Die Menschen nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt Eine Stadt hält den Atem an
Seit den Morgenstunden legen am Sonnabend Menschen Blumen vor dem Tor der Magdeburger Johanniskirche nieder und entzünden Windlichter. Eine Stadt hält den Atem an.
Magdeburg - Es hat den Anschein, als stünde das Leben in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt seit dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt am Freitagabend still. Es fließen Tränen, die am meisten gesprochenen Worte sind „schrecklich“ und „ich kann es immer noch nicht glauben“
Die FC Magdeburg-Fans Ralf Häbecker und sein Freund Oliver Riemann stellen Kerzen auf und Engel. Beide mit blau-weißen Pudelmützen auf dem Kopf. „Ich habe den Fernseher ausgeschaltet, als ich während des Spiels gegen Düsseldorf die Nachricht von dem Anschlag mitbekommen habe“, sagt Häbecker. Eigentlich wollten sich die beiden nach dem Spiel auf dem Weihnachtsmarkt treffen. „Dass wir dafür heute Anschlagsopfern gedenken, hätten wir nicht gedacht.“
Gelbe Rose für Helferin
Matthias Bent überreicht einer jungen Uniformierten eine gelbe Rose. Als Dankeschön für den Einsatz der Braunschweiger Feuerwehrfrau. „Gestern gegen 18.30 Uhr haben wir den Weihnachtsmarkt verlassen“, erzählt der Mann, der 14 Jahre lang in Magdeburg in einer Rettungs- und Notaufnahme gearbeitet hat, bevor er auf dieer Insel Rügen zog. Dass sein Verwandtenbesuch so enden würde, daran habe er keine Sekunde gedacht.
Andrea Reiß aus Magdeburg schildert, wie sie bis kurz nach 19 Uhr mit ihrer Tochter auf dem Weihnachtsmarkt gewesen ist. „Es war sehr stimmungsvoll. Wir haben Schmalzkuchen gegessen und wollten dann noch ins Allee-Center einkaufen. Da haben wir ein bisschen die Zeit verbummelt. Als wir rauskamen, war überall Polizei, Leute rannten an uns vorbei, Geschrei, Blaulicht.“ Als sie ein kaputtes Auto gesehen habe, habe sie zuerst gedacht, dass es einen Unfall gegeben hat. Die Nacht sei schrecklich gewesen. Mit Blick auf das Weihnachtsfest tröste sie ein wenig: „Dass wir uns haben“, zeigt sie auf ihre Familie mit dem Enkel.
Sandra ist direkt vom Bahnhof zur Johanniskirche gelaufen. Die 51-Jährige ist vom Spiel der Magdeburger Fußballer in Düsseldorf gekommen. „wir sind schon in der 2. Halbzeit gegangen“, sagt sie, „um gleich heute Morgen unsere Anteilnahme zu bekunden. Das Spiel rückte bei uns allen weit in den Hintergrund.“
Pastor Nachtigall ist mit seinem zehnköpfigen Gemeindechor aus Berlin gekommen. Er spricht den Anwesenden Mut zu und berichtet, dass er das 2016 nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatzt ebenfalls getan hat. Lieder wie „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ und „Amazing Grace“ erklingen vor der Kirche.
Zwei Frauen liegen sich in den Armen. Tränen fließen. „Vor zwei Tagen waren wir mit unserer Enkelin hier“, so eine Schönebeckerin. „Ich muss immer wieder daran denken, dass eines der Opfer im selben Alter ist, wie unsere Kleine.“ Und erneut kann die 67-Jährige ihre Tränen nicht zurückhalten.
Ebenso geht es der Familie der drei Jahre alten Maja, die Blumen niedergelegt hat. „Ich muss immer an das getötete Kind denken.“
Auch Blumen am Dom
Die Magdeburger Familie Miethling hat ihre drei Jahre alte Tochter zur Johanniskirche mitgebracht. „Natürlich stellt das Kind Fragen. Sie hat ja einiges im Fernsehen mitbekommen. Wir erklären ihr zwar das Wichtigste, aber die Tragweite des Ganzen versteht sie natürlich noch nicht.“
Als die Nachricht die Runde macht, dass die Zahl der Toten auf fünf angestiegen ist, sind die Reaktionen unterschiedlich: lautes Schluchzen, Schimpfen auf „ungenügenden Sicherheitsmaßnahmen“, Wutausbrüche, die sich gegen den Todesfahrer richten: „Rübe ab!“
Eine Frau, die aus Stendal gekommen ist legt eine Blume nieder. Dann dreht sie sich um und macht sich mit dem restlichen Strauß in Richtung Dom auf den Weg. Denn dort haben Trauernde seit 9 Uhr ebenfalls die Möglichkeit ihr Beileid zu bekunden.