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Rücktritt Aufstieg und Fall von André Poggenburg

Sachsen-Anhalts AfD-Chef Poggenburg war lange in der Partei allmächtig und gibt nun zwei Spitzenpositionen ab. Wie konnte es dazu kommen?

Von Jens Schmidt 09.03.2018, 00:01

Magdeburg l Vier Tage vor seinem 43. Geburtstag endet Poggenburgs politischer Höhenflug. Fraktionsvorsitz futsch. Parteivorsitz auch. Er muss in die zweite Reihe. In nur wenigen Jahren war er aus dem parteipolitischen Nichts zum Oppositionsführer aufgestiegen. In nur wenigen Monaten stürzte er ab.

Rückblick: 2013 tritt Poggenburg in die AfD ein. Die Bundesvorsitzenden heißen noch Bernd Lucke, Konrad Adam, Frauke Petry. Die neue Partei geißelt Euro-Rettung und EU-Politik. Angela Merkel ist auf dem Höhepunkt ihres Ansehens. Sie schafft mit der Union bei der Bundestagswahl fast die absolute Mehrheit. Die AfD verbucht mit 4,6 Prozent einen Achtungserfolg.

Politisch ist Poggenburg bis dahin nicht aufgefallen. Der gelernte Kaufmann hat in Stößen bei Naumburg einen kleinen Betrieb für Autokühler und Behälterbau. Er wohnt auf dem ehemaligen Rittergut Nöbeditz, das er 2008 gekauft hat.

Den Schritt in die Politik geht Poggenburg energisch. Mit Gründung des AfD-Kreisverbandes wird er dessen Vorsitzender. Bei den Kommunalwahlen 2014 erreicht die AfD im Burgenlandkreis zwei der 54 Sitze im Kreistag. Einen bekommt Poggenburg. Große Auftritte im Kreisparlament sind nicht überliefert. Poggenburg fehlt bei vielen Sitzungen.

Bei der Europa-Wahl Mitte 2014 erreicht die AfD 7 Prozent. Der Einzug ins EU-Parlament beflügelt die Partei, doch in Sachsen-Anhalt zerreibt sich die Truppe in Machtkämpfen. Zwei Landeschefs, Michael Heendorf und Arndt Klapproth, treten nach wenigen Monaten zurück. Einige Zeit führt der Staßfurter Tobias Rausch den Landesverband. Ein Parteitag im Juni 2014 soll klare Verhältnisse schaffen. Rausch unterstützt den Bewerber Poggenburg. Der setzt sich mit 62 Prozent gegen zwei Gegenkandidaten durch. Der neue Landeschef sagt, er wolle „die Partei befrieden“.

Das gelingt Poggenburg zunächst. Parteichef Lucke bezeichnet ihn als „guten Mann“. Zwei Jahre später wird er das anders sehen. Da sagt Parteigründer Lucke rückblickend: „André Poggenburg hat erst nach gewisser Zeit gezeigt, wo er politisch steht. Er gehört zu den Leuten, die am Anfang ihre Meinung noch hinterm Berg gehalten haben und erst später Position bezogen. Poggenburg ist allerdings nur ein kleines Licht, ein Mitläufer von Björn Höcke.“

Im März 2015 erscheint die „Erfurter Resolution“. Die Erstunterzeichner Björn Höcke, André Poggenburg und Alexander Gauland fordern eine grundsätzliche politische Wende in Deutschland und wenden sich gegen Luckes konservativ-liberale Linie. Poggenburg bezeichnet sich selbst als nationalkonservativ und zählt fortan zu den Rechtsauslegern innerhalb der AfD. Im Sommer 2015 wird Lucke abgewählt, der Parteigründer verlässt die AfD. Nationalkonservative und Rechtsnationale gewinnen die Oberhand.

Ende 2015, die Flüchtlingszahlen klettern auf über 800.000, schnellen die Umfragewerte der AfD hoch. Nun hat Poggenburg den Landtag fest im Blick. Im November wird er zum Spitzenkandidaten gewählt. Auf einem Parteitag erhält er 88 Prozent Zustimmung. Poggenburg zieht alle Macht an sich, er lässt sich sogar zum „Spitzenwahlkämpfer“ wählen. Drei Monate vor der Landtagswahl sehen Meinungsforscher die Partei erstmals bei 15 Prozent.

Das macht mutig. Im beginnenden Wahljahr 2016 ruft Poggenburg den anderen Parteien zu: „Ihr werdet uns nicht mehr aufhalten.“ Hauptthema im Wahlkampf: Flüchtlinge, Zuzug stoppen, Abschieben, Merkel soll zurücktreten.

Zur Landtagswahl erzielt die AfD aus dem Stand 24,3 Prozent und wird mit 25 Abgeordneten stärkste Oppositionskraft. Dass ein erfolgreicher Parteichef und Spitzenkandidat auch Fraktionschef wird, ist bei anderen Parteien so gut wie ausgemacht. Nicht so bei der AfD. Etliche wollen Poggenburg auf den Sessel des Vize-Landtagspräsidenten schieben. Da würde er Plenarsitzungen leiten, hätte aber politisch nicht mehr viel zu sagen. Poggenburg setzt sich erst in einer stundenlangen und auch aufgeheizten Debatte durch.

Im Landtag zeigt sich der Polit-Neuling Poggenburg durchaus schlagfertig. Er formuliert klar. Seine Fraktion bringt Bewegung in die Untersuchung der Berateräffäre und setzt zwei Enquetekommissionen durch. Bei einigen Abstimmungen gelingt es Poggenburg, auch CDU-Stimmen auf seine Seite zu ziehen – sehr zum Ärger von SPD und Grünen. Die heftigen Angriffe vom Gegner steckt Poggenburg meist mit stoischer Ruhe weg. Der Mann zeigt Nehmerqualitäten.

Er teilt auch gut aus. Im Landtag wie im eigenen Laden. Da wendet Poggenburg hohe Energien auf, um Andersdenkende auszuschalten. Er versucht, Fraktion und Partei auf Linie zu bringen. Kritiker in der Fraktion verlieren ihre Sprecherposten, gegen missliebige Kreischefs laufen Sanktionen an. Kritiker werfen Poggenburg „Säuberungsaktionen“ vor; sie sprechen von einem Vorgehen „wie in Nordkorea“.

In Kreisverbänden knirscht und kracht es stetig. Poggenburg und der ihm ergebene Landesvorstand kehren mit eisernem Besen. Sie versuchen, ihnen genehme Leute durchzusetzen. Ihr späterer Versuch, sogar einen Kreisverband (Börde) aufzulösen, scheitert am Widerstand des eigenen Landesschiedsgerichts.

Die Wellen schlagen hoch, als eine Internet-Chat-Gruppe auffliegt. Etliche AfD-Mitglieder und Funktionäre hatten im Netz die Parteiführung und Poggenburg heftig attackiert. Poggenburg will alle die bestrafen, die mitgewirkt haben. Bundestagskandidaten wie der Harzer Armin Friese werden aus dem Rennen genommen, in der AfD herrscht – wie so oft – Ausnahmezustand.

Mitte 2017 treten drei Abgeordnete aus der Fraktion aus: Sarah Sauermann, Gottfried Backhaus und Jens Diederichs. Beklagt werden eine wachsende Radikalisierung in der AfD und Poggenburgs autokratischer Führungsstil.

Poggenburg rückt immer weiter nach rechts. So hat er nichts mehr dagegen, wenn einzelne AfD-Mitglieder bei der Identitären Bewegung mitmischen, obgleich diese vom Verfassungsschutz beobachtet wird: „Das ist deren Privatsache.“

Je länger er an der Spitze ist, desto unverhohlener formuliert Poggenburg seine rechtsnationale Haltung und bedient sich einer aggressiven, an Nazizeiten erinnernden Sprache. Hinter einem jungenhaft-verschmitzten Lächeln verbirgt sich plötzlich ein ganz anderes Gesicht. Ende 2016 auf einer AfD-Weihnachtsfeier sagt Poggenburg über die Regierungskoalition: „Die AfD wird der Fels sein, an dem dieser faulende Kadaver zerschellen wird.“

Im Februar 2017, nach Tumulten bei einer AfD-Veranstaltung an der Uni Magdeburg, sagt er, die Hochschulen seien in den Händen von Linksextremisten. Sein Fazit: „Wir müssen diese Wucherung am deutschen Volkskörper endlich loswerden.“

Beim Politischen Aschermittwoch in Sachsen zieht Poggenburg über die Türkische Gemeinde her: „Diese Kümmelhändler haben selbst einen Völkermord an 1,5 Millionen Armeniern am Arsch, für den sie bis heute keine Verantwortung übernehmen. Und die wollen uns irgendetwas über Geschichte und Heimat erzählen? Die spinnen wohl! Diese Kameltreiber sollen sich dahin scheren, wo sie hingehören. Weit, weit, weit hinter den Bosporus zu ihren Lehmhütten und Vielweibern.“

Die Empörung ist bundesweit groß. Poggenburg sagt, das sei „zugespitzte Politsatire“ gewesen. Doch darüber können selbst etliche AfD-Obere nicht mehr lachen. Sie fürchten, dass so vor allem im Westen AfD-Wähler verschreckt werden. Poggenburg wird vom Bundesvorstand abgemahnt. Seine Rolle ist ohnehin nicht mehr so stark wie einst. Zu Jahresbeginn war er nicht wieder in die Bundesspitze gewählt worden.

Trotz des öffentlichen Drucks gegen ihn versäumt Poggenburg keine Gelegenheit, seinen Rechtskurs deutlich zu machen. So fordert er, die einst von Frauke Petry verordnete Distanz zur fremdenfeindlichen Pegida aufzugeben. Ein Parteikonvent entschied jetzt, dass AfD-Mitglieder künftig bei Pegida auftreten dürfen, ohne Sanktionen fürchten zu müssen. Poggenburgs Kommentar: „Endlich geschafft!“

Er glaubt an ein Comeback. Poggenburg gestern: „Ich sehe das alles als etwas temporär an, die ganze Angelegenheit. Ich bin für die AfD nicht verloren.“

Kommentar "Poggenburg hat den Bogen überspannt" zum Thema.