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Plädoyers im Oberlandesgericht Überraschend Freispruch im „Reichsbürger“-Prozess gefordert

Eine Frau aus dem Landkreis Hildesheim ist wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Doch die Generalstaatsanwaltschaft hält sie nach der Beweisaufnahme für unschuldig.

Von Christina Sticht, dpa Aktualisiert: 14.03.2025, 13:26
Die Generalstaatsanwaltschaft und Verteidiger Fuat Yalti beantragten einen Freispruch für die Angeklagte im „Reichsbürger“-Prozess.
Die Generalstaatsanwaltschaft und Verteidiger Fuat Yalti beantragten einen Freispruch für die Angeklagte im „Reichsbürger“-Prozess. Christina Sticht/dpa

Celle - Sie wurde als Terroristin und „Reichsbürger“-Verschwörerin angeklagt, doch am Ende des Prozesses sieht die Generalstaatsanwaltschaft die Vorwürfe entkräftet: Die Anklagevertretung beantragte heute im Oberlandesgericht Celle einen Freispruch für die 39-Jährige aus dem Landkreis Hildesheim. Ihr Verteidiger Fuat Yalti schloss sich der Forderung an. Das Urteil soll in einer Woche verkündet werden.

Der Frau wird in der Anklage die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens sowie der Besitz eines Schlagrings vorgeworfen. Sie soll sich 2022 als Mitglied der sogenannten „Kaiserreichsgruppe“ an der Planung eines gewaltsamen Umsturzes in Deutschland beteiligt haben. Die Gruppe wollte eine neue Verfassung nach Vorbild des Kaiserreichs von 1871 einführen. 

39-Jährige hoffte, V-Person für die Polizei zu werden

Die Tatvorwürfe hätten sich nicht bestätigt, sagte der Oberstaatsanwalt in seinem Plädoyer. Im Februar 2022 sei die Frau am Rande einer Demonstration gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen aktiv auf die Polizei zugegangen und habe die Behörden gewarnt. In der Folge habe sie sich passiv verhalten. „Ich glaube auch, dass sie Angst vor Repressalien der Gruppe hatte“, sagte der Anklagevertreter. 

Er hätte gern vor Anklageerhebung gewusst, dass es auch eine Kontaktaufnahme mit dem Landeskriminalamt gegeben habe, kritisierte der Jurist. Die Frau hatte in dem Prozess deutlich gemacht, dass sie sich erhofft habe, als V-Person von der Polizei anerkannt zu werden - auch zu ihrem eigenen Schutz und zum Schutz ihrer Familie.

Angeklagte: „Die sind völlig gewissenlos gewesen“

Die Angeklagte schilderte Mitte Februar, wie sie von der „Kaiserreichsgruppe“ angeworben werden sollte. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sollte entführt und ein bundesweiter Stromausfall herbeigeführt werden. „Die sind völlig gewissenlos gewesen, denen war völlig egal, dass Menschen sterben werden“, sagte sie.

Es handelt sich um den ersten Prozess im Kontext der Lauterbach-Entführung in Niedersachsen. In anderen Bundesländern gab es bereits Verhandlungen und teilweise auch Urteile. So verurteilte Anfang März das Oberlandesgericht Koblenz in Rheinland-Pfalz vier Rädelsführer der „Kaiserreichsgruppe“ zu langen Haftstrafen zwischen knapp sechs und acht Jahren. Ein 60 Jahre alter mutmaßlicher Unterstützer wurde im Februar von der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft angeklagt.

Vorwurf Angebot von Nahkampf-Schulungen entkräftet

Die Frau aus Niedersachsen hatte 2022 an zwei Treffen der Verschwörer teilgenommen, und zwar in Schlotheim in Thüringen sowie im niedersächsischen Verden. Ursprünglich war ihr vorgeworfen worden, Nahkampf-Schulungen angeboten zu haben. Zwar habe sie sich möglicherweise zum Thema Internetsicherheit und Kampfsport geäußert, aber nicht in Zusammenhang mit den Tatplänen, sagte der Oberstaatsanwalt. Dies habe die erneute Vernehmung einer V-Person ergeben. 

Die Frau hatte an einem früheren Verhandlungstag auch geschildert, wie sie in Kontakt zu den Drahtziehern der Terrorpläne gekommen war, die sich „Vereinte Patrioten“ nannten. Demnach war sie Administratorin verschiedener Telegram-Gruppen, unter anderem einer „Veteranen“-Gruppe, der viele Soldaten angehörten. Laut Oberstaatsanwalt kamen später auch Corona-Leugner dazu. Die 39-Jährige hatte sich als Gegnerin staatlicher Corona-Maßnahmen engagiert, distanzierte sich aber von der „Reichsbürger“-Ideologie, als sie die Polizei informierte. 

Angeklagte dankt Richtern und Staatsanwaltschaft für Fairness

Seine Mandantin habe die Polizei vor bevorstehenden Verbrechen gewarnt, betonte Verteidiger Yalti in seinem Schlussvortrag. Sie habe sich nicht an den Umsturzplänen aktiv beteiligt, sondern sogar in der Diskussion darüber bei einem Treffen kritisch geäußert. Er beantrage, die 39-Jährige auf Kosten der Landeskasse freizusprechen. 

In jedem Strafprozess steht den Angeklagten das letzte Wort zu. „Ich schließe mich meinem Anwalt an“, sagte die Frau. Sie dankte den Richtern und der Staatsanwaltschaft. „Ich hatte permanent das Gefühl, dass Sie mich fair behandelt haben.“