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Niedersachsen und Bremen In den Staatsanwaltschaften türmen sich die Aktenberge

Der Deutsche Richterbund schlägt Alarm. Bundesweit bleiben Hunderttausende Ermittlungsverfahren unbearbeitet. Sogar Verdächtige kommen deshalb auf freien Fuß. Wie sieht die Lage im Nordwesten aus?

Von Christina Sticht, dpa Aktualisiert: 11.03.2025, 11:46
Bei den niedersächsischen Staatsanwaltschaften lagen Ende 2024 mehr als 76.000 unbearbeitete Ermittlungsverfahren. (Symbolbild)
Bei den niedersächsischen Staatsanwaltschaften lagen Ende 2024 mehr als 76.000 unbearbeitete Ermittlungsverfahren. (Symbolbild) Patrick Pleul/dpa

Hannover - Bei den niedersächsischen Staatsanwaltschaften türmen sich die Aktenberge. Es fehlt Personal für immer aufwendigere Ermittlungen. Ende 2024 waren landesweit 76.111 Verfahren unbearbeitet - gut 3 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Im Vergleich zu Ende 2021 stieg die Zahl der unerledigten Fälle sogar um 23 Prozent. Damit liegt Niedersachsen aber noch unter dem Bundesdurchschnitt, wie der Deutsche Richterbund mitteilte. 

Bundesweit schieben die Staatsanwaltschaften mehr als 930.000 unerledigte Fälle vor sich her – das sind knapp 30 Prozent mehr offene Verfahren als drei Jahre zuvor. Der Richterbund beruft sich auf eine Umfrage der „Deutschen Richterzeitung“ bei den Justizministerien der Länder. 

Justizministerium hat 55 neue Stellen geschaffen

„Zweifelsohne sind unsere Staatsanwaltschaften in Niedersachsen stark belastet“, sagte eine Sprecherin des Justizministeriums in Hannover. Demnach wurden mit dem Haushalt 2025 55 neue Stellen geschaffen, zudem wurde Personal aus anderen Justizbereichen organisiert. Aktuell stehen der Sprecherin zufolge bei den Staatsanwaltschaften gut 114 Kräfte mehr zur Verfügung als noch 2023.

Die Eingangszahlen neuer Verfahren gegen namentlich bekannte Tatverdächtige sind in Niedersachsen gesunken. Im vergangenen Jahr kamen 550.735 Fälle hinzu, im Jahr 2023 waren es noch 567.238 neue Fälle. Dagegen stiegen laut Justizministerium die Eingänge bei Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt um knapp 5 Prozent auf 334.132 neue Fälle im Jahr 2024. 

Komplexe Ermittlungen bei Wirtschaftsstraftaten

Weniger neue, aber mehr unerledigte Fälle: Dies habe mit einer zunehmenden Komplexität der Ermittlungen zu tun, erläuterte die Sprecherin. Das gelte zum Beispiel für Wirtschaftsstraftaten. 

„Die Alarmsignale für einen überlasteten Rechtsstaat häufen sich“, warnte der Bundesgeschäftsführer des Richterbundes, Sven Rebehn. Strafverfahren zögen sich in die Länge. „Anlass zur Sorge gibt auch, dass die Gerichte 2024 mehr als 60 dringend Tatverdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen mussten, weil deren Verfahren nicht mit der gebotenen Beschleunigung für Haftfälle bearbeitet werden konnten.“ 

Hannover und Göttingen sind besonders belastet

Die Leiterin der Generalstaatsanwaltschaft Celle, Katrin Ballnus, sagte im Mai 2024 der dpa: „Seit Corona explodiert es.“ Die Belastung der Staatsanwaltschaften sei viel zu hoch.

Besonders belastet sind laut Justizministerium die Staatsanwaltschaften Göttingen, Hannover, Stade, Verden, Oldenburg und Osnabrück. Hintergrund seien unter anderem Schwerpunkt-Zuständigkeiten. So ist in Göttingen die Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet angesiedelt und in Hannover die Zentralstelle zur Bekämpfung gewaltdarstellender, kinderpornografischer oder sonstiger jugendgefährdender Schriften.

Landeschef: „Flutwelle wird bei den Gerichten ankommen“

Der Vorsitzende des niedersächsischen Richterbundes, Frank Bornemann, sagte der dpa: „Wir sehen einen Stau bei den Staatsanwaltschaften; wenn dieser Stau beseitigt werden sollte, wird die Flutwelle bei den Gerichten ankommen.“ Auch die niedersächsischen Strafkammern müssten massiv verstärkt werden. Beispielsweise seien Verfahren im Bereich der Drogenkriminalität viel umfangreicher geworden, etwa was die Zahl der Täter angehe.

Bei der Finanzierung sieht Bornemann, der Richter am Oberlandesgericht Celle ist, auch den Bund am Zug. Wenn der Bundestag Gesetzesverschärfung beschließe, könne es nicht allein Sache der Länder zu sein, mit Personal dafür zu sorgen, dass diese auch umgesetzt würden. 

Bremen zählt fast 17.000 unerledigte Fälle

Im Land Bremen wachsen die Aktenberge ebenfalls: Ende 2024 wurden hier 16.787 unerledigte Fälle gezählt - fast 9 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Die Eingangszahlen 2024 erhöhten sich ebenfalls deutlich, auf 78.153 nach 72.861 im Jahr 2023.