Selbstversuch Bergurlaub mit Anpack-Faktor
Meine Zeit als Hüttendienst im Salzburger Land
Willkommen im etwas anderen Urlaub. Dies hier hat zu tun mit Gemeinschaft, gegenseitiger Hilfe, Naturerlebnis, ausdrücklich keiner Garantie auf eine Faultier-Zeit und einem - eher speziellen - Luxus. Wer sich damit anfreunden kann, unbedingt weiterlesen.
Anton-Proksch-Haus, eine ziemlich große Berghütte mit bis zu 50 Schlafplätzen am Südrand des Tennengebirges, hoch über dem Ferienort Werfenweng.
Die Hütte ist umgeben von saftigen Almwiesen, bewacht von felsigen, über 2000 Meter hohen Gipfeln mit Namen wie Eis-, Tauern- oder Fritzerkogel.Willkommen im Luxus des Normalen. Nicht dieser vergoldete Wasserhähne-Privatpool-am-Balkon-all-you can-eat-Luxus. Es ist viel mehr: Die Exklusivität, schon dort zu sein - im Winter als Erster die frisch verschneite Piste zu benutzen. Im Sommer schon bei Sonnenaufgang am Gipfel zu stehen, wenn die anderen im Tal gerade losgehen oder noch Stunden auf die erste Gondel bergan warten müssen.
Der Nebel liegt eben noch zäh wie Zuckerwatte über den Bergwiesen. Ab und zu fällt ein flüchtiger Sonnenstrahl auf das Haus, das zwischen den Wiesenbuckeln thront.
Draußen wird es abendfrisch. Drinnen bullert bald der Kaminofen - anheizen musst du selbst. Auch das Holz von draußen reinholen. Die Spaghetti Bolognese schmecken nach einem Tag auf der Alm unnachahmlich gut - selbstgekocht natürlich.
Vertrauen gegen Vertrauen
Das Selbstversorger-Prinzip befreit von Essenszeiten oder Speisekarten. Jeder, was er mag und wie es ihm gefällt. Alles ist da: In der voll ausgestatteten Küche das komplette Werkzeug, alle Schubladen beschriftet: Nudeln, Zucker, Backzutaten.
Getränke sind im Kühlschrank oder der Kammer. Bier, Wein, Milch. Bedienen musst du dich selbst. Als eigener Kellner, der auch gleich kassiert. Das geht so: Einfach per Strichliste vermerken, wie viele Helle, Obstler, Packungen Haselnusswaffeln oder Chipstüten verzehrt wurden, addieren. Bei Abreise bar im Umschlag deponieren oder überweisen. Vertrauen gegen Vertrauen.
Mädchen für Alles
Alles in allem in großer, quasi selbsterklärender Haushalt. Gilt auch für Handtücher, Bettwäsche, Brennholz etc. Wichtiger Part ist der Hüttendienst, der sich aus einem Reservoir von Freiwilligen rekrutiert, die jeweils, je nach individuellem Zeitbudget, für ein paar Tage oder Wochen kümmert, dass alles läuft. Schlüssel ausgeben, geduldig Haus und Abläufe erklären, Bettwäsche- und Geschirrspül-Management überwachen - und nachsehen, dass sie Gäste bei Abreise alles sauber und aufgeräumt hinterlassen. Und wenn es schneit, was hier oben beinahe zu jeder Jahreszeit vorkommen kann, schneit, natürlich Schnee schippen.
In einem schwachen Moment hatte der Autor sich bereiterklärt, unentgeltlich im Anton-Proksch-Haus als Hüttendienst zu helfen. Vorweg dies: Er hat es nicht bereut. Und er würde es wieder tun. Der Luxus der Gemeinschaft: Du kannst mit oft sehr interessanten Menschen zusammensein, die du bis eben gar nicht kanntest. Man kommt viel lockerer ins Gespräch als im Hotel-Speisesaal.
Tagsüber geht man gemeinsam oder allein wandern. Im Winter das Skigebiet erkunden, Schneewandern bis zum nächsten Almausschank. Abends sitzt man in fröhlicher Runde beim Getränk, erzählt sich Berg-Anekdoten oder macht etwas im normalen Leben eher Seltenes: Zünftig ein paar Runden Rommé, Mensch-Ärger-dich-nicht oder Monopoly zocken. Ausgangsmaterialien, also Spiele-Sets sind reichlich vorhanden am Anton-Proksch-Haus.
Menschen am Berg
Wer unbedingt muss, kann hier oben auch arbeiten - in einem der alpinsten Homeoffices weit und breit. Kleiner Workspace, schnelles Wlan - alles da.Hier oben triffst du unter entspannten Umständen teils ziemlich außergewöhnliche Menschen. Zum Beispiel den Rudi, gute Seele des Anton-Proksch-Hauses. Er kümmert sich um Reparaturen, ist da, wenn etwas mit der Technik nicht stimmt - und kann fantastisch Witze erzählen, auch jugendfreie. Rudis Repertoire ist dabei schier unerschöpflich. Rudolf Wienerroither (64) kennt nicht nur alle Witze, sondern vor allem: alle Berge. Meint die Gipfel in der Umgebung ebenso wie 7000er in China mit unaussprechlichem Namen, schroffe Anden-Gipfel oder die wildesten Kletterrouten im Kaukasus. „Da waren auch ein paar mit Schwierigkeitsgrad 12 darunter“, erzählt Rudi. Bedeutet unter Bergsteigern, der Fels ist in etwa so griffig, wie Rauhfasertapete. Wenn es passt, nimmt Rudi gern mit auf einen kleinen oder etwas größeren Ausflug in der Hütten-Umgebung. Noch mehr spannende Geschichten inklusive.
Hohe Küche
In der Würstel-Hütte (heißt wirklich so) direkt neben dem Anton-Proksch-Haus schenkt der Jakob Bier aus oder serviert - Würstel. Jakob heißt eigentlich Jakob Hermann, ist Weltmeister im Skibergsteigen. Außerdem studierter Mathelehrer und gelernter Gastronom. Jakob hat eine Menge zu erzählen. Zum Beispiel, wie er in 24 Stunden am Stück 24.242 Höhenmeter- und damit seinen Weltrekord - geschafft hat. Dafür ist er eine Strecke von rund 710 Höhenmetern und 2,5 Kilometern Länge rauf und runter, immer wieder, insgesamt 34 Mal. Das adelt natürlich jedes Würstel, jedes Bier, das man bei Jakob bestellt, auf besondere Weise.
“Das war schon immer mein Traum, eine kleine Almhütte zu bewirtschaften. Ohne Massenabfertigung“ - jetzt ist Jakob Gastronom der Oberklasse.
Geografisch - 1590 Meter über dem Meer. Und auch kulinarisch. „Bei mir gibts nur ein paar Gerichte. Selbst hergestellt und mit Zutaten von hier“, sagt der Skibergsteiger-Hüttenwirt. Neben den obligatorischen Würstel je nach Laune eine kräftige Suppe, Weißwurst und Brezn, Lasagne. Und für danach Kaiserschmarrn, duftenden, frisch gebackenen Streusel-, Mohn oder Quarkkuchen. Dazu gibt es hier oben einen von wenigen, von Jakob (er ist auch Sommelier) sorgsam ausgesuchten Weinen oder ein wohltemperiertes Märzen. „Ich will die Leute, die zu mir kommen, glücklich machen“, sagt Jakob. Jenseits von Aprés Ski-Ballermann und Pommes-Druckbetankung. Zurück zum Hüttendienst: Außerhalb der Stoßzeiten ist manchmal eher wenig zu tun. Zeit für die ein- oder andere Bergtour im Tennengebirge. Oder um einfach vor dem Haus bei einem zischigen Bier in der Sonne zu sitzen. Oder mit Esel Jimmy und Schafsdame Leni einen Almrundgang machen. Die beiden spazieren jeden Tag wie ein altes Ehepaar hier oben von Hütte zu Hütte und haben nichts dagegen, wenn man sich ihnen anschließt. Die Runde endet zuverlässig beim Moarhof Peter, der den tierischen Freunden, kein Witz, täglich ein Bier spendiert. Worauf diese auch ausdrücklichen Wert legen. Irgendwie alles sehr menschlich.