Klage wegen Wortentzug Rechte eines Abgeordneten verletzt? Gericht verhandelt Klage
Die Wahl war gerade erst vorbei, die Abgeordneten trafen sich zur zweiten Sitzung. Dann kommt es zu einem Konflikt - der fast zwei Jahre später vor Gericht verhandelt wird.
![Das Gericht verhandelt eine Klage um einen Wortentzug in der zweiten Sitzung der Bremischen Bürgerschaft.](https://bmg-images.forward-publishing.io/2025/02/10/f2202e6b-ca25-487f-96b2-ae460135bd3a.jpeg?w=1024&auto=format)
Bremen - Gleich in der zweiten Sitzung nach der Wahl kommt es in der Bremischen Bürgerschaft zum Eklat: Die Präsidentin Antje Grotheer greift erneut zur Glocke und ermahnt den Abgeordneten Jan Timke. „Ich rufe Sie jetzt ein drittes Mal zur Sache zur Ordnung und weil ich es Ihnen vorher gesagt habe, entziehe ich Ihnen hiermit das Wort.“ Der Bremer Fraktionsvorsitzender von Bündnis Deutschland wehrt sich nun dagegen vor Gericht.
Fast zwei Jahre nach dem Vorfall verhandelt der Staatsgerichtshof die Klage des Abgeordneten. „Hier geht es um das Verhältnis im Parlament untereinander: Wie geht man miteinander um?“, meint der Präsident des Staatsgerichtshofs, Peter Sperlich, zu Verhandlungsbeginn.
Wurden die Rechte eines Oppositionspolitikers verletzt?
Jan Timke sieht seine Rechte als Abgeordneter verletzt, weil ihm in der Sitzung Anfang Juli 2023 das Wort entzogen wurde. Die Bürgerschaftspräsidentin habe ihr Amt „in krasser Weise missbraucht“, argumentiert sein Anwalt. Sie habe mit dem Wortentzug einem „unliebsamen Oppositionskritiker das Wort abgeschnitten“.
Grotheer weist die Vorwürfe zurück und lehnt den Antrag vor Gericht ab. In der Debatte sollte es um die Wahl des Bremer Senats gehen, Timke habe sich stattdessen mit der Geschichte der Linkspartei beschäftigt. Er sei trotz mehrfacher Hinweise vom Thema abgeschweift. Die Präsidentin müsse dann einschreiten, auch wenn sie damit in die Redefreiheit des Abgeordneten eingreife.
In der Geschäftsordnung der Bremischen Bürgerschaft heißt es in Paragraf 52: „Die Präsidentin oder der Präsident kann Rednerinnen und Redner, die nicht zur Sache sprechen, zur Sache rufen.“ Der nächste Paragraf regelt, dass nach zwei Sach- oder Ordnungsrufen mit Hinweis auf die Konsequenz das Wort entzogen werden muss.
Noch nie zuvor ein Wortentzug in der Bürgerschaft
Für Timke kam der Wortentzug nach eigenen Angaben unerwartet. Es habe in der Vergangenheit noch nie einen entsprechenden Fall gegeben, meinte der Abgeordnete vor Gericht. „Eine solche Entscheidung ist nur einmal nötig geworden“, bestätigte ein Sprecher der Bürgerschaft. In dieser Legislaturperiode seien darüber hinaus zehn Ordnungsmaßnahmen verhängt worden. Der Linken-Politiker Olaf Zimmer musste zudem ein Ordnungsgeld von 600 Euro zahlen, weil er die CDU-Abgeordneten Wiebke Winter beleidigt hatte.
Solche Ausschreitungen seien vor einigen Jahren noch unvorstellbar gewesen, sagte Grotheer vor Gericht. „Die Dynamik im Parlament selber hat sich sehr verändert.“ Seit Beginn ihrer Arbeit in der Bürgerschaft im Jahr 2011 habe sich die Grenze des Sagbaren deutlich verschoben. Als Präsidentin müsse sie entsprechend reagieren und eine reibungslose Debatte sicherstellen.
Im niedersächsischen Landtag wird ein Abgeordneter nach drei Ordnungsrufen von der Sitzung ausgeschlossen, wie ein Sprecher des Landtags mitteilte. Dies sei zuletzt im September 2023 passiert, als der AfD-Abgeordnete Marcel Queckemeyer „wegen der Verwendung unparlamentarischer Begriffe“ des Saals verwiesen wurde. Davor wurde im Jahr 1984 ein Mitglied des Landtags von einer Sitzung nach drei Ordnungsrufen ausgeschlossen.
Entscheidung des Staatsgerichtshofs im März erwartet
Ein solcher Fall wie in der Bremischen Bürgerschaft sei noch nie vor einem Verfassungsgericht verhandelt worden, sagte der Präsident des Staatsgerichtshofs. In bisherigen Verfahren sei es um Beleidigungen gegangen, aber nicht um die Wahl des Themas. Das sei ähnlich wie bei einer Themenverfehlung in der Schule, meinte Sperlich. „Ist es nicht das Schlimmste bei einem Deutschaufsatz, wenn darunter steht: "Du hast das Thema verfehlt"?“ Doch im Gegensatz zum Beispiel aus dem Unterricht hätte der Fall nicht mit einer Verfehlung enden müssen, wenn der Abgeordnete die Hinweise der Präsidentin beachtet hätte.
Es sei nicht Aufgabe des Gerichts zu bewerten, ob Jan Timke zur Sache gesprochen habe oder nicht, betonte Sperlich. „Es geht darum, ob Frau Grotheer im Ermessen gehandelt hat oder nicht.“ Die Entscheidung soll am 12. März verkündet werden - und könnte dann auch Auswirkungen auf künftige Debatten in der Bürgerschaft haben.