG 1 K 281/23)
Der Kläger Lars Ritter hatte sich am 20. April 2023 an einer Sitzblockade der Klimagruppe Letzte Generation beteiligt. Die Polizeibeamten hätten ihn einfach von der Fahrbahn tragen können, mit einer Widerstandshandlung seinerseits sei nicht zu rechnen gewesen, erklärte das Gericht.
Als die Polizisten gegen den Demonstranten vorgingen, habe sich die Situation bereits beruhig. Es hätten keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass sich der Kläger – über verbalen und passiven Widerstand hinaus – gegen das Wegtragen wehren würde, etwa durch Tritte oder Schläge. „Ein weniger schmerzintensiver Vollzug wäre möglich gewesen“, so Richter Peters. Dies hatte die Polizei in Abrede gestellt.
Gericht: „Schmerzgriff“ kann grundsätzlich zulässig sein
Zugleich betonte das Gericht, dass es „keinen Zweifel“ daran habe, dass die Anwendung eines „Schmerzgriffes“ zulässig sein könnte. Aus Sicht der Richter ist dies von der konkreten Situation abhängig.
Der Anwalt des Klägers, Patrick Heinemann, sieht Auswirkungen auf vergleichbare Fälle. „Es ist gut, dass das Verwaltungsgericht deutlich gemacht hat, dass es im freiheitlichen Rechtsstaat ein grundlegendes Prinzip gibt: Nämlich, dass der Zweck nicht jedes Mittel heiligt. Ich denke, die Berliner Polizei wird in vergleichbaren Fällen davon absehen, Schmerzgriffe anzuwenden, sondern stattdessen Personen einfach wegtragen.“
Sein Mandant zeigte sich erleichtert über das Urteil. Bedauerlich sei, dass das Verfahren so lange gedauert habe, so der 21-Jährige. Er sei froh, dass mit dem Urteil versucht werde, der Polizei „eine Grenze aufzuzeigen“.
Aus Sicht von Anwalt Joschka Selinger von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) betont das Gericht mit der Einzelentscheidung „wichtige rechtsstaatliche Grundsätze“, die auch in anderen Fällen gelten. Die Polizei müsse das mildeste und das am wenigsten schmerzintensive Mittel für den Betroffenen einsetzen. Die GFF hatte gemeinsam mit dem Verein RAZ (Rückendeckung für eine aktive Zivilgesellschaft) die Klage unterstützt.
Sitzblockade nach Auflösung der Demo
Die Polizei hatte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Protestmarsches auf der Straße des 17. Juli aufgefordert, sich auf den Bürgersteig zu begeben. Als die Demonstranten das nicht taten, wurde die Versammlung aufgelöst. Einige Teilnehmer - darunter Kläger Ritter - setzten sich im Schneidersitz auf die Straße. Polizisten schritten daraufhin ein und hoben ihn von der Straße.
Das Einschreiten der Polizei wurde damals gefilmt, im Internet wurden Videoausschnitte veröffentlicht. Die Berliner Polizei ermittelte wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt gegen Einsatzkräfte.
Wie die Berliner Staatsanwaltschaft auf Anfrage mitteilte, wurde das strafrechtliche Verfahren inzwischen eingestellt. „Den Beschuldigten konnte nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, dass sie bei dem Einsatz unverhältnismäßige Gewalt angewendet haben“, sagte ein Behördensprecher. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ändert daran nichts.