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Starkoch Geschmacklich polyglott - Eckart Witzigmann wird 80

Er brach mit Kochkonventionen und gilt als einer der besten Köche der Welt. Die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung und die Frage nach gesundem Essen treiben ihn bis heute um.

Von Sabine Dobel, dpa 30.06.2021, 15:07
Der Starkoch Eckart Witzigmann wird 80.
Der Starkoch Eckart Witzigmann wird 80. Sven Hoppe/dpa

München - Leibspeise? Fehlanzeige. „Ein Lieblingsgericht im klassischen Sinn habe ich nicht. Bei mir hängt das immer vom jeweiligen Gemütszustand ab und in welchem Winkel der Welt ich mich gerade befinde“, sagt der Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann.

Reisen ist für ihn als Koch essenziell. „Ich glaube, die Erkenntnis des Geheimrates Goethe, dass Reisen bildet, ist aktueller denn je zuvor. Geschmack kann man zwar in Worte packen, aber das ureigenste Erlebnis muss man selbst schmecken und verspüren.“

Heute greift Witzigmann seltener zum Kochlöffel. Am 4. Juli feiert der gebürtige Österreicher seinen 80. Geburtstag - an seinem neuen Wohnort am Tegernsee in Bayern. „Wenn man lange in München lebt, bekommt man zum Tegernsee gänzlich automatisch eine besondere Beziehung“, sagt er zu dem Ortswechsel. „Und mit 80 beschäftigt man sich doch sehr intensiv mit der Zeit, die einem noch bleibt. Und die möchte man möglichst so verbringen, wie man es eigentlich immer schon wollte. Zwischen Wasser und Bergen, mit der wichtigsten Frau an meiner Seite und spannenden Aufgaben.“

Gerade hat der Sterne-Koch ein Projekt abgeschlossen: Kurz vor dem Geburtstag erscheint ein zweibändiges Werk „Was bleibt“, eine Lebens- und Werkschau mit Erfahrungen und vielen Rezepten, von Witzigmann selbst und neu interpretiert durch seine Schüler - die heute teils selbst mit Sternen dekoriert sind.

Witzigmann hat Koch-Geschichte geschrieben. Als Erster im deutschsprachigen Raum bekam er 1979 mit seinem Münchner Edellokal „Aubergine“ drei Sterne vom französischen „Guide Michelin“. Viele weitere Auszeichnungen folgten. 1994 verlieh ihm der Gourmet-Führer „Gault Millau“ den Titel „Koch des Jahrhunderts“. Das sei einer der größten Glücksmomente gewesen, sagte er einmal, nicht ohne zu relativieren: Das größte Glück sei die Geburt seiner Kinder gewesen.

Viele weitere Auszeichnungen folgten, etwa die Ehrenprofessoren-Würde der schwedischen Universität Örebro als staatlicher Gastronomie-Uni. Zuletzt bekam er etwa die Walter-Scheel-Medaille für „Genusskultur und Lebensart“, die Medaille „München leuchtet“ und die Auszeichnung des Freistaates Bayern „Pro meritis scientiae et litterarum“.

Dabei hätte er Schneider werden sollen. 1941 geboren und im österreichischen Ferienort Bad Gastein aufgewachsen, sollte er das Handwerk lernen, genau wie sein Vater. Aber schon als Junge wusste er, dass er Koch werden wollte. Nach der Lehre lernte er 13 Jahre im Ausland, bei den Besten seines Faches: beim französischen Spitzenkoch Paul Bocuse, bei Paul Haeberlin, Roger Vergé und den Brüdern Troisgros.

Als Chefkoch des Münchner Nobellokals „Tantris“ begann er 1971 gegen die deutsche Hausmannskost anzukochen. Statt fetter Soßen und dicker Knödel wollte er eine neue Küche: Nouvelle Cuisine, zart betonter Eigengeschmack frischer Produkte. Anfangs gab es Kritik, Gäste reklamierten. Doch Witzigmann blieb bei seiner Linie. 1974 gab es zwei Sterne vom französischen „Guide Michelin“. 1978 eröffnete er das „Aubergine“.

Witzigmann kochte für Queen Elizabeth II., König Carl Gustaf und Königin Silvia von Schweden, König Hassan von Marokko und den Maharadscha von Jaipur, für Michail Gorbatschow und George Bush, für Fußballkaiser Franz Beckenbauer und Rennfahrer Niki Lauda. Jahrelang bewirtete er auch Gäste des Restauranttheaters „Witzigmann Palazzo“ und des „Witzigmann & Roncalli Bajazzo“.

Mehr und mehr übernahm er Berater-Aufgaben, etwa in dem von ihm konzipierten Restaurant Projekt „Ikarus - Hangar 7“ am Salzburger Flughafen, wo die besten Köche der Welt gastieren. Er wirkte an zahlreichen Kochbüchern mit, als Schirmherr von „Spitzenköche für Afrika“ engagierte er sich für Karlheinz Böhms Äthiopienhilfe „Menschen für Menschen“.

Stets war ihm die Herkunft der Lebensmittel wichtig. Schon vor Jahrzehnten antwortete er auf die Frage nach dem Luxus der Zukunft: den Produzenten seiner Lebensmittel persönlich zu kennen. Damals hätten die Menschen damit wenig anfangen können, sagte er später.

Klimawandel, Flucht, Vertreibung, eine wachsende Menschheit und Ernährung als Gesundheitsfaktor - diese Themen treiben ihn von jeher um. „Die Wissenschaft ist sich wie selten zuvor einig, dass die Umstellung der Essgewohnheiten und die Begrenzung in der Verschwendung von Lebensmitteln für eine gesunde und nachhaltige Ernährung bei stark wachsender Bevölkerung dringend notwendig sind.“ Die Endlichkeit der Ressourcen auf der Erde mache deutlich, dass hier drastisch umgesteuert werden müsse.

Die Menschheit werde nicht umhin kommen, sich mit Themen wie „molekulare Nahrungsmittelerzeugung“, „synthetische Proteine“, „Fleisch ohne Tiere“ oder „Nahrung aus dem Labor“ zu beschäftigen. Witzigmann: „Ich habe als Koch aus dem vollen Reservoir unserer Mutter Natur schöpfen können, aber ich bin sicher, dass das in Zukunft anders sein wird. Und zwar schneller, als uns lieb ist. Traurig, aber wahr.“