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Massiver AfD-Zuwachs Sachsen-Anhalt macht großen Schritt nach rechts

Ob bei der Europawahl oder in den Kommunen: Die AfD - als gesichert rechtsextremistisch eingestuft - hat massiv Stimmen dazugewonnen in Sachsen-Anhalt. Was Politiker und Wissenschaftler dazu sagen.

Von dpa Aktualisiert: 10.06.2024, 17:06
Ein Wahlplakat der AfD zur Kommunalwahl hängt vor einem Neubaublock in Halle.
Ein Wahlplakat der AfD zur Kommunalwahl hängt vor einem Neubaublock in Halle. Hendrik Schmidt/dpa

Magdeburg - Nach zweistelligen Zugewinnen ist die AfD in Sachsen-Anhalt vor der CDU stärkste Kraft bei der Europa- und Kommunalwahl geworden. Die Wahlergebnisse haben in der Landespolitik teils Besorgnis ausgelöst. Linken-Fraktionschefin Eva von Angern sagte, sie habe Angst vor der politischen Zukunft, „was das mit uns, mit der Gesellschaft machen wird“. Auch Vertreter anderer Parteien zeigten sich nachdenklich und kündigten eine Aufarbeitung der Wahlergebnisse an.

AfD-Co-Fraktionschef Ulrich Siegmund betonte am Montag den Regierungsanspruch seiner Partei auf Landesebene. „Wir sind die neue Volkspartei in diesem Land“, sagte Siegmund. „Wir bereiten uns jetzt ganz klar auf eine Regierungsverantwortung 2026 in diesem Land vor.“ In zwei Jahren findet in Sachsen-Anhalt die nächste Landtagswahl statt. „Unser Plan ist es, hier allein zu regieren.“

Siegmund kritisierte Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), der im Kontext mit den AfD-Wahlerfolgen von einem ganz schlimmen Tag für Deutschland gesprochen hatte. Er sei schockiert über Haseloffs Äußerungen, sagte Siegmund. Die Bewertung einer demokratischen Wahl als Gefahr für die Demokratie sei „geschichtsvergessen“ und „zutiefst antidemokratisch“.

Viele Geländegewinne für die AfD im Osten

Die AfD habe viele „Geländegewinne“ im Osten erzielt und ihre kommunale Verankerung gestärkt, erklärte der Soziologe und Extremismusforscher Matthias Quent. Wenn die AfD stärkste Fraktion sei, könne man noch weniger an ihr vorbei Politik betreiben. „Das ist ja auch die Strategie, sich über die kommunalen Parlamente so zu normalisieren, dass dann in nächster Instanz auf der Länderebene eben auch eine Zusammenarbeit in greifbarere Nähe rückt.“ Insgesamt sei dies „ein großer Schritt nach rechts für die Kommunen“.

Siegmund räumte auf Nachfrage von Journalisten ein, dass die AfD nicht alle Sitze im Land besetzen kann. Es gebe einige Kommunen, wo die AfD mehr Sitze bekommen habe als Kandidaten angetreten seien, sagte er.

Die Europawahl hat die AfD in Sachsen-Anhalt klar gewonnen. Nach vorläufigem Ergebnis kamen die Rechtspopulisten auf 30,5 Prozent der Stimmen - ein Plus von 10,2 Prozentpunkten im Vergleich zur vergangenen Europawahl 2019. Die CDU landete mit 22,8 Prozent (minus 0,4) auf dem zweiten Platz. Das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) erreichte aus dem Stand 15 Prozent. Die SPD lag bei 8,7 Prozent und musste ebenfalls Verluste hinnehmen.

Grüne (3,9 Prozent) und FDP (2,5 Prozent) in Sachsen-Anhalt lagen dem vorläufigen Ergebnis zufolge jeweils unter vier Prozent. Die Linke erhielt 4,8 Prozent - das entspricht einem Minus von fast zehn Prozent im Vergleich zur Wahl 2019. Von Angern sprach von einem desaströsen Ergebnis. Die Partei müsse sich fragen, wie man sich inhaltlich, strategisch und personell neu aufstellen müsse.

Im Land waren etwa 1,8 Millionen Menschen zur Wahl aufgerufen. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 62 Prozent und damit höher als bei den vorangegangenen Europawahlen.

Zwei neue Europaabgeordnete aus dem Land

In das Europaparlament ziehen jetzt die CDU-Politikerin Alexandra Mehnert und Arno Bausemer von der AfD als Vertreter aus Sachsen-Anhalt ein. Das zeigt eine Übersicht der Bundeswahlleiterin zu den vorläufig gewählten Bewerbern. Die Politikwissenschaftlerin Mehnert, lange Jahre bei der Konrad-Adenauer-Stiftung tätig, war Spitzenkandidatin der CDU im Land. Bausemer ist Kommunalpolitiker aus der Altmark, er stand auf Platz 10 der AfD-Liste für die Europawahl. Er war Ende vergangenen Jahres von einem AfD-Parteikonvent wegen ungenauer Angaben im Lebenslauf gerügt worden, behielt aber seinen Listenplatz.

Auch bei den Stadtrats- und Kreistagswahlen gewann die AfD vor der CDU. Die Rechtspopulisten, die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft sind, kamen mit der Auszählung von 2591 von 2594 Wahlbezirken landesweit auf 28,1 Prozent. Das entsprach einem Zugewinn von 11,6 Prozentpunkten im Vergleich zur Wahl 2019. Die CDU erhielt 26,7 Prozent. Nach Verlusten vereinigte die SPD 11,9 Prozent (minus 1,8 Prozent) der Stimmen auf sich, die Linke 8,3 Prozent (minus 6,7 Prozent), die Grünen 4,5 Prozent (minus 3,9 Prozent) und die FDP 3,4 Prozent (minus 2,5 Prozent).

In mehr als jeder dritten Gemeinde besitzt die AfD jetzt die Mehrheit in den Gemeinderäten. Bei den Landkreisen bekam die AfD in neun von 14 Landkreisen und kreisfreien Städten die meisten Stimmen. Bei den Zahlen handelt es sich laut der Landeswahlleitung um das vorläufige Ergebnis. In den drei fehlenden Wahlbezirken sei die Auszählung unterbrochen worden. Die Zahlen fließen dann in das endgültige Ergebnis ein, das in ein, zwei Wochen veröffentlicht wird, wie es hieß.

Der Präsident des Städte- und Gemeindebundes, Andreas Dittmann (SPD), sieht durch den Wahlerfolg der AfD möglicherweise auch eine veränderte Diskussionskultur in den künftigen Gemeinderäten. Allerdings gehe es auf kommunaler Ebene häufig weniger um Partei und Ideologie, sondern mehr um Sachfragen. „An der Stelle wird es zwangsläufig Schnittmengen in Abstimmungen geben“, sagte Dittmann. Der Präsident des Landkreistages Sachsen-Anhalt, Götz Ulrich (CDU), hofft auf ein verändertes Bewusstsein der Landes- und Bundespolitik. Die kommunale Ebene müsse jetzt unter der Unzufriedenheit mit der Bundespolitik leiden.

Die Wahlbeteiligung lag mit 60,8 Prozent deutlich höher als noch 2019 mit 53,6 Prozent. CDU-Fraktionschef Guido Heuer sagte am Montag, das Ergebnis der Christdemokraten bei den Kommunalwahlen sei nicht zufriedenstellend. Es gehe nun aber um eine gute Sachpolitik vor Ort, wenn die AfD dabei zufällig zustimme, „dann ist das so“.

Landesbischof beunruhigt über Entwicklung

Der Soziologe und Extremismusforscher Quent betonte, es gebe unter den AfD-Wählern einen harten Kern rechtsextrem eingestellter Menschen. „Die wird man auch durch gute Politik nicht erreichen.“ Die Wahlergebnisse seien aber deutlich höher ausgefallen als in den vergangenen Jahren und dies sei nicht mit dem harten Kern rechtsextrem eingestellter Menschen zu erklären. Viele Arbeiter und Angestellte fühlten sich nicht repräsentiert von den anderen Parteien und machten deshalb ihre Kreuze bei der AfD, sagte Quent.

Vertreter von SPD, Grünen und FDP in Sachsen-Anhalt sehen den Hauptgrund für das schlechte Abschneiden im Agieren der Bundesregierung. Die Performance der Ampel sei „komplett schlecht“, sagte Grünen-Fraktionschefin Cornelia Lüddemann. SPD-Vizefraktionschef Falko Grube forderte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf, nach den jüngsten Konflikten in der Regierung nun mehr auf den Tisch zu hauen. FDP-Fraktionschef Andreas Silbersack sagte, die Ampel müsse eine Politik machen, bei der sich die Menschen nicht abgekoppelt fühlten.

Der Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Mitteldeutschland, Friedrich Kramer, sagte zu den massiven Gewinnen der AfD und anderer Rechtspopulisten: „Damit sind Kräfte gestärkt worden, die die Europäische Union bekämpfen und abwickeln wollen. Mich beunruhigt diese Entwicklung.“ Kramer ergänzte: „Die Kirchen stehen ein für den Grund, auf dem dieses Europa gebaut ist, die Achtung der Menschenwürde, Freiheit und Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit sowie die Wahrung der Menschenrechte. Diese Werte sind für uns nicht verhandelbar.“