Landgericht Magdeburg „Todesangst“: Geiseln des Halle-Attentäters berichten
Sie wussten, mit wem sie es täglich im Gefängnis zu tun hatten: mit dem Halle-Attentäter, der seine Waffen einst selbst baute. Zwei Vollzugsbeamte berichten nun, wie sie im Knast zu seinen Geiseln wurden. Die Tat lässt sie bis heute nicht los.
Magdeburg - Im Prozess gegen den Halle-Attentäter wegen Geiselnahme im Gefängnis in Burg haben zwei Vollzugsbeamte von dem Geschehen berichtet. „Ich hatte Todesangst“, sagte ein 26 Jahre alter Beamter am Montag im Landgericht Magdeburg. Er beschrieb, wie der Angeklagte warm angezogen und mit auf Hüfthöhe vorgehaltener, vermeintlicher Waffe in der Zellentür stand, als er zur Nacht eingeschlossen werden sollte. Der 32-Jährige habe gesagt, er wolle jetzt raus. Er habe Alarm ausgelöst und den Gefangenen bis in den Freistundenhof gebracht, so der Vollzugsbeamte. Es sei auch ein Schuss gefallen. Auch ein weiterer Beamter berichtete von Todesangst. Der Fluchtversuch des Halle-Attentäters scheiterte.
Weil der bereits zur Höchststrafe verurteilte Stephan Balliet als extremes Sicherheitsrisiko gilt, findet der Prozess unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen statt. Das zuständige Landgericht Stendal verhandelt im größten Justizsaal Sachsen-Anhalts in Magdeburg. Der Zuschauerbereich ist durch Sicherheitsglas abgetrennt. Während der Verhandlung saßen maskierte Spezialkräfte der Justiz in voller Schutzausrüstung hinter dem Angeklagten. Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg hat Stephan Balliet wegen Geiselnahme und Verstoßes gegen das Waffengesetz angeklagt.
Der Angeklagte erschien zum zweiten Verhandlungstag mit einem blauen Auge. Das stammt seinem Verteidiger zufolge von einem Unfall. Er verfolgte die Zeugenaussagen scheinbar interessiert. Beim Prozessauftakt am Donnerstag vergangener Woche hatte der 32-Jährige die Geiselnahme vom 12. Dezember 2022 gestanden. Sein Ziel sei gewesen, frei zu sein.
Er beschrieb ausführlich, wie er einen Schussapparat aus Schreibmaterialien baute, damit Gefängnisbedienstete bedrohte und sie nötigte, ihm diverse Türen zu öffnen. Er habe in die Freiheit gewollt, erklärte der Angeklagte vor Gericht. Der 32-Jährige sagte, er sei davon ausgegangen, dass seine selbst gebastelte Waffe tödlich ist. Laut einem Gutachten des Bundeskriminalamts war das Gerät waffenähnlich und schussfähig, allerdings mit vergleichsweise geringer Auftreffenergie. Das wussten die Gefängnismitarbeiter am Tattag nicht. Der 26 Jahre alte Vollzugsbedienstete erklärte, er sei krankgeschrieben und in psychologischer Behandlung. Er habe viele Träume, in denen der Angeklagte auftauche. „Ich habe Angst, dass das nochmal passieren kann und ich meine Familie komplett alleine lasse, dass ich nicht mehr nach Hause komme.“ Ein 40-Jähriger, der ebenfalls Geisel war, berichtete von erheblichen psychischen und körperlichen Problemen, er habe Panikattacken, leide unter Schlaflosigkeit, seine körperliche Leistungsfähigkeit sei eingeschränkt. Beide Beamte sind derzeit nicht mehr aktiv im Dienst. Sie treten im Prozess als Nebenkläger auf.
Der ältere Vollzugsbeamte kannte den Angeklagten schon aus dem Gefängnis Halle, wo Balliet einst einen Ausbruchversuch unternahm. Im Gefängnis Burg sei er am Tattag relativ unauffällig gewesen. Der Beamte beschrieb, wie gegen 21.00 Uhr der Alarm ausgelöst wurde. Kurz zuvor habe er sich gewundert, warum die Zellentür noch offen war und zwei Personen durch eine andere Tür gingen.
Mit mehreren Kollegen sei er beiden in Richtung Freistundenhof gefolgt. Dann sei klargeworden, dass der Angeklagte eine Waffe hatte, so der 40-Jährige. „Ich wusste nur, er hatte eine Waffe und er würde schießen.“ Balliet habe immer wieder gesagt, er wolle raus, er sei zunehmend hektischer und nervöser geworden, ständig in Bewegung. Der Angeklagte habe auch runtergezählt. Der Beamte sagte vor Gericht, er habe dem Geiselnehmer versichert, er könne das Tor nicht öffnen, selbst wenn er wolle, so der Vollzugsbeamte. Die zwei Beamten treten in dem Prozess als Nebenkläger auf.
Balliet war im Dezember 2020 wegen des rassistischen und antisemitischen Anschlags in Halle zu lebenslanger Haft und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Am 9. Oktober 2019, dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, hatte er versucht, die Synagoge von Halle zu stürmen und ein Massaker anzurichten. Als es ihm nicht gelang, ermordete er nahe der Synagoge zwei Menschen.
Die Vorsitzende Richterin gab dem Angeklagten am Montag nach den Zeugenvernehmungen der ehemaligen Geiseln jeweils die Gelegenheit, sich zu äußern - der lehnte ab. Zeichen des Bedauerns oder der Reue gab es nicht.
Am kommenden Mittwoch sollen zwei weitere Zeugen gehört werden sowie ein psychiatrischer Gutachter, wie die Vorsitzende Richterin ankündigte. Sie stellte das Ende der Beweisaufnahme in Aussicht. Der nächste Verhandlungstermin wäre dann der 19. Februar. Ursprünglich waren Verhandlungstage bis Ende Februar geplant.