Aktivismus Letzte Generation beklagt Behandlung wie „Schwerverbrecher“
Auf der Suche nach Beweisen gegen Klimaschützer und Straßenblockierer startete die bayerische Justiz eine Razzia. Die Aktivisten fühlen sich mit Verbrechern gleichgesetzt und hoffen auf mehr Unterstützung. Die SPD-Spitze bezweifelt den Sinn der Aktionen.
Berlin - Nach der Razzia gegen die Klima-Protestgruppe Letzte Generation haben Mitglieder der Initiative beklagt, sie fühlten sich wie „Schwerverbrecher behandelt“. Die Durchsuchungen von 15 Wohnungen am Mittwoch hätten „Wunden in das Vertrauen in den Staat“ geschlagen, teilte die Gruppe am Donnerstag mit. Man erfahre aber auch viel Unterstützung und werde Proteste, Blockaden und Demonstrationen in den nächsten Tagen und Wochen auf ganz Deutschland ausweiten.
An einer ersten Demonstration am Mittwochabend in Berlin hatten sich nur 300 bis 400 Menschen beteiligt. Auch der Informationskanal der Gruppe bei Telegram hat weiterhin rund 1700 Mitglieder, ohne dass sich daran zuletzt viel geändert hätte.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert bezweifelte, dass die Blockadeaktionen den Klimaschutz entscheidend voranbringen würden. Nach vielen Monaten hätten sich die Bedingungen für den Klimaschutz „eher nicht verbessert“, sagte Kühnert im Podimo-Podcast „Stand der Dinge“, der von der Deutschen Presse-Agentur produziert wird. Die Gruppe solle sich die Frage stellen, „ob man nicht vielleicht auf dem Holzweg mit den Aktionsformen unterwegs ist“. Die Frage sei, ob Leute mit durchschnittlichem Einkommen und Wohnsituation jetzt anders auf ihr Auto, ihr Haus, ihren Konsum blickten und zu Veränderungen bereit seien. „Und das kann ich einfach nicht erkennen.“
Berlins neue Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) nannte die Straßenblockaden der Letzten Generation „absolut unverantwortlich“. Badenberg, die seit April für die CDU im Senat sitzt, fragte: „Wer trägt die Verantwortung, wenn da jemand zu spät ins Krankenhaus kommt?“ Der Deutschen Presse-Agentur sagte sie: „Wir als Gesellschaft können es nicht gutheißen, dass hier Menschen mittels Gewalt ihren Willen durchsetzen wollen.“ Nicht nur Privat- und Geschäftsleute würden behindert, sondern auch Rettungs- und Feuerwehrwagen verspätet eintreffen.
Die bayerische Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei hatten am Mittwoch Wohnungen in sieben Bundesländern durchsucht. Der Vorwurf lautet auf Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Festnahmen gab es nicht. Ermittelt wird gegen sieben Beschuldigte im Alter zwischen 22 und 38 Jahren. Zwei davon stehen im Verdacht, im April 2022 versucht zu haben, die Öl-Pipeline Triest-Ingolstadt, die Bayern versorgt, zu sabotieren. Die Razzia wurde von vielen Seiten als übertrieben kritisiert.
Die Gruppe blockiert seit Anfang 2022 regelmäßig Straßen. Das Landgericht Potsdam bestätigte erstmals den Anfangsverdacht, dass die Gruppe eine kriminelle Vereinigung sein könnte. Justizsenatorin Badenberg sagte am Mittwochabend in der ARD-Sendung „Tagestehmen“, diese Frage könne man nicht pauschal beantworten, „sondern da kommt es immer auf den konkreten Einzelfall an, welche Gruppe man beispielsweise in Betracht zieht“, sagte sie. „Insofern kann man jetzt nicht behaupten, dass die Letzte Generation in ihrer Gesamtheit als eine kriminelle Vereinigung einzustufen ist.“
Auf die erstaunte Nachfrage der Moderatorin, ob es nur um Teile der Gruppe gehe, antwortete Badenberg: „Ich will damit nur sagen, dass man jetzt die Letzte Generation nicht in Gänze als eine kriminelle Vereinigung einstufen kann, sondern es geht ja immer um den konkreten Einzelfall, den dann die Gerichte zu bewerten haben.“ Badenberg lässt derzeit auch in ihrer Senatsverwaltung die Frage juristisch prüfen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte erklärt, die Razzia zeige, „dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt“. Am Montag hatte Kanzler Olaf Scholz die Anklebe-Aktionen der Gruppe „völlig bekloppt“ genannt.
Die Aktivisten fordern derzeit Tempo 100 auf allen Autobahnen und ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket für den öffentlichen Verkehr.