Archäologie Ur-Brot und Blutrache
Wie lebten die Menschen in Sachsen-Anhalt vor 7000 Jahren? Ein Blick in die Vergangenheit auf die Jungsteinzeit.
Magdeburg l Vor gut 7000 Jahren erlebten die Einheimischen zwischen Altmark und Harz einen radikalen Umbruch. Aus Südosteuropa, dem heutigen Ungarn und Rumänien, kamen immer mehr Menschen an, die ganz anders lebten als sie selber. Die Fremden trugen nicht nur anderen Schmuck – sie brachten eine völlig andere Lebensweise mit. Sie errichteten feste Häuser, legten Äcker an, hielten Vieh, säten Getreide und Erbsen.
Die Einheimischen hingegen waren Jäger und Sammler. Das Leben auf ständiger Suche nach neuen Jagdgründen und die kalorienarme Kost ließen nur ein, zwei Kinder in jeder Familie zu. Die Neulinge hingegen, die sesshaften Ackerbauern, hatten deutlich mehr Nachwuchs. So viel, dass die alte Heimat an der Donau nicht mehr genug Platz bot. Den fanden sie nun an Elbe und Saale und in der fruchtbaren Börde.
Nur wenige der Alteingesessenen nahmen die Kultur der neuen Bauern an; die meisten Nomaden wurden abgedrängt in Richtung Norden. Dort führten sie noch lange Zeit weiter das Leben der Wildbeuter, ehe sie Jahrhunderte später Viehzüchter wurden.
Typisch für die Zeit war das Langhaus. Viele waren 20 bis 60 Meter lang und etwa 6 bis 12 Meter breit. Die ältesten Spuren aus jener Ära wurden bei Eilsleben in der Börde entdeckt. Dort stand das erste Dorf Sachsen-Anhalts. Etwa acht Fußballfelder groß war die Siedlung; Hunderte Pfostenlöcher der Wohnhäuser und etwa 30 Gräber sind die letzten Zeugen aus jener Zeit.
In so einem Langhaus wohnte die gesamte Sippe mit mehreren Familien. 40 bis 60 Leute fanden in der Wohngemeinschaft Platz. Diese Mehrfamilienhäuser boten einen großen Vorteil: Für ihren Bau braucht man weniger Material als für viele Einzel-Hütten. Hausbau war schließlich harte, schweißtreibende Arbeit. Mit Stein-Beilen fällten die Männer Eichen; und mit Steinwerkzeug hackten und schabten sie aus den Stämmen runde Pfosten. Die bildeten das Gerüst. Bereits damals wurden die Hölzer geschickt verzapft und die Zwischenräume mit Holzgeflecht und Lehm ausgefüllt - das war ein guter Wärmeschutz für die Winter. Wer so klug baut, beherrschte ganz sicher eine differenzierte Sprache. Schriftzeichen oder andere Belege gibt es dafür nicht. Aber mit Ho- und Ha-Lauten wären solche Arbeiten nicht möglich gewesen. „Das war schon der moderne Mensch. Die sahen aus wie wir – sie waren nur anders gekleidet“, sagt Archäologe Arnold Muhl, Leiter der Dauerausstellungen im Landesmuseum Halle.
Mit den sesshaften Bauern änderte sich auch der Speiseplan. Erstmals kam eine Art Ur-Brot auf den Tisch: Das waren Fladen aus Getreidemehl. Angebaut wurde damals Emmer, ein leicht zu züchtendes Ur-Getreide, das es auch heute noch in Bio-Läden gibt.
Der Nachteil der Fladen: Die Stärke verwandelt sich im Mund in Zucker. Und verursachte auch damals schon Zahnprobleme: Karies. Auch nach Tausenden von Jahren ist das an gefundenen Schädeln sehr gut zu sehen. Im Landesmuseum Halle sind mehrere Skelette ausgestellt. Die Zahnreihen sind bestens erhalten. Außerdem waren die Kauflächen oft dunkel und abgerieben. Da das Getreide mit Steinen gemahlen wurde, landeten harte Partikel im Mehl, die dem Zahnschmelz zusetzten.
Körner für die nächste Aussaat kamen in Tongefäße, die in gut temperierten Erdlöchern standen. Auf der obersten Korn-Schicht bildete sich Schimmel, der die Nager fern hielt; unten im Topf blieb das Saatgut trocken. Schlau gemacht.
Auch die Fleischmahlzeiten änderten sich: Statt nur Hirsch und Reh wie bei den Jägern wurden nun vor allem Rind, Schwein, Lamm und Ziege gebrutzelt. Auf dem Speiseplan stand jetzt auch Milch. Bei Ausgrabungen entdeckte Siebe belegen, dass die Steinzeit-Bauern aus geronnener Milch Quark und Käse herstellten.
Die Langhäuser wurden gern auf Stelzen gesetzt, damit Regenwasser darunter abfloss. Die Hohlräume waren aber auch in anderer Hinsicht praktisch: Abfälle wanderten durch Fußboden-Öffnungen in den „Keller“, wo die frei umherlaufenden Schweine und Hunde sich bedienten. Auch die Toilette funktionierte wahrscheinlich so. Schweine und Hunde fressen selbst das. „Und die Siedler hatten damals viele Hunde“, sagt Archäologe Muhl. Freilich nicht nur aus diesem Grund – sie hielten auch Wölfe auf Abstand.
Schon vor 7000 Jahren kamen Waren von weither in die Dörfer, obwohl es noch einige Jahrhunderte dauern sollte, ehe sich Händler auf gezähmte Wildpferde schwangen. Auch mit dem Ochsenkarren war einiges möglich, wenn ein Händler einen Tagesmarsch unternahm und dann der nächste von dort einen weiteren. Über diese Handelsetappen kamen begehrte Stücke in die Dörfer, um Schmuck zu fertigen oder Feuer zu machen: Stachelaustern vom Mittelmeer, Schneckenhäuser von der französischen Atlantikküste, grüner Jadeit-Stein aus den Alpen, Marmor aus Böhmen oder Feuerstein von der Weichsel.
Die Steinzeit-Bauern glaubten fest an ein Leben nach dem Tode. Ihren Verstorbenen gaben sie deshalb geopferte Tiere, Schmuck oder Saatgut ins Grab. Niemand sollte arm und hungernd ins Jenseits gleiten. Die Toten wurden meistens in ein flaches Erdgrab gelegt, mitunter wurden die Leichen auch vor der Bestattung verbrannt. Wie unterschiedlich die Rituale von Dorf zu Dorf waren, zeigen zwei Funde im Harz. In Westerhausen wurde ein Mann mit mehreren Rindern bestattet. Vermutlich war es ein Anführer, ein Stammespatron. In Benzingerode, nur 15 Kilometer entfernt, ging es weniger elitär zu: Da kamen verstorbene Männer, Frauen und Kinder in ein und dasselbe Toten-Haus. Jede Familie hatte eine bestimmte Ecke. Die Leichen wurden nur hineingelegt und nicht beerdigt. Ob die Bauern ein Mittelchen hatten, um den Verwesungsgeruch zu lindern? „Das ist bislang nicht bekannt“, sagt Muhl.
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