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Nahverkehr Abellio in Schieflage

Abellio ist in Sachsen-Anhalt wegen gestiegener Kosten offenbar in Finanznöten - und fordert vom Land nun einen finanziellen Nachschlag.

Von Jens Schmidt 09.09.2020, 19:10

Magdeburg l Abellio Mitteldeutschland mit Sitz in Halle bedient seit fünf Jahren in Sachsen-Anhalt regionale Bahnlinien. 2015 startete das Tochterunternehmen der niederländischen Staatsbahn im Süden des Landes. 2018 kamen das Dieselnetz im Norden sowie der Harz hinzu. Abellio setzte sich in Bieterverfahren gegen Mitbewerber durch – vor allem wegen eines deutlich billigeren Angebots. Hauptkonkurrent DB Regio hatte das Nachsehen. Über den Zuschlag entscheidet stets Sachsen-Anhalts Nahverkehrsgesellschaft Nasa. Die Abellio-Offerte war damals um etliche Millionen Euro günstiger als jene der DB: Die Differenz war so stark, dass die Nasa das Angebot sogar auf Seriosität prüfen ließ. Man hielt es denn aber denn doch für machbar.

Für den Betrieb beider Netze bekommt Abellio vom Land jährlich etwa 135 Millionen Euro. So ist es vertraglich vereinbart. Doch nun kommt das Unternehmen mit den Geldern nicht hin. Gefordert wird ein Nachschlag. Die Rede ist von gut zehn Millionen Euro pro Jahr. Da die Veträge bis 2030 (Südnetz) und 2032 (Nordnetz) laufen, würden sich die Mehrforderungen auf gut 100 Millionen Euro summieren.

Die Lage ist für das Land so neu wie verzwickt. Bislang schreibt Sachsen-Anhalt alle paar Jahre seine regionalen Netze aus: Betreiber machen Angebote, der Wirtschaftlichste bekommt den Zuschlag, der vereinbarte Preis gilt. Nachschläge gab es nicht. Nun drohen unangenehme Lagen:

Bliebe Sachsen-Anhalt hart und würde Abellio insolvent, müsste das Land den Bahnverkehr wegen der Daseinsvorsorge dennoch sicherstellen und bezahlen. Der Festpreis mit Abellio wäre passé, die Kosten würden steigen: Ab Januar 2021 starten neue Tarifverhandlungen. Und die für ihre Schlagkaft bekannte Gewerkschaft der Lokführer (GDL) gibt sich garantiert nicht mit einer Nullrunde zufrieden.

Würde das Land Abellio einen Nachschlag gewähren, riefe das die Konkurrenten wie DB Regio auf den Plan. Die könnten klagen, weil Abellio nur Dank eines Dumpingangebots den Zuschlag bekommen hatte. Und falls das nicht greift, könnten Wettbeweber für ihren laufenden Vertrag auch Nachschläge verlangen. Denn die Kosten steigen überall.

Da die Angelegenheit heikel ist, will die Regierung ein Gutachen bei Vertragsrechtsexperten in Auftrag geben. Geschätzte Kosten: 150.000  bis 250.000 Euro. Heute berät dazu der Finanzsusschuss des Landtags in nichtöffentlicher Sitzung. Eine Freigabe der Gelder gilt als sicher.

Warum kommt Abellio in Schieflage? Es gibt dafür mindestens vier Ursachen.

Erster Kostenpunkt: Personal. Als Abellio sich 2012 ums Südnetz und 2014 ums Nordnetz bewarb, wurden die Mitarbeiter noch nicht nach GDL-Tarif bezahlt. Das hat sich geändert. So haben Lokführer jetzt an den Wochenenden vor und nach dem Haupturlaub frei. Zudem gibt es zusätzliche Urlaubstage bei Nachtarbeit. Das gab es früher nicht. Und: Viele Kollegen entschieden sich für 40 statt 39 Wochenstunden und erhalten dafür sechs freie Tage mehr. So können Lokführer auf 37 bis 39 Tage Urlaub im Jahr kommen. Das bedeutet: Abellio muss mehr Personal einstellen. Damit hatte man schon 2018 Probleme, weswegen 2019 viele Züge ausfielen.

Zweitens: Seit 2015 investiert der Bund deutlich mehr in die Schiene. Ob Magdbeurg, Halle, Köthen und ab 2021 in Richtung Berlin: Fast überall wird gebaut. Linien müssen unterbrochen werden - was wiederum nach mehr Personal verlangt.

Drittens: Baubedingt kommt es zu Verspätungen. Das Land kassiert von Anbietern in diesen Fällen Strafen. 2019 waren es 10 Millionen Euro. Hinzu kommen 7,5 Millionen Euro Abzug wegen ausgefallener Züge. Abellio war davon besonders stark betroffen.

Viertens: Abellio hat ein völlig neues Ticketsystem eingeführt. Offenbar war das teurer als geplant.

Einen Krisen-Grund kann man jedoch ausschließen: Corona. Denn: Die Ticketeinnahmen fließen direkt ans Land. Corona-bedingte Ausfälle gleicht der Bund aus. Daher: Abellio bekommt die vereinbarten 135 Millionen Euro jährlich überwiesen – gleich, wieviele Leute mitfahren. Mehr noch: Das Land gewährt laut Vertrag bereits jetzt einen Personalkosten-Zuschlag von jährlich 1,5 bis 2,5 Prozent. Doch dieser Personalkostenindex passe nicht mehr, teilte Abellio auf Nachfrage mit. Ziel der Gespräche sei es, ein „realistischeres Abbild“ herzustellen. Verkehrsminister Thomas Webel (CDU) wollten wegen der laufenden Verhandlungen keinen Kommentar abgeben. Seite 4