Archäologie Der neue Zauberstoff Bronze
Vor 4000 Jahren erlebten die Menschen in Sachsen-Anhalt eine Blütezeit. Doch die Hochära der Bronzezeit dauerte nur kurz.
Magdeburg l Etwa neun Teile Kupfer, gut ein Teil Zinn: So heißt die neue Zauberformel. Erhitzt und miteinander vermischt, entsteht daraus das erste künstliche Metall, das Menschen je hergestellt haben. Ein Wunderstoff, der einer ganzen Epoche ihren Namen gibt: Bronze. Bis dahin hat man nur reine Stoffe verarbeitet. Doch die Legierung ist besser. Leichter verfügbar als Gold, robuster als Kupfer, besser zu bearbeiten und von höherer Qualität als Stein. Mit einer Bronze-Sichel geht die Ernte noch mal so gut voran. Und ist sie stumpf, kann sie leicht geschärft werde, ohne kaputt zu gehen.
Das Kupfer stammt aus den Alpen, Zinn kommt aus Westeuropa und vermutlich auch aus dem Erzgebirge. Dass auch im mitteldeutschen Boden, im späteren Mansfelder Land, Kupfer schlummert, wissen unsere Vorfahren noch nicht. Geschmolzen wird die Bronze denn meist auch woanders. Hier an Elbe und Saale wird sie vor 4000 Jahren weiter verarbeitet. Einige Männer kommen dabei zu großem Reichtum. Sie kontrollierten die Handelswege und Manufakturen. Die Durchsetzungs-fähigsten von ihnen steigen zu wahren Bronze-Fürsten auf. Davon erzählen gewaltige Hügelgräber, wie sie nur Mächtigen zustehen. Acht Meter hoch, mehr als 30 Meter in Durchmesser.
Eines der imposantesten entsteht dort, wo heute der Ort Leubingen im thüringischen Landkreis Sömmerda liegt. Prachtvolle Beigaben geben die Hinterbliebenen dem Mann auf seine Reise ins Jenseits: Goldarmring, goldene Schmuck-Nadeln, bronzene Dolchklingen, Meißel.
Auch an der Saale (im heutigen Dieskau bei Halle) herrscht ein Bronze-Fürst. Er bekommt einen Goldschatz mit, der bis heute als der größte der frühen Bronzezeit gilt. (Die Sowjetunion nahm nach dem Sieg über Hitler-Deutschland die Stücke 1945 mit nach Moskau; dort liegen sie bis heute.)
Die Skelette und Beigaben zeigen die Standesunterschiede: Nur die Fürsten werden auf dem Rücken liegend beerdigt, alle anderen – wie damals üblich – in Hockstellung auf der Seite liegend. Insgesamt machen Archäologen sechs gesellschaftliche Hierarchiestufen aus – von Reich bis Arm.
In jener Zeit wurde auch die mittlerweile weltberühmte Himmelsscheibe geschmiedet. Die kreisrunde Platte aus Bronze mit Mond und Sternen aus Gold. Gut zu sehen ist das Sieben-Gestirn, die Plejaden. Dieser Sternhaufen taucht am Nachthimmel Europas immer Mitte Oktober auf und kündigt das beginnende Winterhalbjahr an. Verschwinden die Plejaden um den 10. März, sind die wärmeren Jahreszeiten nicht weit. Ein erster Kalender? Wohl nicht. „Die Bauern wussten, wann sie zu säen und zu ernten hatten, dafür brauchten sie bestimmt keine Himmelsscheibe“, sagt Regine Maraszek. Die Archäologin am Landesmuseum Halle beschäftigt sich intensiv mit der Bronzezeit. „Man darf die Menschen von damals nicht unterschätzen: Sie hatten damals noch nicht das Wissen von heute, aber sie waren genauso clever wie wir auch.“
Bei der Scheibe handelt es sich wohl vielmehr um eine Art Reliquie, die zu bestimmten feierlichen Anlässen, wie der Sommersonnenwende, einen festen Platz hatte. Sonnenlauf, Mond, Sterne, der Gang der Jahreszeiten – die Menschen hielten ihre Erkenntnisse fest, gossen ihre Sicht auf die Welt in Bronze und Gold. „Es ist das erste Weltbild“, sagt Maraszek.
Die Scheibe wird immer mal wieder verändert und ergänzt. Auf der Rückseite ist ein tiefer Kratzer zu sehen, der heftig korrodiert war: Ein Schmied hatte damals offenbar einen Probeschlag gemacht, ehe er ans Werk ging.
Gut 300 Jahre benutzen die Menschen die Scheibe. Dann wird sie auf dem Mittelberg in der Nähe der heutigen Kleinstadt Nebra vergraben. Besser gesagt: Würdevoll niedergelegt. Mit hohem Aufwand bauen die Menschen für sie eine Art Stein-Kiste; darin stellen sie die Scheibe aufrecht hinein. Daneben legen sie bronzene Beile, Meißel und Kurzschwerte. Die Scheibe wird bestattet wie ein Mächtiger. Aber es ist kein Fürstengrab; nirgends würde man später in der Nähe Knochen oder Urnenreste finden. Warum diese hohe Zeremonie?
Restlos geklärt ist es nicht. Allerdings fällt das Ende der Scheibe zusammen mit dem Ende der Fürsten-Bestattungen in Mitteldeutschland. Offenbar hatten sich Handelswege geändert und die wirtschaftliche Blüte begann hier zu welken. Vielleicht setzte auch eine Epidemie oder eine andere Not eine tiefe Zäsur. „Es sieht so aus, als ob die Menschen ganz bewusst einen Zeitabschnitt beendeten, indem sie das Kultobjekt jener Phase der Erde übergaben“, sagt Maraszek.
In den Jahrhunderten nach der Scheibe geht es in der mitteldeutschen Region etwas bescheidener zu. Die Zeit der Fürsten und vielstufigen Hierarchien ist vorbei. Zu DDR-Zeiten werden Historiker von einem „Ur-Kommunismus“ reden. Nun ja.
Die Gräber zeigen keine großen Unterschiede zwischen den Familien. Nur der Brauch ändert sich. Während in einigen Regionen die Erdbestattung weiter dominiert, werden die Toten vor allem im Norden und Osten jetzt verbrannt. Bei Coswig werden Archäologen später riesige Urnenfelder finden.
In der Spät-Bronzezeit entdecken die Menschen an Elbe und Saale eine neue Nahrungsquelle. Die Ackerbohne, auch Saubohne genannt, wird jetzt angebaut. Die Pflanze liefert viel Eiweiß und ist ein guter Sattmacher, der weniger Aufwand erfordert als die Zucht großer Tierherden. Die Bevölkerung wächst enorm, viele Regionen wie die heutige Altmark, Köthen oder der Raum zwischen Sangerhausen und Halle sind sehr dicht besiedelt. (Der Bau der A 38 oder der B 6 erweist sich später für Archäologen als wahre Fundgrube.)
Große Einwanderungs- und Verdrängungswellen, wie 3000 Jahre zuvor in der Jungsteinzeit, gibt es in der Bronzezeit in Sachsen-Anhalt nicht. Man kann sagen: Die Menschen, die in der Bronzezeit an Elbe und Saale leben, sind in etlichen Fällen die direkten Vorfahren heutiger Familien in Mitteldeutschland. Im Harz gibt es dazu eine frappierende Entdeckung: In der Lichtensteinhöhle bei Osterode wurde das Grabfeld eines Familienclans aus der Bronzezeit gefunden. Dank günstiger klimatischer Verhältnisse in der Höhle ist die DNA in den Skeletten gut erhalten.
2007 baten Wissenschaftler alteingesessenen Bewohner um eine Speichelprobe, um das Erbgut zu vergleichen. Bei 11 Bewohnern wurden große Übereinstimmungen mit dem Erbgut der Verstorbenen gefunden. Und: Zwei Männer sind sogar höchstwahrscheinlich direkte Nachfahren in der 100. Generation.
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