Filmemacher Scharfsinniger Feingeist - Alexander Kluge wird 90
Das Corona-Virus ist für den Autor und Filmemacher Alexander Kluge ein „Alien“, das ihm gleichzeitig Respekt und Angst einflößt - doch er sieht auch einen „Notausgang“. Wie immer in seinem Leben.
München - Der Filmemacher und Autor Alexander Kluge gilt als hervorragender, exakt beobachtender Erzähler. Er war aber über Jahrzehnte weit mehr als ein aufmerksamer Chronist: Durch seine Filme, Bücher und TV-Formate hat er die deutsche Kulturlandschaft bereichert und geprägt.
Jetzt liefert der in München lebende Intellektuelle weitere Denkanstöße: In dem autobiografisch gefärbten Buch „Das Buch der Kommentare - unruhiger Garten der Seele“, in dem er sich auch der aktuellen Pandemie annimmt.
Das Virus sei wie „ein Alien vom selben Planeten, das der Menschheit den Spiegel vorhält“, sagte Kluge der Deutschen Presse-Agentur kurz vor seinem 90. Geburtstag (14. Februar). Das betreffende Kapitel ist mit „Ein fremdes Lebewesen klopft an unsere Tür“ überschrieben. Da stellt sich die Frage: Wie reagiert die Menschheit auf dieses Klopfen? „In den ersten Wochen hat mich verblüfft, wie solidarisch und intelligent die Menschen auf das Virus reagiert haben. Wir haben beispielsweise falsche Gewohnheiten abgelegt - wie beispielsweise das Schütteln von Schweißhänden“, sagt er.
Gute und schlechte Eigenschaften der Menschen
Doch das habe nicht lange angehalten. Ganz und gar nicht. „Das Virus zeigt uns, was wir an guten und schlechten Eigenschaften mit uns herumtragen“. Er fürchtet diese dem Menschen gefährlich werdende Lebensform, wie er sagt, aber er zollt dem Virus auch „Respekt“. Es sei intelligent, mutiere innerhalb kürzester Zeit, um seine Chancen zu optimieren, und es teste gründlich seine Umgebung aus.
Wie fällt dabei sein Zeugnis für die Bundesregierung aus? „Sie reagiert sehr gemischt“, sagt er, „ein ganz kleines bisschen zu administrativ für meine Begriffe.“ Dennoch habe er Verständnis für so manches Schlingern und die eine oder andere Fehlentscheidung der Politik: „Auch für sie ist diese Situation neu und herausfordernd.“
In jedem Fall sei Angst ein schlechter Ratgeber. Schon immer gewesen. Die Angst zu leugnen, funktioniere aber auch nicht. „Es gibt immer Notausgänge“, findet Kluge und nennt ein Beispiel: „Marcel Proust hat eines Abends in Paris ein langweiliges Theaterstück gesehen. Da fällt sein Blick auf das „Notausgang“-Schild. Er stellt sich vor, wenn jetzt ein Theaterbrand entstünde, wüsste er, wo der Ausgang ist. Damit war der Abend für ihn gerettet: Seine Einbildungskraft hat den Abend spannend gemacht.“
„Es gibt immer einen Ausweg“
Einen „Notausgang“ hat er einst selbst gebraucht, wie Kluge erzählt: Als 13-Jähriger war bei einem Bombenangriff in Halberstadt verschüttet worden. Nach einer Weile habe er einen Ausgang zum Nachbarhaus gefunden und von da aus ging es zum nächsten und zum übernächsten Haus, bis sich schließlich ein Weg nach draußen fand. „Es gibt immer einen Ausweg“, hat er daraus gelernt. „Um ihn zu finden, muss man locker lassen, oder man muss dafür sorgen, dass der Notausgang zu einem kommt. Man muss ihn zulassen.“
Kluge, 1932 in Halberstadt geboren, studierte Jura, Geschichte und Kirchenmusik. Er promovierte und arbeitete zunächst als Rechtsanwalt. 1958 volontierte er bei dem weltberühmten Regisseur Fritz Lang („Metropolis“) und fing bald darauf an, selbst Regie zu führen. 1962 war er einer der Filmemacher, die mit dem „Oberhausener Manifest“ ein Kino der Autoren forderten. Kluge inszenierte Filme wie „Abschied von gestern“, „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“ und „In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod“.
1987 war Kluge Mitbegründer der Produktionsfirma dctp, die private Fernsehsender wie Sat.1 oder RTL mit wissenschaftlichen und kulturellen Beiträgen versorgt. Das Magazin „Spiegel TV“ stammt beispielsweise aus seinem Haus. Für seine Bücher und Filme erhielt Kluge unter anderem den Adolf-Grimme-Preis, den Georg-Büchner-Preis, den Heinrich-Heine-Preis sowie den Klopstock-Preis.
Im Team mit Gerhard Richter
Mit dem Maler Gerhard Richter, der jüngst ebenfalls 90 Jahre alt wurde, verbinden Kluge neben einem gemeinsamen Urlaubsziel in der Schweiz auch zwei Bücher. Er steuerte zu Richters Fotos die Texte bei. „Was er kann, kann ich nicht, wir ergänzen uns“. Dabei sei der Maler gelegentlich recht radikal mit seinen Texten umgegangen, wie Kluge berichtet. „Er zerschnitt manchmal aus ästhetischen Gründen meine Texte.“ Umgekehrt wäre das wohl eher nicht anzuraten: „Seine Werke sind generell etwas teurer.“
Auch im vorgerückten Alter scheint Alexander Kluges Begeisterung für Ideen und Herausforderungen, Projekte und Kooperationen ungebremst zu sein. Sein Tatendrang ist so imposant wie erstaunlich. „Ich arbeite viel mit jungen Menschen zusammen.“ Beim Arbeiten spielten Befindlichkeiten und Alter keine Rolle. Behilflich sei beim kreativen Prozess, die „Ich-Schranke“ zu senken. „Alles, was einen von der eigentlichen Arbeit ablenkt, muss außen vor bleiben: der eigene Anspruch, die Erwartungshaltung und - natürlich auch - die Eitelkeit. Nur so kann es aus dem Bleistift fließen.“
Seinen 90. Geburtstag feiert er gleich mehrfach: Im Vorfeld mit Wiener Künstlern in den Kammerspielen und mit einer Matinee mit Hannelore Hoger, bei der es „viel Musik und Texte“ geben soll. Den eigentlichen Geburtstag am 14. Februar will der nimmermüde Kulturschaffende im Kreise seiner Familie verbringen.